Donnerstag, 19. September 2013

Arrivederci!

Poetischere Menschen beschreiben ja Abschiede von jemandem, den oder etwas, das man liebt als kleine Tode. Durch meine Reisen und die vielen Menschen, die ich dabei traf und gerne wieder gesehen hätte, ist meine Seele in dieser Beziehung vernarbt gewesen. Seit ich allerdings auf die Burg gezogen bin, hat sich das geändert. Und das hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern eher mit dieser Geborgenheit im Borgo.

Hinzu kommt, dass einem Italien durch die magischen Momente bei so einem Anlass das Fortgehen oft doppelt schwer macht. Gestern - nach einigen Anlaufschwierigkeiten - hat es wieder geklappt mit den Nachbarn. Wir haben uns ab drei Uhr, damit es nicht zu spät würde, an mit vielerlei Speisen und Getränken schwer beladenen Tischen auf der Piazza niedergelassen. Und dann wurde vielsprachig drauflos gequatscht, als gäbe es kein Morgen mehr.
Ja, dann war es am Ende doch wieder zehn, und es gab keine Minute Langeweile.

Signora Ada brachte einen Bio-Pigato mit, der in den ehemaligen Ölflaschen vom Supermarkt derart dickflüssig stand, als sei er noch welches. Als ich den ersten Schluck getrunken hatte, musste ich Ada unbedingt erzählen, wie ich mit meiner Mutter einmal in San Angelo d'Ischia auf dem Steilufer über der Bucht mit den Schwefelquellen in einer angemieteten maurischen Villa die Vorhut für einen Urlaub ohne den Vater gebildet habe. Das war ein wenig wie hier auf der Burg, denn die Autos mussten vor dem Ort bleiben und der Fußweg hinauf dauerte gut zwanzig Minuten. Ein Esel der Alimetari brachte unser reduziertes Gepäck und Lebensmittel für die Ankunft. Darunter zwei riesige Korbflaschen mit Wein, aber kein Wasser. Das Wasser aus der Dach-Zisterne war ausdrücklich nicht zum Trinken. Aber wir hatten eben Durst, und es war auch schon dunkel - in einer noch unbekannten Umgebung. Also machten meine Mutter und ich uns über den Wein her, der ähnlich eigenwillig schmeckte wie der von Ada. Harzig, schwer - aber doch irgendwie süffig. Ich war 14 und träumte da noch von einer Karriere als Schwimmer. War also an überhaupt keinen Alkohol gewöhnt. Unter mütterlich fürsorglicher Begleitung versank ich im ersten Vollrausch meines Lebens, und ich konnte mich später nicht daran erinnern mit meiner Mutter je wieder eine so innige Zweisamkeit erlebt zu haben.

Es wurde auch in anderen Beziehungen  noch ein denkwürdiger Urlaub. Meine zweite Schwester traf ihren späteren Ehemann, und ich meine erste große Liebe - Pau - die Tochter des großen Cellisten Paul Tortelier, die selbst schon auf dem Weg zu einer überragenden Pianistin war...

Als unsere beiden Musik-Professoren diese Namen hörten, waren wir gleich im nächsten Themen-Kreis. Und so ging das weiter, bis man begann, sich gegenseitig die Häuser hier zu zeigen. Überraschender Weise
begann mir der Bio-Wein mit jedem Glas besser zu schmecken und linderte die traurige Erkenntnis, das unsere Tage hier  bis zum kommenden Jahr gezählt sind.

Übrigens hatte ich weder damals auf Ischia noch heute während des Schreibens mit "Nachwehen" zu kämpfen. Was bei dem Quantum doch einigermaßen überrascht.

Ein Nachsatz für alle, die so ein Leben in zwei Welten auch anstreben und dabei davon träumen, einst nur mit einem Handtäschchen hin- und her zu reisen: Vergesst es!

Ich fange jetzt mal mit dem Packen an, weil die Zweitbeste, die immer ein wenig unentschlossen ist, was sie mitnehmen will, viel länger dazu braucht. Sie hat aber nur die eine Hälfte des Riesenkoffers, auf den wir uns letztlich geeinigt haben.

Bleibt uns bitte gewogen! Ciao, arrivederci!

Ab dem 25. September fliegen wieder Steine aus dem Glashaus - und zwar nicht zu knapp!

http://steineausdemglashaus.blogspot.com/


Montag, 16. September 2013

Eine Piazza voller Halb-Edelsteine

Lucido Autunno, der Dorfmaler, ist wieder im Borgo. Er kommt ja jedes Jahr, wie es ihm gefällt. Schließlich ist er ja auch ein angesagter  Meister von wirklichem Einfluss. Im vergangenen Jahr hatten wir seinen Einzug verpasst, aber dann drei  Monate bis Weihnachten hier oben  das beinahe exklusive Vergnügen gehabt, seine Meisterwerke zu betrachten. Es war faszinierend, wie er an den Perspektiven arbeitete, den Vordergrund in den Schatten legte, während er bei dem weiten Blick auf die blau gefärbten Berge den großen Bellini mühelos in denselben stellte. Aber nicht nur eben dieser Meister der endlosen Tiefe, sondern auch die Größen des Pointilismus, des Neo-Realismus und selbst die bedeutendsten Fresken-Maler aller Zeiten hätten sich – um das täglich geschaffene Oeuvre dieses Meisters annähernd zu erreichen - ihre Pinsel haarlos gemalt.

Eigentlich wollten wir ihn mit den Nachbarn heute auf der Piazza mit Tramezzini, Schälnüssen und rotem Wein willkommen heißen, aber er gab sich mal wieder unberechenbar. Entschuldigte sich, mit regnerischer Wolkenmalerei beschäftigt zu sein, wofür er eben Regen und Wind bräuchte - und keine euphorisierten Nachbarn in Feierlaune...

Als sich aber alle Burggeister anderen Dingen zugewandt hatten, kam er dann mit seinen Farben doch noch die Gasse hoch und sorgte auf der Piazza für eine einzigartige Kunst-Installation, die leider nur ich allein zu sehen bekam: Ich hockte in dem Doppel-Torbogen, unter dem die Stufen zur Hauptgasse hinunter führen. Also war ich für ihn nicht sofort zu sehen. Vermutlich hat er deshalb auf seiner Palette  mit den changierenden Farben ein wenig sorgloser experimentiert. Eindeutig hatte er den Pinsel mit der Goldbronze zu flach angesetzt. Denn würde er das immer so machen, hätten habgierige  Besucher längst Stein um Stein aus unserer Piazza gebrochen.

Nur bei diesem Licht nämlich wird der heimliche  Schatz des Borgos sichtbar. Die Grafen Gandolfo haben vermutlich einst die Piazza mit Moosachaten bepflastert, um eine stille Reserve jederzeit zur Verfügung zu haben. Jetzt bestrahlt der Meister sie so, dass man das  erkennen kann. Die abgelaufenen, schwarz kaschierten Kiesel-Knöpfe, die normalerweise zu sehen sind, werden nur so zu  den türkis-bräunlichgrünliche gemaserten Halb-Edelsteinen, die so unnachahmlich leuchten.

Ich kenne mich aus, denn der erste Ring, den ich der Zweitbesten von meinem kärglichen Lehrlingsgehalt zum Geburtstag gekauft habe, war ein in schlichtem Silber gefasster Moosachat. Da hatte sie sogar ein paar Tränchen in den Augen, und trug ihn auch ein paar Jahre. Später hat sie dann Gold mit richtigen Edelsteinen den Vorzug gegeben. – Auch ihre Romantik ist dabei ein wenig flöten gegangen, denn gerade schreit sie über die Piazza:
„Jetzt hör doch endlich auf  rumzuträumen und lass endlich diese Herbst-Larmoyanz! Hast du vergessen, dass du heute mit Kochen dran bist?“


Na dann – willkommen wieder  in der Wirklichkeit liebe Leser: Es gibt heute Faraona al Forno (Perlhuhn in der Raine) mit Basmati-Reis und Ingwer-Paprikagemüse an  Limonen-Soja-Sauce mit grünem Koriander. Blöd, dass Liebe tatsächlich doch mehr durch den Magen zu gehen scheint...

Donnerstag, 12. September 2013

Culo!

Es ist schon so, dass ich am liebsten von mir denken möchte, ein herzensguter Kerl zu sein. Aber möglicherweise liegt es an der Ungeduld des Herzens, dass ich im Alter häufiger ausraste als früher:

Allerdings nicht mehr bei Politikern: Via Satellit und mit dem nötigen Abstand, geht mir eher das "Eigenmarketing" der Sender im Bayrisch-Hessisch-Deutschen Wahlkampf (!) auf die Nerven.

Dazu bin ich vielleicht einst selbst zu sehr Manipulationsprofi gewesen:
In der früher eher „linken“ ARD stelle ich zunehmend eine Kanzlerinnen-Linie fest, und der Olli Welke und der  Urban Priol können sich bei der „Heute Show“ und „Neues aus der Anstalt“ noch so genial ins Zeug legen, um bei der öffentlich rechtlichen, aber regierungstragenden Manipulation gegenzuhalten. - Die unterschwelligen Botschaften in der Außer-Acht-Lassung des einst neutralen journalistischen Handwerks sind eben doch in anderen Formaten sehr viel wirkungsvoller:

Da wird- um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen - der Bundes-Innenminister bei den „Ersten“ mit einem bundespolitischen Statement vor einem CSU-Poster aufgenommen und bei den „Zweiten“ kommt zu dem brisanten Thema des Mindestlohns zwar die Kanzlerin als Stimme vor und auch der "multipersonelle" Rainer Brüderle, aber die Partei, die diesen erst zum Thema gemacht hat,  im „Heute Journal“  erst gar nicht zu Wort.

Die „Zweibeste“ hat mich (wie einst Lysistrata) durch angedrohten Liebes-Entzug (was für eine Strafe!?) zur Briefwahl genötigt. Sonst hätte ich diesmal nicht gewählt, obwohl ich gar nicht mehr weiß, wie oft ich selbst geschrieben habe, was doch das Recht, wählen zu dürfen, für ein Privileg der Freiheit ist. Aber konnten die Erfinder der Demokratie ahnen, dass wir dereinst nur noch die Wahl zwischen machtgeilen Zombies und Marionetten von Lobbys haben würden? Politiker, die mittlerweile eine Rente mit 67 durchgedrückt haben, aber selbst am liebsten noch mit debilen 70 ein Bundestagsmandat oder gar Ministerämter anstreben.

Seht ihr, das meine ich mit der Alterswut!

Sie wird  auch hier in Italien, meiner Zweit-Heimat, gerade wieder besonders stimuliert..  Silvio Berlusconi ist zwar hier von Gesetzes wegen zu alt, um in den Knast zu gehen, aber auf sein Mandat beharrend, die Regierung durch Erpressung zum Scheitern zu bringen – das ist ihm dennoch erlaubt. Kein Wunder, bei einem Staatspräsidenten von bald  90. Wobei mir Giorgio Napolitano ehrlich gesagt  bei dem aktuellen Personal-Angebot hier sogar oft noch am vernünftigsten erscheint.

Wieso rastet der betagte Wähler oder die betagte Wählerin  (beide "als solche"), die ja schon viel haben mitmachen müssen, nicht mal am Lebensabend auf friedliche Art und Weise aus?

Die Antwort: Weil Leute unserer Generation viel zu gut erzogen wurden, um andere, die mit dem ICE durch die Kinderstube gerast zu sein scheinen,  auf deftig laute Art und Weise daran zu hindern, mit uns zu  tun, was ihnen beliebt. Wie beispielsweise in Italien auch der Grillo oder bei uns  besonders der Seehofer.

Einmal zu so einem Arschloch sagen, ohne gleich eine Zivilklage am Hals zu haben oder für sieben Jahre in der Klapse zu verschwinden wie der Mollath. Das wär's doch!

Was tue ich hingegen? 
Ich reagiere mich an einem armen Teufel mit (oder ohne?) Tourette-Syndrom ab: Den ganzen herrlichen Sommer lang stiefelte unser Burg-Geist Camillo zu den unmöglichsten Stunden Tag und Nacht zur Piazza hoch und pöbelte gegen nicht vorhandene Feinde und nutzte sein Spielzeug-Handy zu dramatischen Streitgesprächen mit wichtigen Menschen in Paris, Monaco und New York  (- wobei er nicht an so netten Ausdrücken wie culo, puttana, stronzo, rompo collioni und dergleichen sparte... - Neid!). Dann war es mir eines Abends doch echt zu bunt: 
Nachdem er mich zuerst tags zuvor nächtens nicht hatte schlafen lassen, dann tags darauf beim Schreiben störte und schlimmer noch arglosen Touristinnen Angst einjagte, schrie ich ihn beim nächsten Pöbeln publico derart an, dass er wie vom Blitz getroffen zusammensackte. Als er dann noch aufbegehren wollte, nannte ich ihn Culo und Cazzo (alle Schimpfworte bitte selbst nachschlagen!) und drohte ihm auch an, gleich zu ihm herunter zu kommen. Selten im Leben war ich derart aggressiv geworden.

Seither hat er sich nicht mehr auf die Piazza gewagt, obwohl er wirklich das gleiche Recht hat dort zu sein, wie jeder andere Burg-Geist auch. Er ist jetzt auch sonst so verdächtig  ruhig.

Als die Nachbarn und selbst die liebe Seelenfängerin in den Tagen darauf dankbar zu mir kamen, um zu sagen, dass das längst mal an der Zeit gewesen sei, dem Schrat Einhalt zu gebieten, schämte ich mich deshalb abgrundtief.


Der arme Camillo, der sich ja vermutlich wirklich nicht wehren kann, war der falsche Prügelknabe. Das Culo! - so wurde mir klar - hätte doch viel eher ich verdient. Was kann der arme Kerl denn dafür, dass ich zu alt geworden bin, mich dort aufzulehnen, wo es wirklich angebracht wäre?...

Dienstag, 10. September 2013

Herbst zeitlos

Ach, wie wünschte ich, ich wäre ein Zeitlosegewächs! Dann hätte ich das ganze Jahr hindurch Anlass, mich zu vermehren oder zu Blühen - und es gäbe diese Gemütsschwankungen nicht. Aber so wie es aussieht, scheine ich ein typischer Herbstzeitloser zu sein, denn mit der kürzeren Helligkeit kommt auch mein Mangel an Zeitgefühl ans Licht.

Die Zweitbeste, die auf alle Praxis bezogenen Dinge des Alltags immer eine Antwort hat, erklärt den Wesensunterschied unserer Charaktere damit, dass sie im Oktober das Licht der Welt erblickte, während ich ja ein Märzkind sei. Da prägende Eindrücke nach dem siebten Lebensmonat begännen, seien die ihren halt voller Licht und Wärme gewesen, während bei mir Kälte und kürzeren Tagen die Stimmung bestimmt hätten. Hausfrauen-Psychologie!

Über tausend Timelags und eine berufliche Ausrichtung, bei der der nächste Winter bereits am Ende seines Vorgängers begann, haben nämlich mein Zeit-Gefühl ein Leben lang komplett aus dem Takt gebracht.

Da wir uns schon in den kommenden Monaten um die (bereits ein Vierteljahr verspätete) Rente kümmern müssen, war ich der irrigen Ansicht, die kürzer werdenden Tage träfen mich nun nicht mehr so arg. Das Herbstlicht ist wundervoll, aber es schwindet eben dahin. Mir kommt das immer schneller vor. Eine Ewigkeit brauchte der Frühling heuer, um seine langen Tage zu entfalten. Aber nun, da es in den vergangenen acht Wochen nur ein paar mal kurz geregnet hat, scheinen die Tage auf dieser Seite des Jahres doppelt so schnell hinter den schütteren Wolken zu verschwinden.

Was macht mir das aus? Wo wir doch für die viele, frei zur Verfügung stehende Zeit weder Plan noch Stress haben. Ja aber: Ich beobachte mich dennoch dabei, wie mein zwangloser Alltag zunehmend von unbewussten Zeitabläufen geprägt wird. Und wehe, es passiert etwas, bevor ich in diesem heimlichen Ablauf meine Mitte gefunden habe. Dann bekomme ich nichts mehr auf die Reihe.

Zum Beispiel heute morgen. Die Nachbarn alarmierten mich durch die offenen Fenster, dass es in unserer Gasse wieder einen Einbruchsversuch und bei der Bar Girasole auch einen vollendeten Einbruch gegeben habe. Darauf hatte ich schon irgendwie gewartet, weil der Borgo jetzt wieder leerer geworden ist und die Diebe leichter feststellen können, wer am vergangenen Wochenende frisch angekommen und in der ersten Urlaubsseligkeit nachlässig ist. Das ist ihre Vorgehensweise, und  es stört  sie auch nicht, wenn dann jemand im Haus ist. Sie haben nämlich auch schon Betäubungsgas eingesetzt

Obwohl ich wusste, dass die Polizei nichts unternehmen würde, riet ich, sie zu informieren. Sie versprachen zumindest wieder die Streifen zu verstärken. Die Carabinieri hatten damit schon Erfolg, denn heuer wurden auch hier oben schon Banden festgenommen. Aber es werden eben immer mehr.

Als guter Nachbar bin ich sofort los und habe alle Häuser rund um die Piazza inspiziert, aber die sind ja zur Zeit verwaist. Also waren alle Schlösser intakt. Dafür gab es in meiner Küche eine Überschwemmung, denn ich hatte automatisch den randvollen Wasserkocher angestellt. Außerdem musste ich noch eine der streunenden Dorfkatzen daran hindern, sich für den Winter bei uns einzuquartieren, was mich wiederum daran hinderte dann der Zweitbesten mitzuteilen, dass ihr Morgen-Kaffee in der gewünschten Linkshänderinnen-Tasse neben den Sudokus bereit stünde. Kalter Kaffee!!!

Jetzt, da ich mich damit therapiere, diesen Post zu verfassen, ticke ich langsam wieder normal. Ist das denn zu fassen? Da bist du im Herbst des Lebens angekommen, hättest alle Zeit der Welt, um dich in Gelassenheit zu üben, aber du entpuppst dich immer noch als alter Hektiker...

Samstag, 7. September 2013

Il Signore 2

Zugegeben, es gibt Tage,  da fühle ich mich Il Signore so nahe, wie sich das für einen Agnostiker einfach nicht gehört. Da sitze ich auf der sehr hohen Eingangsstufe vom wieder in Rom malochenden Nachbarn Giancarlo in der Südost-Ecke des Burghofes und schaue in dieser einzigartigen Perspektive auf das Spektakel am Himmel. Unten die Piazza, der Burg-Brunnen, die von runden Bogen begrenzten Ausgänge; in der Mitte  die nordwestlichen Nachbarhäuser mit ihren dekorativen Abstufungen und darüber die Wolken über den Seealpen, die in dicken Wattebauschen gegen den mit ausgefransten Federwolken heranstürmenden  Mezzogiorno bestehen wollen.

Ich zeige dann mit dem Einlass begehrenden Zeigefinger, der den Burg-Geistern zu eigen ist, zum Himmel und sage zu der Zweitbesten, die im Schatten einen Krimi von Veit Heinichen liest:
„Schau mal der Mezzogiorno frisst gerade die Cumuli, äh ich meine die Haufen-Wolken.“
 „Die in Triest nennen diesen Wind übrigens die Bora!“, antwortet sie und ist schon wieder weg.

Ja, hurra, die Zweitbeste liest wieder! Seit die Nächte kühl sind, und einen mit herrlichem Tiefschlaf belohnen, verschlingt sie Bücher, als gäbe es sie morgen nicht mehr. Ich bin dann zwar weitestgehend abgemeldet, aber das ist mir egal, weil ich bei ihrem Anblick so herrlich in Erinnerungen schwelgen kann.

Das Abtauchen in Gedrucktem, das war in einer weit zurück liegenden Vergangenheit für mich immer das Zeichen, dass es ihr, der ehemaligen Buchhändlerin, gut geht. Da konnten Dutzende von Kindern um sie herumtoben, sich gegenseitig die Haare ausreißen, Erwachsene sie zwecks endlich erforderlichen Eingreifens ansprechen – durch nichts in der Welt, wäre sie in diesen Momenten der Welt ihres Lesestoffs entrückt.

Oft habe ich sie regelrecht rütteln müssen, um sie ins Hier und Jetzt zurück zu holen. Vielleicht sind unsere Kinder deshalb so unerschütterlich kreative Traumtänzer geworden. Sie mussten ihre Konflikt-Lösungen in der Lese-Agonie ihrer Mutter selbst finden. Das ist ihnen jedenfalls nicht schlecht gelungen, und die Zweitbeste ist stets recht stolz auf ihre „erzieherischen Fähigkeiten“ gewesen.

Aber in der Erinnerung taucht auch ein Schwur auf:
Es war im ersten Winter, nachdem wir das „Haus“ hier gekauft hatten. Die Ruine war eine Baustelle, und ich ganz alleine, weil die Bauarbeiter nicht erschienen waren. Auf der unfertigen Terrasse lagen Schutt- und Sandhaufen und dann kam der Tramontana und brachte in D-Zug-Geschwindigkeit aus Nordwest Regen in der Dichte einer Auto-Waschstraße heran. Die verstopfte Terrasse wurde zum Pool und ergoss sich nach und nach  in die darunter liegenden Zimmer. 24 Stunden schöpfte ich ohne Pause das ins Haus eindringende Wasser und schüttete die Eimer in die alte Badewanne. Dann ließ der Wind nach, und ich fiel in einen erschöpften Schlaf.
Als ich erwachte, fingerte die Sonne gerade an einem glasklaren Azur-Himmel über die östlichen Berge. Der Ort Lucinasco (der Lichtgeborene) auf der anderen Talseite funkelte im ersten Licht, und Olivastri tief unter uns sah aus wie das grüne Relief eines Landart-Künstlers.

Ohne groß zu überlegen, sagte ich laut zu dem Gott, an den ich eigentlich nicht glaube:
„Sollte ich jemals Zweifel an der Großartigkeit Deiner Schöpfung haben, darfst Du mich zu Recht mit einem Blitz aus heiterem Himmel erschlagen.“

Von diesen trockenen Blitzen gab es in diesem Sommer einige, die auch in meiner unmittelbaren Nähe einschlugen. Wollte Il Signore mich warnen, weil ich wegen Syrien, Ägypten und vor allem dieser Enttäuschung Obama wieder mehr zum Agnostiker geworden war? 

Donnerstag, 5. September 2013

Zweifel der "Imperia"listen

Also, da muss ich etwas klar stellen: Ich bin nicht gegen Pasta-Maschinen. Als ich vor Jahren meinem Sohn eine zum Geburtstag geschenkt hatte, war ich versucht, mir gleich auch eine zu kaufen. Aber wie viele Burgbriefe-Leser vermutlich längst erkannt haben, ist meine Haupt-Triebfeder meine grenzenlose Faulheit.

Dass der Spaß beim Nudeln mit einer Maschine mehr  beim Machen liegt und weniger beim Verzehr des derart erstellten Produktes - dazu musste ich nur meinen bei derlei Verrichtungen immer sehr geduldigen Sohn beobachten: Zehnmal immer feiner einstellend durchnudeln, dann noch der Schneide- und Trocknungsvorgang sowie am Ende das minuziöse Säubern der Apparatur - nee, das war nichts für mich. Ich schraube ja auch nicht am Auto rum - geschweige denn, dass ich es jemals von Hand gewaschen hätte. Und wie soll schon Basteln funktionieren - bei zwei linken Händen, die nur Daumen haben?

Deshalb verzichtete ich letztlich auf die Anschaffung einer "Imperia" obwohl ich das schon lustig fand, dass das beste Gerät dieser Art den Namen unserer ligurischen Provinzhauptstadt trägt...

Das Teigmachen ist für die "Handwerker" der gleiche Vorgang wie für die "Maschinisten". Der Zweifel der "Imperia"listen wird durch das manuelle Ausrollen und Schneiden genährt.

Wir haben unsere altertümliche Primitiv-Küche auf der Burg nur mit einem Luxus ausgestattet: umfassende Arbeitsflächen aus Granit, die im Handumdrehen gesäubert werden können. Aber auch indem er reichlich gemehlte Frischhaltefolie unter den Teig legt, schafft der Pasta
-Profi von vornherein saubere Verhältnisse. Bleibt also das Ausrollen, bei dem wir Deutsche ja das durch zahlreiche Altherrenwitze populär gemachte Nudelholz (matterello) einsetzen können. Sophia Loren hatte - wie berichtet - nur ein kleines, poliertes Rundholz (bastonino). Das berühmteste Koch-Foto von der Diva (siehe rechts) zeigt sie allerdings während des Pizzabackens, bei dem die Könner den Teig zwecks Ausdehnung ja einhändig um seine Mitte rotieren lassen. Das geht bei der Pasta nicht, weil da ja keine Hefe für den Zusammenhalt sorgt.
Bei der Pasta darf möglichst nichts kleben, deshalb bedarf  es stets eines gewissen Mehlüberschusses.
Die Diva hat dann ihren möglichst länglich ausgerollten Pasta-Teig wie eine Roulade eingerollt, die Überstände und dann ganz feine Schnecken abgeschnitten. Ehe etwas verkleben konnte, waren die schon im sprudelnden Salzwasser. Aber auch wer kein Rund- oder Nudelholz zur Hand hat. kann feine und akkurate Pasta machen. Ich habe den Teig schon zwischen zwei Schneidebrettern flach geklatscht und dann entlang meines Plastik-Lineals aus Schulzeiten je nach Wunsch mit einem breiten Messer Tagliatelle oder gar Cappelini geschnitten. Alle 30 Zentimeter lang und geometrisch einwandfrei - als seien sie mit einer Imperia gemacht worden...

Sonntag, 1. September 2013

Pasta-Protest

Wer einen gewissen Tachostand erreicht hat, kann auch auf eine Vielzahl modischer Irrungen und Wirrungen zurück blicken. Mit dem gewissen Abstand erkennt der Ehrliche dabei, dass er nicht jeden Trend freiwillig mitgemacht hat, sondern ihm gefolgt ist, weil er plötzlich "in" war.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es dann oft zur Entschuldigung, aber das stimmt nicht. Es wird tatsächlich über nichts so ultimativ gestritten wie über persönlichen Geschmack, der anderen aufgenötigt werden soll oder mit dem jemand sich profilieren will. Die Zweitbeste und ich haben aus unseren beruflichen Anfängen eine wirklich gute Freundin für die alles, was sie gerade ohne Widerwillen überlebt, immer das "Bäääääste" ist, das man unbedingt zu probieren hat. Sie macht dabei aber auch nichts anderes, als die meisten Medien, die einem ja auch jede Woche alternativlos aufzwingen, was angesagt ist.

Seither schalte ich auf Durchzug und denke mir meinen Teil. Aber dabei möchte ich nicht versäumen, noch einmal grundsätzlich zu betonen, dass alles was ich zu Themen schreibe, ausschließlich mein persönlicher Geschmack oder grundsätzlich meine Meinung ist. Ich tue das, weil ich heute für diejenigen, die übereinstimmen, die Anleitung geben möchte, endlich eine "heilige Kuh" zu schlachten: Die ultimative Pasta-Philosophie.

Was habe ich nicht alles für Nudel-Moden mit mir herum geschleppt: Angefangen bei den langen, blauen Spaghetti-Packungen, die ich als Kind bei unseren Italien-Reisen von den jeweiligen Alimentari heim zu schleppen hatte, obwohl die kaum kürzer waren als ich. In den Supermärkten gingen diese langen Dinger natürlich gar nicht mehr, also schrumpften die Pasta-Packungen während sich ihr Inhalt über Jahre farblich und förmlich in immer neuen Variationen darbot und nur noch die Art der Verpackung Wertigkeit suggerierte. Hauptsache sie vermittelte das italienische Gefühl. Dabei soll doch erst Marco Polo und dessen Nachreisende die Italiener auf die Nudel gebracht haben, so wie die Auswanderer und die Gastarbeiter im Laufe des letzten Jahrhunderts den Rest der Welt! Der Grund war immer ein ganz profaner: Nahrhafte Kohlenhydrate konnten über lange Zeit und lange Strecken mitgenommen werden, um auf die Schnelle mit eine paar Zutaten den Magen schmackhaft zu füllen. Das war immer die Basis vom Glück. Pasta ist einfach Pasta - basta!

Entscheidend ist letztendlich, wie und mit welchen Zutaten sie zubereitet werden. Meine in Neapels Hell's Kitchen Pozzuoli geborene Nachbarin Petronella regt sich immer wieder darüber auf, dass ich behaupte, über 1000 Sugo-Rezepte kreiert zu haben. Es kommen sogar noch ständig neue dazu. Wenn Pasta im Haus ist, geht beinahe alles mit allem, was sonst noch so im Küchenschrank ist. Das ist mein Pasta-Credo!

Jetzt höre ich bereits den Europa weiten Aufschrei, all jener, die sich so eine Pasta-Maschine angeschafft haben und dem Imperativ gefolgt sind, nur selbst gemachte Pasta sei das einzig Wahre. Ich möchte gar nicht lange zum Ausdruck bringen, wie oft und wie sehr ich mich nach Nudeln aus der Discounter-Kette gesehnt habe, wenn mir bei einem privaten Gourmet-Treffen verkochtes, klebriges, wässriges und im schlimmsten Falle mehlig schleimiges Gemenge serviert wurde, über das ich auch noch erwartetes Lobsingen anheben sollte.

Also ihr Leute: Wer Nudeln selber machen will, braucht dazu keine Maschine. Um zu den Töchtern Pozzuolis zurück zu kommen: Die berühmteste von ihnen - Sofia Villani Scicolone, besser bekannt als Sophia Loren - trat in einem ihrer frühesten Filme in einem Pasta-Wettbewerb auf und hatte nur mit einem runden Stöckchen, einem Messer und ihren schönen Händen bewaffnet innerhalb von ein paar Minuten den Sieg davon getragen. Manche brauchen sogar nur ihre Hände, wie der thailändische Nudelmeister, der auf dem Dach des Robson Emporiums in Bangkok ein Restaurant mit nur 20 Plätzen betrieb. Waren sie nach einer Sitzung neu belegt, nahm er einen vor den Augen aller zubereiteten Teigball und zog ihn so oft auseinander bis eine ausreichend große Portion Cappelini entstand, für die seine "1000-Schätze-Suppe" so berühmt war.

Eine der tollsten Casareccia-Köchinnen, deren Meisterschaft ich genießen durfte, Signora Zavoca aus Acci Trezza an der sizilianischen Faraglionen-Küste - legte sogar überhaupt keinen Wert auf die geometrische Form ihrer Pasta. Sie rollte sie aus und zerriss sie einfach mit Daumen und Zeigefinger. Aber sie warf sie nicht einfach in kochendes Wasser, sondern versenkte die stracciate mittels eines Siebes, das sie auf die Sekunden genau heraus hob.

Das Entscheidende an selbst gemachten Nudeln ist mehr als bei der Fertig-Pasta das Timing. Aber es sollte auch Ehrgeiz vorhanden sein, den Gästen eine individuell entwickelte Pasta aufzutischen. Dazu braucht es Mut zu Experimenten: An der Kirche San Giovanni in Oneglia gibt es Pasta Fresca, bei deren Herstellung jeder zuschauen kann. Und immer wieder gibt es etwas Neues, an dem sich ein Nudeler daheim messen kann. So lange man aber selbst dieses Niveau nicht erreicht, um es seinen Gästen selbst gemacht zu servieren, sollte man es lieber weiterhin kaufen.

Tagliatelle al vino bianco muss ich dort zum Beispiel immer noch kaufen. Dabei klingt das doch so einfach: Zwei Eier, etwas Salz in eine Mulde von 200 Gramm Weizenmehl, und unter Zugießen eines Glases Weißwein geschmeidig verkneten...

Donnerstag, 29. August 2013

Der Schmetterlingseffekt

Am Beispiel der Chaos-Theorie lässt sich einzigartig festmachen, wie falsche Kolportage zu einem hartnäckigen Missverständnis führen kann. Der falsch ausgelegte Schmetterlingseffekt wird auf die Überschrift zu einem meteorologischen Referat des Amerikaners Edward Lorenz zurück geführt, die die Frage stellte, ob der Flügelschlag einer Möwe in Brasilien, einen Tornado in Texas auslösen könne. In der Folge wurde aus der Möwe ein Schmetterling, weil Berichterstatter, Referenten und Wissenschaftsjournalisten es mit einem zum Thema gehörenden dreidimensionalen Gemenge-Modell in doppelter ellyptischer und animierter Computer-Darstellung einer Rechenformel von Lorenz gleichsetzten. Schaute man eindimensional auf das Ergebnis so sah das am optischen Schnittpunkt der sich eigentlich nicht berührenden Linien aus wie ein hauchzarter Schmetterling.
Seither ist die romantische Fehlinterpretation populärer als dieser Beitrag zur Chaos-Theorie: Bands, Filme und Essays sind nach ihr benannt, aber das eigentlich Bahnbrechende an dieser epochalen Berechnung wird mit Falsch-Zitaten zugemüllt.

Da ist mir der Schmetterlingseffekt, den die Zweitbeste hier auf der Burg erzielt hat, trotz erster Zweifel schon einleuchtender. Mitten im Regengrau des Frühlings schleppte sie einen eher unscheinbaren Blumentopf auf die Terrasse und stellte ihn dort mitten auf den Tisch.
"Was willst du denn mit dieser hässlichen Pflanze?", erhob ich Einspruch.
"Wirst schon sehen!", gab sie sich kryptisch.
Dass diese Pflanze dann wunderschön zu blühen begann, bekam ich eigentlich nicht mit, weil ich in der Hitze die Terrasse ja tagsüber wochenlang gemieden habe. Aber im Juli fiel mir dann auf, dass wir auf der Piazza noch nie so viele Schmetterlinge hatten, und als dann alle Mauersegler fort waren, begannen die verschiedensten Arten paarweise ganz ungeniert zu tanzen.
"Schau mal Spatzl! So viele Schmetterlinge hatten wir noch nie!"
Souverän konterte sie:"Das macht alles mein Schmetterlingsbusch. Ich hab's dir ja gesagt!"
Jetzt, da ich wieder ganze Tage auf der Terrasse herum fläze, werde ich von den lautlosen Schönheiten umschwirrt, die sich mit ihren Rüsseln an dem noch immer blühenden Busch gütlich tun. Sie haben längst keine Angst mehr vor mir. Deshalb kann ich mich ihnen auf Nasenlänge nähern.
Ein Distelfalter kommt besonders häufig und bleibt auch länger als die anderen. Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, dass ihm der halbe rechte Flügel fehlt. Schon Anzeichen des nahenden Todes? Ein genetischer Defekt? Der erfolglose Angriff eines Fress-Feindes? Oder ist er vielleicht nur beim Entpuppen eine wenig fest geklebt? Ich weiß es nicht.
Aber ich bin begeistert, dass er im Flug nichts von seiner Behinderung erkennen lässt.
Ein Airbus kann ja angeblich auch noch mit einem Triebwerk den Atlantik überqueren, aber mit so einem Schaden am Flügel würde jedes von Menschen geschaffene Fluggerät abstürzen. Dieser Distelfalter braucht einfach nur die Frequenz zu erhöhen und tankt deshalb wohl mehr Nektar.

Man könnte also sagen, dass er quasi auch in einer weiteren Dimension der Fehl-Interpretation flattert: Dem "Schmetter-links-Effekt"...

Montag, 26. August 2013

Nach der großen Hitze

"Am letzten August-Sonntag gibt es starke Gewitter und dann beginnt der Herbst." Diese Prognose galt bislang häufig für München. Dass sie aber auch für unseren Borgo gelten sollte, habe ich unserem hiesigen Wetter-Guru vor zweieinhalb Monaten inmitten der "Schafskälte" nicht glauben wollen. Deshalb habe ich nicht gewagt, sie zu veröffentlichen.
Wie macht Don Silvio das, Wetter- und Frauen-Versteher zugleich zu sein? Zumal gestern die sensationelle Vier-Jahreszeiten-Dokumentation in der ZDF-Dokumentar-Serie "TerraX" darüber berichtete, dass Jahreszeiten sich aktuell derart verschieben, dass selbst Landwirte von ihrem zu frühen Beginn oder kompletten Ausbleiben überrascht werden.
Gut, der ehemalige professionelle Rosen-Züchter ist über 70 und hat in der langen Zeit sicher gelernt, genug Erfahrungen und Signale für seine Prognosen im Kopf zu verarbeiten. Es war ja auch klar, dass nach dem fast kompletten Ausbleiben des hiesigen Frühjahrs "il grande caldo" geradezu übergangslos um so länger dauern würde. Aber selbst das Radar der Großwetter-Lage und die ligurischen Vorhersagen gaben kein präzises Bild zu dem ab, was sich dann tatsächlich einstellte.

Die Gewitter kamen am Samstag, umkreisten uns - verwirbelt durch unsere Talkessel - derart, dass auch Blitze trocken direkt neben uns herunter krachten, aber die Burg mit den ansonsten kaum zu beherrschenden Regengüssen verschonten. Obwohl der Wind ganz schön pfiff, war keine eindeutige Richtung festzustellen. Umso erstaunlicher, dass heute morgen auf der hinteren Treppe (dem Schlechtwetter-Wind Grecale aus dem Osten zu gewandt) nur ein einziger Pflanzen-Topf umgekippt war. Ausgerechnet der schwerste von allen mit einer 150 cm hohen, eher schütteren Konifere drin. Das muss eine enorme Fallbö gewesen sein. Alle flachen Töpfe - auch auf der Piazza und der Terrasse - standen unverrückt.
Heute gegen fünf Uhr früh war der Himmel noch einmal mit schweren Wolken verhangen. Um neun war er dann aber bereits wieder blank gefegt.

Alles sieht jetzt aus, als habe ein Foto-Realist sein Gemälde aus Farbschichten geradezu heraus gemeißelt. Das ist bereits das typische ligurische Herbstlicht. Mein Morgen-Kaffee auf der Piazza war angenehm chillig und kühlte die hitzigen, schweren Träume der vermutlich letzten Sommernacht.
Klar, wird es auch nach diesem Wochenende noch mal so richtig heiß werden. Wir hatten ja auch im vergangenen Oktober Tage mit über 30 Grad, aber die Nächte machen dann eben das Atmen freier.

Der Herbst in Europa  dauere jetzt doppelt so lange wie der Winter, sagen die Meteorologen: Ein schönes Karma für all diejenigen, die bereits im Herbst des Lebens angelangt sind. Eines ist jedenfalls sicher, ohne 2012 den schönsten Herbst unseres Lebens hier verbracht zu haben, hätten die Zweitbeste und ich den grausigen vergangenen Winter samt dem triefnassen Frühjahr nicht so gut weg gesteckt.

Umstände halber, werden wird hier in der letzten September-Woche die Zugbrücke hochziehen, um Herbst und Winter in München zu verleben. Das macht mich jetzt schon traurig.  Es wird also nur noch ein paar Burg-Briefe geben, aber ich bemühe mich dann darin um so mehr Optimismus.

Freitag, 23. August 2013

Schreib-Bloggade

So etwas darf es beim Burgbriefe-Schreiben nun mal gar nicht geben!  Die weltweite Leserschaft hat absolut  ein Anrecht, regelmäßig mit Briefen versorgt zu werden.
Habe ich doch gerade wieder so eine süße Mail einer ehemaligen Burg-Bewohnerin bekommen, die schrieb, dass ihr das Heimweh nicht ganz so sehr zusetze, wenn sie die regelmäßig lese. Wie gesagt – da geht Schreib-Blockade dann gar nicht!

Aber Jesse Stone hat mich gerettet und auf eine Idee gebracht.
Jesse ist Polizei-Chef eines Countys in der Nähe von Boston. Das heißt Paradise und wird genauso mordlüstern heimgesucht, wie bei uns in Deutschland solche eigentlich friedlichen Orte wie Bad Tölz, Murnau, Rosenheim oder weiter weg in der Eifel Hengasch:
Überall übersteigt die Mordrate bei weitem prozentual  und proportional die Einwohner-Zahl.
In Paradise – wo man friedlich und ohne Mordlüsternheit Austern schlürfen, super angeln und segeln könnte - ist das nicht anders. Nur, dass der von seiner Westcoast-Tussy geschiedene Stone, sich eben, um Fälle zu lösen, abends gerne mal einen eingießt. Und das auch ungeachtet dessen tut, dass er jede Schönheit flach legt, die in den Drehbüchern auftaucht (Produzent und Drehbuchautor Tom Sellek, alias Magnum, alias Jesse Stone)...

Was hat das alles mit Obelix zu tun? Jesse/Tom ist etwa mein Jahrgang, aber er weiß nicht, dass ich ein TV-Nachmach-Junky bin. Soll heißen, wenn in einem Krimi ein super Espresso getrunken wird, rieche ich den nicht nur, sondern  kann nicht eher ruhig weiter schauen, bis ich nicht die drei Stockwerke hinunter gegangen bin, um die Espresso-Maschine anzuschmeißen. Ganz arg ist das, wenn die Protagonisten Schoko-Riegel naschen: Dann ist meine, diabetisch bedingt, unterversorgte Mundhöhle voller Schoko-Kakao-Gelüste, die vorsorglich – wegen verbotener Vorratshaltung – aber nicht befriedigt werden können… Das wirkt sich dann in etwa so aus wie die Schreib-Blockade: Ich spüre dann ein tiefes Unbefriedigtsein und leide unter Monotonie.

Gut! Als ich heute im Schlagschatten des Mittags auf meiner Bank auf der Piazza saß, und mit eben dieser Schreib-Blockade haderte, erinnerte ich mich daran, dass Jesse mir ja von gestern Nacht noch ein Highball-Glas mit großen Eiswürfeln und zwei Daumen breit Whisky schuldete. Diese Schuld löste ich ein – und siehe da: Aus wäre es beinahe mit der Blockade gewesen! Mir kam nämlich folgender Gedanke:

Wie könnte ich doch die Burg hier verändern, wenn ich überproportional eine Mord-Rate in diesen Borgo hinein schreibe? Wenn alle schönen Frauen des Capo Luogo und sogar noch die von Imperia hier hinauf  pilgerten, um meiner unermüdlichen Potenz teilhaftig  zu werden?
 – Und dann kam unser vermutlich  „tourettierender“  Burggeist laut fluchend und monologisierend sowie teuflisch lachend im Outfit eines Baseball-Pitchers auf die Piazza geschritten und  hörte nicht mehr auf zu reden...

Wenig später- auf meiner Flucht vor dem Dauergebrabbel - traf ich oben an der Santa Anna Burggeist Miro, den mit 92 Jüngsten der (bis auf eine der Zwillingsschwestern  nunmehr allesamt verblichenen) Hundertjährigen Geschwister.
„Wieso hat den da unten noch keiner umgebracht?“, fragte ich  - an meine neue, noch zu schreibende Fernseh-Serie denkend – dieses zähe Gerippe, das noch immer täglich seine Oliven bewirtschaftet:

„Wenn der Mond abnimmt, herrscht wieder Monotonie!“, gab er zusammenhanglos zu bedenken.
Sag bloß du leidest unter der Eintönigkeit hier? Du gehst doch kaum mal ans Meer oder in die Stadt nur, wenn du zu Behörden musst“, meinte ich, eine Antwort zu schulden.

„Ich doch nicht! Ich bin ja zufrieden! Ich rede von dir!“

Monotonie der Zufriedenheit – das wäre ein schöner Titel für diesen Post gewesen.


Montag, 19. August 2013

Lingua Franca

Wer es nicht verstehen kann, sollte verständlicher Weise vorrangig ein Ziel verfolgen: Die Verständigung.
In Zeiten, in denen jeder nur die entsprechenden Apps auf seinem Smartphone aktivieren müsste, klingt das vermutlich seltsam. Aber wer schon selbst nicht mehr ganz junge Leute an einem Tisch beobachtet, von denen jeder in sein Smartphone guckt, dem leuchtet ein, dass die zwar kommunizieren, aber eben nicht mehr direkt miteinander. Sie machen zwar etwas in Gemeinschaft, vielleicht sogar gemeinsam, aber sie verzichten darauf, eine direkte Gemeinsamkeit durch Konversation herzustellen. Ich finde das traurig, und es macht mich dieses tippende Schweigen langsam auch aggressiv.

Weil ich alt bin, verliere ich mich dann in Erinnerungen an meine Jugend, in der es diese ganzen Hilfsmittel noch nicht gab und ich trotzdem in der Fremde gut zurecht kam. - Selbst wenn keine der Sprachen, die ich mal gelernt hatte, verstanden wurde. Ich brauchte auch heranwachsend nur daran zu denken, wie ich als Kind vorgegangen bin, wenn ich auf unseren Reisen Spielkameraden finden wollte. Später auf einer Expedition mit Heinrich Harrer zur Inthronisation eines Rimpotche in Ladakh, erkannte ich an seinen Regeln für die Kommunikation, dass mein Prinzip der Naivität so falsch nicht war. Dort hatten wir sie allerdings nicht nötig, weil ja Harrer als ehemaliger  Lehrer des Dalai Lama fließend Tibetisch sprach. Aber bevor er die sieben Jahre in Tibet verbringen konnte, retteten sie ihm in dem vom Zweiten Weltkrieg verwirrten Himalaya das Leben:
1. Zeigen, dass man nicht feindlich, sondern freundlich und interessiert, aber nicht anbiedernd sein möchte.
2. Sich durch Zeigen gegenseitig Vorstellen und Ehrerbietung signalisieren.
3. Sich mit dem Gesprächspartner hinsetzen (keiner soll den anderen überragen).
4. Im Sitzen ein kleines Geschenk machen - auch wenn es nur eine Zigarette oder ein Getränk ist.
5. Die ersten zwanzig Begriffe von einander lernen.
6. Wenn du etwas erfahren willst, stelle keine Suggestiv-Fragen. Nichts fragen, was nur mit ja oder nein beantwortet werden könnte...

Die jüngste Forschung hat ja heraus gefunden, dass die alten Ägypter - weil sie den Bernstein für eingefangenes Sonnenlicht hielten - Expeditionen zur Region seiner Herkunft durchführten; über Land!
Was müssen das für Kommunikationsgenies gewesen sein. Denn sie erreichten auch ohne Navi und Karten-Material nachweislich die Ostseeküste.
Aber man muss ja gar nicht soweit zurück gehen. Die Welser und die Fugger sowie umgekehrt die Venezianer und Florentiner haben sich ja auch auf ihren Handelsreisen verständigen können. Zwar hatten die als Krücke die Sprache des Mittelmeer umfassenden Römischen Imperiums, aber Latein sprachen eben nur die Kleriker und die Gebildeten. Die übrigen hatten einen anderen wesentlichen Faktor als Grundlage zur Verständigung:  Zeit.

Weder in den Feldlagern noch in den Herbergen gab es Alternativen zum Gespräch - selbst wenn es rudimentär aus Gesten und einzelnen Worten bestand. Auf diese Weise entstand eine Sprache, die im Mittelalter die gesamte, damals bekannte Welt erreichte: Die Lingua Franca. Was übersetzt eigentlich die "Fränkische Sprache" heißt, weil wohl die Pfeffersäcke von nördlich der Alpen mit ihrer germanischen Liebe fürs Ordentliche auch da wieder Regeln einführten. Mir gefällt meine Deutung besser. Franca bedeutet ja auch frank und frei, denn so sollten wir miteinander ohne Schüchternheit sprechen, auch wenn wir die Sprache des jeweils anderen nicht verstehen.

Wie ich darauf komme? Durch die aktuellen Erlebnisse auf der Piazza. Nach zwei Tagen spätestens hatten hier die meisten Kids ihre Smartphones und i-Pads vergessen und spielten, indem sie sich mit einer Misch-Sprache aus Italienisch, Deutsch und Französisch das Nötige zuriefen, leidenschaftlich Verstecken, flirteten oder versetzten sich sonst wie ins Abenteuerland der Phantasie. Noch schöner war aber, dass das auch bei den Erwachsenen funktionierte:

Sabrina und Giancarlo haben hier vor dreißig Jahren bei verwegenem Spiel die Dächer  der Burg unsicher gemacht. Dabei waren noch Ingo, Danilo, Graziella und wie sie sonst noch alle hießen. Jetzt sind sie weit in den Vierzigern, kommen aber immer noch hierher. Sabrina ist in Paris verheiratet, Giancarlo als Hotelier ziemlich herum gekommen. Sogar ein Wenig Deutsch hat er dabei gelernt. Graziella war immer hier. Alle haben reichlich Kinder, die nun auch auf der Burg herumtoben.
Als Sabrina dann Besuch aus Frankreich bekam und Giancarlo noch ein Appartement frei hatte, trafen sie sich auf der Piazza. Giancarlos Freundin, eine Malteserin, die deshalb wohl überwiegend Englisch  und bei unkonzentrierter Unterhaltung mit den Kindern aus erster Ehe von Giancarlo  ein Gemisch spricht, kam auch hinzu. War das ein köstliches Durcheinander! Sabrina spricht ganz gut Italienisch, Giancarlo aber wollte ja auch sein Deutsch loswerden. Die Franzosen sprachen natürlich nur Französisch, aber dazwischen die zwei- oder dreisprachig aufgewachsenen Bambini als Stehgreif-Übersetzter: Das war ein Europa, das einem Hoffnung macht.

Übrigens. Eines meiner Lieblingsworte aus der Lingua Franca ist "Almanach". Es hat längst seine ursprüngliche Bedeutung in den diversen Sprachen verloren. Es ist eine Abschleifung des arabischen "el menachem" oder "al manechem". Das beschrieb den Platz, wo die Karawanen sich zur Ruhe trafen und ihre Treiber sich Geschichten erzählten. Das ist genau das, was der Obelix will: Geschichten erzählen von Leuten,die sich in einem ruhigen Augenblick treffen...

Donnerstag, 15. August 2013

Finalmente Ferragosto!

Wenn rund um die Burg auch die entferntesten Parkplätze so besetzt sind, dass auf der engen Straße kaum noch manövriert werden kann... Wenn jedes bewohnbare Haus hier oben zum Leben erweckt wird und auf den Gassen und den Plätzen bis in die Dunkelheit wieder mal Kinder toben... Dann ist endlich Ferragosto.

Wieso endlich? Weil danach das "dopo ferragosto!" keine Wirkung mehr hat, mit dem man von Handwerkern und bei der Beantwortung von Anfragen seit Ende Juli vertröstet wird.

Aber wir sind ja keinen Deut besser, weil wir uns auch schon mental auf diese Floskel eingelassen haben. Wir haben die Burg - wie wir das nennen - längst belagerungsfähig gemacht. Soll heißen, wir decken uns mit allem so ein, dass wir die Parkplätze nicht aufgeben müssen. Wir nutzen nämlich die schattigen Plätze unserer Autos und deren Kofferräume auch noch als zusätzlichen Stauraum für möglicherweise benötigten Nachschub an unverderblichen Waren. Klopapier, Spirituosen, tonnenweise Pasta in verschiedensten geometrischen Formen etc. etc ...

Egal ob Tag oder Nacht, gleichgültig zu welcher Uhrzeit, lauert nämlich anscheinend immer einer, der uns den letztmöglichen Parkplatz wegschnappen möchte. Sollten wir wirklich mal runter müssen, lassen wir bei der Rückfahrt bergauf garantiert keinen mehr überholen. Nicht mit uns! Seit dem frühen Mittelalter sind hier alle Bewohner erfolgreich auf Aussitzen spezialisiert. Diese Tradition führen wir fort.

Heute haben wir nur 25 Grad, und es weht ein angenehmer Grecale aus Nordnordost. Im vergangenen Jahr waren wir zu Mariä Himmelfahrt in München. Wir hatten die Stadt quasi bei einer ähnlichen Temperatur für uns alleine. Das erinnerte uns sehr an frühere Zeiten in den italienischen Zentren. Da sah es dann immer aus, als herrsche eine Wirtschaftskrise. Jeder zweite Laden war da verrammelt. Der wahre Grund stand aber auf irgend einem Zettel "chiuso per ferie". Jetzt in der Krise (die ja aktuellen Nachrichten zufolge überwunden sein soll) können sich die Ladenbesitzer das vermutlich nicht mehr leisten, weil viele heuer laut Statistik zuhause bleiben Deshalb machen viele Restaurants - wie auch unsere Freundin Carla - am Hafen mittags nicht mehr auf, weil das Vorhalten des Personals durch die paar Leutchen, die nicht am Strand Picknick machen, eben vom Umsatz her noch nicht mal ausgeglichen wird.

Für uns hat Ferragosto aber seit 2008 auch noch eine andere Bedeutung. Wir feiern den Wiedergeburtstag der Zweitbesten. Einen Herzinfarkt auf dem Höhepunkt der Ferien in Italien zu erleiden, das wäre uns vor diesem Ereignis als größtes Szenario des Schreckens erschienen. Aber die Dottori haben sie nicht nur zurückgeholt, sondern ihr in Sanremo ein paar Tage später mit ultramodernen Geräten Stents gesetzt.

Unvergesslich die Cardiologin, die im gleichen Alter wie meine Frau war: "Ihre Frau muss dringend mit dem Rauchen aufhören!" Das legte sie mir ans Herz, während sie sich auf der Freitreppe eine anzündete und tief inhalierte. Nochmals herzlichen Dank Rebecca!

Montag, 12. August 2013

Montagsgefühle

Welch spannend Ding ist doch unser Unterbewusstsein! Nur scheinbar von uns nicht zu beeinflussen, schickt es einen selbst im Alter noch in Träumen zu Schulprüfungen oder lässt uns  mitten in der Stadt wie ein Kleinkind ohne Kleider herumlaufen. Mal fallen einem alle Zähne aus, mal  muss einer im Schlaf dringend und findet kein "stilles Örtchen". Die Psychologie wollte darin therapierbare Muster erkennen, doch wer mal in die Fänge der Analyse geraten ist und sie unbeschadet überstand, weiß wie spekulativ das ganze ist; - nicht die Suggestion, sondern das, was über sie angerichtet wird. Jetzt ist es hundert Jahre her, dass sich Freud und sein Schüler Jung darüber in die Barthaare geraten sind, wie das denn alles zu deuten sei.

Die Psychologie dringt in immer weitere Felder vor, aber bringt uns das tatsächlich voran? Wir wissen, dass wir täglich ausgetrickst werden, Dinge zu tun, die wir nicht wollen: Mittels unterschwelligen Botschaften in Kaufhäusern, durch optische Impulse in suggestiven Farben oder den Zwang der Gruppe. Jetzt da die elektronischen Botschaften, das Internet und darin eingebettete Spähprogramme unser Leben in unbekanntem Ausmaß beherrschen, könnte unser Unterbewusstsein, wenn wir es denn selbst erforschen und bewusst machen wollen, zu unserem letzten Refugium im Dasein werden.

Als Burg-Analyst beobachte ich schon seit längerem die unterschiedlichen Verhaltensmuster zwischen denen, die hier für eine überschaubare Zeit Urlaub machen oder sich den Traum einer Residenz im Süden erfüllt und sich in dessen Abhängigkeit begeben haben. Das benachbarte Arztehepaar aus Wien, das ich hiermit als neue Leser begrüßen möchte, hat nach manchem Ärger beim Ausbau jetzt wohl so eine Art Zwischenstadium erreicht. Dieses Stadium hat mich 2005 nach dem kompletten Entkernen und teuren Renovierung unserer mittelalterlichen Bruchbude auch ereilt, aber ich wagte es nicht so deutlich auszusprechen wie der Herr Doktor das neulich bei unserem Cena in Piazza auf den Punkt gebracht hat: "Wissens eh. Da hat man ein Leben lang einen Traum, den man verwirklichen will. Dann ist er verwirklicht, und es folgt eine Art Ernüchterung...".

Wer "nur" hier Urlaub macht, findet seine Erwartungen stets mehr oder weniger erfüllt. Wer den Traum vom Leben hier hat, muss ihn leben können. Ich bin seit sechs Jahren jenem Stadium der Erkenntnis entwachsen, habe aufgehört zu arbeiten und bin hier her gezogen, um mich ganz auf einen neuen Alltag einzulassen. Als die auf Dauer "unerträgliche Leichtigkeit des Seins", diese unermessliche Schönheit hier verblassen ließ, waren wir glücklicher Weise in der Lage, wieder einen Gegenpol zum gelegentlichen Wohnen in der "Heimat" zu aktivieren. Man muss auch mal Urlaub vom Paradies machen können...

Das Leben in beiden Welten ermöglicht es zumindest mir, die Streiche, die mir das Unterbewusstsein spielt, besser zu ertragen:
Noch immer zeigt es mir in schlimmen Träumen an, dass es wohl besser gewesen wäre, weiter zu arbeiten. Es ereilt mich auch immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn die Urlauber von hier wieder heim müssen, weil die Arbeit ruft, während ich hier auf der faulen Haut liege.

Wirklich kurios ist jedoch das Montagsgefühl, das vielleicht auch mancher meiner werktätigen Leser spätestens am Sonntagabend hat. Obwohl uns ja in diesem Stadium unseres Lebens der Wochentag wurst sein kann, stellt sich die gespannt verkrampfte Erwartungshaltung zum Wochenanfang immer noch ein. Doppelt komisch, da ja durch großzügige Öffnungszeiten im katholischen Italien  eigentlich kein Sonntag mehr als Unterschied zum Alltag existiert.




Donnerstag, 8. August 2013

Kleine Kinder - große Kinder

Es ist wirklich herzerfrischend, was die kindliche Fantasie beim abendlichen Spielen auf der Piazza aus dessen Muster macht:
Der fünfzackige Stern in einem begrenzenden Kreis und einem etwas weiter gefasste Viereck wird zum Feld für allerhand spontan erfundene Spiele. Auf jedem Zacken steht ein Kind und muss irgendwelche Aufgaben erfüllen. Die Kinder sind im Alter von vier bis etwa zwölf. Die größeren sind  nachsichtig, wenn die kleineren  Kinder etwas nicht verstehen oder schon wieder vergessen haben. Das ganze findet in einer erstaunlichen Harmonie statt, weil die deutlich Älteste und Größte nicht dominiert, sondern moderiert. Dafür wird sie von den Kleinen so geliebt, dass sie eigentlich viel lieber mit ihr kuscheln wollen (ein Zeichen für die Unempfindlichkeit gegenüber der Hitze), als im Kreis herum zu rasen, wenn die falsche Antwort gefallen ist.
Ein Schuft, wer beim Anblick unseres Piazza-Sterns an das Hoheitszeichen der US-Airforce auf den Kampfdrohen denkt

Herzlichkeit, weil alle gleichermaßen von dem Recht an der Freude zum Spiel ausgehen können. Die Größte stellt - weil das vermutlich nicht ihrem Charakter entspricht - ihr Recht durch ein Mehr an Erfahrung dabei nicht über das der Kleinsten, die leicht zu beherrschen wären, weil sie ja noch nicht alles verstehen...

Schon ist der Blogger mal wieder in seiner aktuellen Tagesgrübelei und sinniert darüber, wann oder wodurch das beginnt - mit dem "sein Recht über das der anderen Stellen"? Er denkt da gerne an ein Vorkommnis mit seiner um sechs Jahre älteren Schwester, als beide noch im Teenie-Alter waren.:

Sie ging an den Kühlschrank und trank direkt aus einer Flasche Milch. Wenig später machte das auch ihr Bruder und wurde dafür von ihr äußerst rüde zusammen geputzt. Als er zu bedenken gab, dass ja die Schwester ein paar Minuten zuvor das Selbe gemacht habe, bekam er zur Antwort, dass das ja etwas ganz anderes gewesen sei...

Die Schwester hat übrigens die Überhöhung dessen, was sie für ihr Recht hielt, zeit ihres Lebens beibehalten, was sie selbstredend nicht besonders beliebt gemacht hat.

Also von den kleinen Kindern zu den Großen:

Barak Obama schmollt Vladimir Putin, weil er Edward Snowden Asyl gewährt hat. Seinem Untertan Bradley Manning drohen 90 Jahre Haft. Der mit Todesstrafe bedrohte Hochverrat wurde zumindest bislang für beide US-Bürger ausgeschlossen. Spioniert haben sie aber auch nicht - nur ihren Job gemacht, bis es das Gewissen nicht mehr zuließ.

Sie haben als Patrioten für ihren Staat gearbeitet, bis sie darauf gekommen sind, dass das "Land of The Free", das sie in ihrer Nationalhymne besungen haben, längst zu einer global Gesetze beugende Mogel-Packung geworden ist. Ein Verbrechen anzuzeigen, ist aber erste Bürgerpflicht. Da braucht es den schrecklichen Begriff "Whistleblower" gar nicht.

Jetzt reden also die beiden mächtigsten amtierenden Verletzer von Menschenrechten nicht miteinander, was durchaus eine Rückkehr zum "Kalten Krieg" bedeuten könnte (in dem ja auch niemand ausgeliefert wurde - oder?). Aber in Wahrheit ist es der Fakt, dass beide ihr  bereits von ihnen selbst gebeugtes Recht über das des anderen stellen:

Putin, der jeden Widersacher in vorbestimmten Gerichtsprozessen aburteilen und ins Straflager schicken lässt und Barak Obama, mit einem Vorschuss-Friedensnobelpreis geehrt, für den er alle Grundlagen schuldig bleibt. In Guantanamo wird weiter gefoltert und Freiheit ohne Prozess entzogen. US-Bürger werden als Kollateralschaden bei Drohnen-Angriffen ohne Gerichtsprozess hingerichtet. Über die gegen die meisten Verfassungen verstoßenden Abhörmethoden der NSA druckst der einstige Hoffnungsträger der freien Welt nur schwächlich grinsend in TV-Talkshows von Gesinnungsgenossen herum. Dabei hätte er doch in seiner zweiten Amtszeit wirklich etwas bewegen können. Jetzt ist er nicht besser als sein Vorgänger. Und das alles im Namen der Terror-Bekämpfung!

Wer aber für die Bekämpfung des Terrors seine Rechtsstaatlichkeit aufgibt, beschert diesem bereits den größten Sieg.

Geben Sie wenigstens Ihren Nobelpreis zurück, Mr. President! Yes, You can!

Montag, 5. August 2013

Ganz s c h ö n alt!

"Alter vor Schönheit!", haben wir als Jugendliche immer gesagt, wenn wir uns irgendwo vordrängen wollten. Gut, dass es ein Privileg junger Menschen ist, nichts vom Alter und dessen Herausforderungen zu ahnen.

Jetzt, da es auf der Burg von Kindern und Jugendlichen aller Altersklassen und Nationalitäten nur so wimmelt, wird bei dieser Hitze vor allem offenbar, dass Kinder durch sie nicht in ihrer Agilität gebremst, sondern besonders nach Sonnenuntergang eher noch beschleunigt werden. Die notti magique werden mit trappelnden Versteckspielen, kleinen Flirts und anderen Burg-Abenteuern ausgelebt. Das sind die schönsten Augenblicke des Jahres - wenn aus diesem überwiegend grabesstillen Borgo  die "italienischen Momente" erwachen. Auch eigene Erinnerungen steigen da aus dem Langzeit-Gedächtnis hoch:

Vor kurzem habe ich in unserem Supermarkt ein Zitronen-Sorbet entdeckt, das mich mit dem ersten Löffel in den damals noch kleinen Ort Domaso am Comer See zurück versetzte. Der Ort war mehrmals auf unseren Familien-Rundreisen in den 1950ern die Pufferzone zwischen dem Berg- und dem Besichtigungsteil. Meine älteren Schwestern fanden dort erste große Lieben, die erstaunlicher Weise in lebenslange Freundschaften mündeten, und ich war ein Teil der heimischen Rasselbande, die bis Mitternacht von den Müttern ungebremst ihr Unwesen trieb. Am schönsten war es, wenn wir hinter dem Freilicht-Kino ungesichert auf einer hohen Mauer sitzend berühmte italienische Schwarzweiß-Filme wie "Die Fahrrad-Diebe" seitenverkehrt sahen und dabei das wie eine Zitrone geformte Wasser-Eis lutschten...

Aber da war noch eine Begebenheit. an die ich mich gerade jetzt wieder erinnere. Einer der Spiel-Kameraden - Fulvio - hatte eine Großmutter, die ich damals für die schönste Frau der Welt hielt. Wenn sie ihr "Fuuuuuulivioooo!" durch den Ort rief, bin ich immer gleich mit gelaufen, um sie bei dieser Gelegenheit einfach nur anzuschauen. Das hat sie natürlich gemerkt und mich derart gedrückt und geherzt, wie es mir bei meiner Mutter unangenehm gewesen wäre.

Inzwischen ist mir klar, dass ich von klein auf einen ganz besonderen Blick für diese Schönheiten entwickelt hatte, denn bei der Mutter meines Vaters und bei der Kölner Tante Maria, die mich betreute, als mein geliebter Großvater - der Vater meiner Mutter - starb, erging es mir wie mit der Mutter von Fulvio.

Die perfekt üppig proportionierte Mömi - wie meine glutäugige Oma von allen genannt wurde - war, was ich zu ihren Lebzeiten noch nicht wusste, ein wilder Feger und Berliner Stadtgespräch, weil sie meist solo in ihrem Excalibur durch die Reichshauptstadt zu diversen Sportarten preschte, in denen sie dann auch noch absolute Spitze war. Tante Maria überlagert sich in der Erinnerung mit den gefilmten Bildern von Marlene Dietrich, und ich muss mich zusammen reißen, damit ich erkenne, dass sie viel schöner war als der "Blaue Engel". Ihr Antlitz war gütiger und weicher, und dass ihre Figur viel verlockender war, hätte ich in dem zarten Alter von zehn gar nicht erkennen dürfen...

Zurück zur Burg: Hier lebt - seit sie als Sekretärin einer technischen Oberschule in Imperia pensioniert ist - eine Frau, deren Name geradezu Programm erscheint: Donatella-Graziella. Sie trägt bei ihren Wanderungen um die Burg meist ein einfaches Hemdkleid und die weißen Haare ohne Schnickschnack nach hinten gebunden. Sie braucht sich nicht zu schminken, weil ihr edles Gesicht einen auch so in ihren Bann schlägt. Sie ist eine sehr gebildete Frau und hat deshalb längst gemerkt, dass sie mit uns einfaches Italienisch sprechen muss, damit wir Konversation machen können. Die allerdings fällt dann meist recht substanziell aus, so dass sich auch bei den legendären Piazza-Gelagen unsere Bekanntschaft immer weiter vertieft.

Wie meine Eltern sich immer gewünscht hatten, der Vater meiner Mutter wäre für einen gemeinsamen Lebensabend früher mit der Mutter meines Vaters zusammen gekommen, so stelle ich mir in meiner Kuppler-Fantasie vor, was Graziella und der Grandseigneuer  Silvio, der Ex-Rosenzüchter, für ein Prachtpaar ab gäben.

Von wegen Alter vor Schönheit - Alter und Schönheit ist angesagt!

Freitag, 2. August 2013

Quallen-Qual

Vor drei Tagen war es wieder so weit: Medusen-Alarm für die ligurische Küste. Ein Phänomen, dass seit 2010 unter Einbeziehung der Bevölkerung zu einer Feststellungsstudie seitens der hiesigen Meeres-Biologen geführt hat.

Nun hätten die es sich ja leicht machen und alles auf die griechische Mythologie schieben können. Denn da rankten sich ja bereits horröse Geschichten um die Ur-Medusa. Je nach geschlechtlichem Betrachtungswinkel soll die bildschöne Halbgöttin entweder von Poseidon vergewaltigt oder auf eigene Initiative im Tempel mit einem Mann herum gemacht haben. So oder so war "Pallas blauäugigte Göttin Athene" jedenfalls davon so angefressen, dass sie die aus dem Meer stammende Medusa in jenes schlangenhäuptige Ungeheuer verwandelte, dass fortan so lange durch ihr Antlitz Schrecken verbreitete, bis Perseus sie mittels einer List enthauptete. Dass aus ihrem Halsstumpf dann Pegasus entsprang, macht es aber endgültig unverständlich, wieso alle Quallen unter dem Oberbegriff Medusen "ab geordnet" sind. Seepferdchen wären da einleuchtender gewesen...

Dass die hirnlosen aber schwarmintelligenten Gallert-Geschöpfe zu einer Bedrohung für die Menschheit werden könnten, hat ja schon der deutsche Schriftsteller Frank Schätzing in seinem Roman "Der Schwarm" zu einem sehr lesenswerten Bestseller gemunkelt. Er hat nämlich recht, dass er in ihm die Umweltsünden als Hauptursache für die weltweite (nicht nur ligurische) Quallen-Qual anprangert.

Noch im Juni lag die Ufer-Temperatur  des Meeres hier deutlich unter 20 Grad, jetzt ist das Mare Mediterraneo innerhalb von nur fünf Wochen zu einem tropischen Gewässer mit idealen Lebensbedingungen für Quallen geworden. Ein auflandiger Sturm mit hohem Wellengang hatte zur Folge, dass am vergangenen Mittwoch Schwimmen - ja nur Füße zu baden - zu einem erheblichen Gesundheitsrisiko geworden war. Einen Tag später war das Wasser wieder klar und der Spuk erstmal  vorbei. Aber das wird nicht der letzte Alarm gewesen sein, weil unsere Leidenschaft für Thun in jeglicher Zubereitungsart derart für seine Dezimierung gesorgt hat, dass die verbliebenen Bestände als Haupt-Fressfeind der Quallen gar nicht mehr ihrer natürlichen Aufgabe nachkommen können.

Es geht schon längst nicht mehr nur um die traditionellen Feuerquallen. Wenn ich in den vergangenen Jahren mit meinem Kutter draußen war, konnte ich an manchen Tagen eine gewaltige Zunahme der "Portugiesischen Caravelle" (Physalia) beobachten. Das sind sogenannte Seeblasen, die sich mit einem Segel aus erhärteten Zellen dekorativ  an der Wasseroberfläche treiben lassen, aber unter sich bis zu 20 Meter lange  sehr giftige Tentakel mitschleppen...

Und dann ergab die Feststellungsstudie auch Quallen-Zuwanderungen aus dem Indischen Ozean via Suez Kanal. Werden wir dereinst an den hiesigen Stränden - wie in Australien - Sperrschilder wegen der "Seawasp" haben? Die tropische Würfel-Qualle (Cubozoa) schleppt in ihren Tentakeln eines der heftigsten Gifte mit, die das Tierreich an Toxinen zu bieten hat.

Das wäre dann wohl "die Rache der Medusa", und ich müsste meinem symphonischen Liederzyklus, an dem ich vermutlich noch über meinen Tod hinaus arbeiten werde, ein neues Ende verpassen müssen...
Libretto "Mann vom Meer" - Entwurf Deckblatt: Ölkreide auf Karton

Das Libretto samt Deckblatt wäre doch schon fertig gewesen.

Mittwoch, 31. Juli 2013

Wind-Kreuze

Bislang brauchten wir der Verwandtschaft in Deutschland nichts vorzustöhnen. Was die Hitze anging, waren die uns heuer immer ein paar Grade voraus. Wenn wir im Fernsehen die Bilder von einem der heißesten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland sahen, kam da immer irgendwie Urlaubsstimmung und Ferien-Aktivismus rüber. War das bei uns früher auch so?

Jetzt jedenfalls verfallen wir in einen Zustand, den Zoologen vermutlich als das genaue Gegenteil von Winterschlaf bei einer Spezies beschreiben, die später mal homo gerontos heißen könnte. Während sich die Feriengäste tagtäglich zum Strand hinunter begeben, führen wir ein regelrechtes Schatten-Dasein. Da sind wir auch froh, dass wir außer der Terrasse noch die Piazza vor der Haustür haben. Nur zum Gießen nach Sonnenuntergang und zum Sterne-Gucken (jetzt ist ja die Zeit der Plejaden mit jeder Menge Sternschnuppen, bei denen man sich etwas wünschen kann) ist es da in diesen Tagen auszuhalten. Noch nach Mitternacht fühlen sich ihre Fliesen an, als habe jemand eine Fußbodenheizung auf volle Pulle gestellt, und durch die vielen Pflanzen-Töpfe wabern dort auch noch Wolken blutdurstiger Mini-Bestien durch die Dunkelheit...

Die Piazza also! Haben die Burg-Baumeister von einst das in weiser Voraussicht so vorgehabt, oder ist die nach Westen offene Lage auf dem erhöhten Podest des Felsgrates einfach nur eine Anpassung an die Gegebenheiten gewesen? Jedenfalls gibt es mit dem Wandern der Sonne immer wieder ein Schattenplätzchen auf der Piazza, an dem man es eine Zeit lang selbst bei größter Hitze gut aushalten kann.

Der Burg-Baumeister aus Deutschland, der sich vor mehr als drei Jahrzehnten des zentralen Gemäuers angenommen hatte, brachte uns gegenüber eine genau ausgerichtete Sonnenuhr an, die sogar die Sommerzeit anzeigt. Allerdings ist beim derzeitigen Zenit dieser inzwischen als Blödsinn enttarnten Zeitumstellung der Schlagschatten des Burg-Daches so stark, dass die Uhr für Stunden außer Funktion ist (siehe Foto rechts oben).
Aber wir haben - da unsere Armbanduhren an Burg-Tagen ausrangiert sind - ja auch noch die Glocken von Santo Stefano. 
Wenn es um diese Tageszeit dann selbst im Schatten nicht mehr aus zu halten wäre, gibt es eine weitere Option: die Wind-Kreuze...

Unsere drei Hauptgassen führen nahezu parallel von Süden nach Norden den Berg hoch. So gibt es - egal ob überhaupt ein Wind geht - allein durch die steigende Thermik einen steten Hauch. Da die Piazza drei überschattete Ausgänge hat und nach Westen offen ist, entstehen zusätzliche Strömungen, die sich an bestimmten Stellen kreuzen. Dorthin stelle ich dann meinen Stuhl und genieße quasi eine natürliche Klima-Anlage, damit mein von der Hitze zermatschtes Hirn sich solche langweiligen Hundstage-Posts ausdenken kann wie diesen hier...

Samstag, 27. Juli 2013

Der Tigermücken-Club

Seit mein Computer wieder mehr schlecht als recht funktioniert, erreichen mich auch wieder direkte Mails von den paar verbliebenen Burgbriefe-Lesern:
"He Obelix, was schreibst du immer von deinem Menschen-Zoo? Wo doch deine anderen zoologischen Geschichten viel spannender sind. Zum Beispiel die über die Hühner - vor allem mit dem Hinweis auf deine tolle Suppe..."

Also gut, schließlich ist das Ego eines Bloggers schon auch irgendwie von Zugriffszahlen abhängig. Hier also die neuste tierische Geschichte aus unserem alten Gemäuer:

Die Verbreitung von Angst  erzeugenden Geschichten greift gerne unter den Burg-Frauen und -Fräulein um sich. Und zwar mindesten so rasant, wie die sich angeblich epidemisch in Italien (und nur in Italien?) ausbreitende Tigermücke.

Es begab sich, dass die Zweitbeste eines späten Morgens mit zur Sonne gewandtem Rücken erwachte und aussah wie eine Krater-Landschaft beziehungsweise eine Götterspeise mit Vanille-Sauce. Sie hat wegen ihres reichlich vorhandenen süßen Blutes schon manchen Spott ihres diabetischen Mannes ertragen müssen, der deswegen erstaunlich oft - neben ihr liegend - verschont wurde. Wir hatten ja leider kein Internet, um die sich ausbreitendes Furcht noch zu beschleunigen. Aber zum Glück gibt es ja Telefon: Die berühmte, dauernd betroffene Tante B. aber auch die schönste aller meiner Töchter sind hervorragende Rezipienten für Geschichten des täglichen Ungemachs. Vor allem Töchterchen heizte die Angst vor dem drohenden Dengue-Fieber auf der Burg noch an - wo wir doch direkt neben dem Brunnen hausen und die Zweitbeste ja auch täglich für gute Brutplätze durch ihr exzessives Gießen der Piazza-Blumen sorgt.

Vorgestern also unsere reunione mensile di vicini - das Abendessen mit der Nachbarschaft auf der piazza castello: Diesmal waren es mehr als 40 Teilnehmer; darunter ein deutliches Übergewicht an Burgfrauen und -Fräulein, die das Tigermücken-Thema derart emphatisch aufnahmen, dass ich dem des Deutschen mächtigen Teil die sofortige Gründung eines Tigermücken-Clubs empfahl.

- Analog zum bereits bestanden habende Tigerenten-Club: Verständnisloses Anstarren, und wieder einmal kam ich mir vor wie der Entenhausener Universal-Wissenschaftler Daniel Düsentrieb, der in den Mickymaus-Heften ja immer wieder seinen Nerd-Humor unter Beweis zu stellen hatte; beispielsweise die Erfindung von Schwarzlicht, dass er erfand, um helle Räume dunkler zu machen.

Damit ich also nicht ganz dumm da stand - als alter Sack aus längst verflossenen Comic-Tagen, gab ich die Kurz-Version von der hölzernen Tigerente, die der geniale Maler, Zeichner und Schriftsteller Janos einst in den 1970ern und 1980ern auf eine Reise ins schöne Panama schicken wollte und die später für Kinder auch fernsehtauglich weiter entwickelt wurde... Das kam nicht gut an. Wieder einmal stand der Obelix als völlig unempfindlich für wahrhaft begründete weibliche Ur-Ängste da.

Vielleicht wäre das der Zeitpunkt gewesen, im Kerzenlicht in gebotener Dramatik mein Hemd vom Körper zu reißen, um meinen breiten Rücken zu präsentieren: Der war längst so erblüht, dass er die berühmte Chaine of Craters Road auf Hawaii in den Schatten gestellt hätte. Mauna Kea und Mauna Loa  oder sollte ich besser sagen Vesuvio, Etna und Stromboli standen da schon kurz vor dem Ausbruch...

Aber was verstehen denn Männer schon?

Donnerstag, 25. Juli 2013

Die Versuchung bedingt die Vertreibung

Das mit Adam und Eva aus der Bibel ist im Prinzip eine Parabel darüber, dass der Mensch immer  wieder Schwierigkeiten haben wird, mit dem zufrieden zu sein, was er hat.
Auf der anderen Seite – also jenseits des Gartens Eden – gibt es aber auch ohne die einschlägigen Eigenschaften vom Baum der Erkenntnis Entwicklungen, die jene nicht verpassen sollten, die fest daran glauben, dass Veränderungen auch etwas bewirken könnten...

Am vergangenen Sonntag, waren wir mit Paula und Paul in der Nähe vom Nava-Pass in dem Örtchen Cosio D’Aroscia. Dort findet jeweils am dritten Wochenende im Juli die Fiera delle Erbe statt, aber das wussten wir eigentlich nicht. Wir hatten den Tipp bekommen, mal bei Da Maria so einem ligurischen Dauer-Gelage beizuwohnen: Gefühlte 20 Gänge (irgendwann zählt man einfach nicht mehr mit), ordentliche Hausweine in Rot und Weiß, Mineral- oder Brunnenwasser, Kaffee, Grappa und Limoncello – tutto compreso für 25 Euro pro Nase. Da kann  über ein, zwei Speisen, die dem teutonischen Gaumen nicht so mundeten, absolut hinweg gesehen werden. Die Fahrt hätte sich also in jedem Fall gelohnt.

Aber durch die Fiera war der malerische Ort nicht nur herausgeputzt und in Festtagslaune, sondern bot auch ein reichhaltiges Programm. Da hat es natürlich nicht geschadet, dass das schmucke Stadtbild wie eine kostbare Brosche - bedingt durch das regenreiche Frühjahr – im geradezu explodierenden Grün der steilen Bergflanken prangte.

Die Besucher wurden mit angebrachten Pfeilen durch den Ort gelenkt, der in der Zeit der Ottonen im frühen Mittelalter bereits erstmals erwähnt wurde. Es spielte sogar ein Wander-Trio Musik aus jener Zeit, während Kids auf einer anderen Piazza live Gruppen-Disco-Dance übten. Dazwischen gab es Stände zum Verkosten oder liebevoll gestaltete Stationen aus der alten Handwerkszeit.

Paul, der selber einmal einen Handwerksbetrieb gehabt hat, schwärmte aber vor allem von der handwerklichen Liebe zum Detail bei der Ausgestaltung des Ortes: Die Bepflasterung zwischen den historischen Gemäuern war ohne Makel. Brunnen waren nicht einfach aufgeschraubte Wasserhähne, sondern  mit alten Armaturen verschönert worden. Und wenn es zwischen den liebevoll restaurierten Gebäuden doch mal einen Leerstand gab, fiel er nicht sonderlich auf, weil eben keine Bretter-Verschalungen oder Plastik-Folien die Atmosphäre verschandelten. Kaum zu glauben, dass dieser Ort zweimal komplett zerstört und auch schon mal in der Gegenwart quasi aufgegeben war...

Uns wurde versichert, Cosio D’Aroscia atme nicht nur an Festtagen volles Leben, weil die Einheimischen aber auch die überwiegend aus Italien Zugezogenen sich engagiert um den Ort kümmerten.

Als wir heim in unseren Borgo kamen, fielen uns als erstes die verrottete Böden unserer Gassen auf. Auch wir haben schön restaurierte Häuser, aber dazwischen eben ruinenhafte Leerstände mit zugenagelten Fensterhöhlen, an die wir uns (leider) gewöhnt haben. In Zeiten der Krise gibt es wenig Hoffnung, dass sich daran so bald etwas ändern wird, weil die Struktur in unserem Borgo eben eine andere ist. Wir sind zwar nahe am Meer, aber bieten keine wirkliche Alternative zum Strandleben, während auf Höhe des Nava-Passes tatsächlich so eine Art gebirgige Sommer-Frische stattfindet.

Paul und Paula sind - wie die meisten anderen ausländischen Hausbesitzer höchstens zweieinhalb Monate hier, auch die Zweitbeste und ich bringen es ja selten auf mehr als  sieben Monate. Die Einheimischen  aber auch die neuen Burg-Geister sind alle bereits im fortgeschrittenen Alter. Kinder und Jugendliche gibt es - selbst im Capo Luogo kaum. Dennoch hat die Gemeinde – wohl für eine andere Zukunft – dort zwei große Sportplätze anlegen lassen, auf  denen niemand spielt und die sich die Natur beginnt, mit Kohorten massivem Unkrautes zurück zu erobern...

In Zukunft wird der Linienbus nach einem Fahrplan verkehren, der die 12 Kilometer in die Stadt hinunter zu einer Halbtages-Reise macht. Von den ehrgeizigen Kultur-Plänen unserer schönen Bürgermeisterin ist jetzt – in Zeiten des  elektronischen Umbruchs am Buchmarkt  - die Idee geblieben, im ehemaligen Kinder-Asyl eine Bibliothek zu eröffnen; für wen, und durch wen geführt?

Seht Ihr! So schnell gerät einer in Versuchung, sich über ein einzigartiges Paradies Gedanken zu machen, die einen leicht über Vertreibung nachdenken ließen. Sind wir doch zufrieden, dass wir noch die Möglichkeit haben, etwas zu ändern...



Dornjasminchen

Es war einmal ein Mann, den selbst Wohlwollende nicht als Märchenprinzen bezeichnen wollten, aber er lebte auf einer Burg und ward dort einigermaßen wohl gelitten. Kein Typ zum Pferdestehlen, aber zum exzessiven Wildschwein-Fressen hätte er getaugt, wenn seine jagenden Nachbarn ihm denn von denen mal eines abgegeben hätten...

Es gingen die Jahre ins Land, und weil sich unser Held immer mehr in seine virtuelle zurück zog, gab er der realen Welt Gelegenheit zum Vormarsch. Das schuf diverse Feindbilder, von denen es jedoch keines schaffte, ihn derart herauszufordern wie die kletternde Variante des ansonsten so herrlich duftenden Jasmins. Beharrliche Burgbrief-Leser werden jetzt in verblasster Erinnerung aufstöhnen: „Nicht schon wieder das Klagen über grenzenloses Wachstum!“

Aber das muss doch mal geschrieben werden! In Zeiten der Krise, wo sich alles und alle zurücknehmen, glaubt ein in schrofigem Fels wurzelnder Jasmin, er könne sich alles herausnehmen – quasi ohne Rücksicht wuchern und wachsen. Was hat der Mann von der Burg nicht alles unternommen, um der Okkupation durch dieses doch eigentlich unterversorgte Gewächs Herr zu werden.

Nächtens rückte er ihm mit der deutschen Gardena-Gartenschere auf den rankenden immer blühenden Pelz. Aber was so ein italienischer Jasmin ist, ignoriert natürlich derart teutonisch eingrenzendes Unterfangen. Der Hydra gleich, produzierte er für jede abgeschnittene Ranke zwei neue. Und er wusste, wo er seinen Feind zu stellen hatte; in dessen Arbeitszimmer.

Vor Halbjahres-Frist noch brutal gekappt, war er im April schon wieder auf Augenhöhe mit seinem Widersacher. Der riss zwar noch brutal die Schlagläden aus der lähmenden Umklammerung, aber konnte dann doch nicht verhindern, dass Ende Mai die Fenster schon zugewuchert waren und die vielen herein drängenden Blüten nur  ein schwacher Ausgleich für das schwindende Tageslicht waren.

Dann passierte etwas, das den bereits aussichtslosen Kampf endgültig zu einer vernichtenden Niederlage  machte: Ein Crash des Burg-Computers schnitt unseren Mann komplett von der Welt da draußen ab. Die vorübergehende Aufgabe seines Arbeitszimmer nützten die Kohorten des Kletter-Jasmins gnadenlos aus. Weil die Hitze ein Schließen der Fenster nicht zuließ, rissen sie die Fliegengitter ein, wucherten über Drucker und Fax und erreichten vor kurzem den Schreibtisch, die Tastatur, sowie den Bildschirm. Ganz tief aus dem grünen Gerank flimmert nun nur noch das blaue Lichtlein eines in der Agonie speichernden Motherboards. Wird irgendjemand irgendwann diese letzte Nachricht lesen?


„Hallo? Ist da draußen irgendeine beherzte Prinzessin, die mich hier raushaut? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Euer Dornjasminchen – Mann, ist das heiß hier!“

Ein Weihnachtsmann im Juli

Die Älteren unter den Burgbriefe-Lesern werden sich vielleicht noch erinnern, dass wenn in den 1950ern ein Autofahrer den anderen mit „Sie Weihnachtsmann Sie!“ beschimpfte, es beinahe gekracht hätte. Derart von Kindheitserinnerungen getrübt, war mein Verhältnis zu dieser rotnasigen, weißrot gewandeten Kunstfigur stets eine ambivalentes. Eigentlich bis heute.

Daran hatte auch die von der Zweitbesten für mich ersonnene Rolle als Weihnachtsmann/Nikolaus nichts geändert.  Für unsere Kinder und die sie umgebende, gefühlte 50 Rangen umfassende Rasselbande, die sich einige Jahre am 6. Dezember bei uns einfand, musste ich ran.

An einmal erinnere ich mich besonders: Unser Garten war zum frühen Zeitpunkt tief verschneit, und damit es so aussah, als sei der Alte im Bademantel tatsächlich unversehens im unberührten Schnee gelandet und polternd an die Terrassen-Tür gestapft, war ich mit der Leiter über den Nachbarszaun gekommen. Leider waren mein Haupthaar und der Bart damals noch nicht weiß. Weshalb ich ein aus Glaswolle bestehendes Ungetüm und aus dem selben Material aufgeklebte Brauen im Gesicht trug. Der Schweiß lief in derartigen Strömen, dass die Glaswolle regelrecht den Bach runter ging, und mein vorlauter Sohn krähte: „Das ist ja der Pappi.“

Nur sein bester Freund wollte das nicht glauben, blieb weiter in Ehrfurcht erstarrt und  hörte sich beeindruckt an, was ich ihm aus dem Goldenen Buch vorlas. In zwei Monaten heiratet der mittlerweile über 1,90 große Lackel einen blonden Engel. So lange ist das her!

Die aktuellen Schweißströme, die heute vom lichter werdenden Haar in das Weiß meines Bartes rinnen, gemahnen mich ans Hier und Jetzt und daran, dass mich der Weihnachtsmann in meiner Wahlheimat wieder eingeholt hat.

Ich mache mich durch das Leben auf der Burg ja wirklich rar. Aber zweimal pro Woche steige ich doch herab, um turnusmäßig Dinge zu erledigen. Dazu gehört, dass ich Entkalker für die Heizung kaufen und einen Inspektionstermin bei der sie betreuenden Firma vereinbaren muss. Ich brauche dazu weder eine Vertragsnummer noch nenne ich meinen Namen. Denn kaum trete ich meist sommers durch die Bürotür, kreischen die drei Grazien, die den Laden schmeißen: „Babbo Natale! Babbo Natale!“ Und dann muss ich erst mal lange von dem Land im hohen Norden erzählen, während sie auswendig meine Daten im Computer aufrufen...

Geht die Zweitbeste mal alleine über den Markt, wird sie mittlerweile mehr als einmal gefragt, wo denn ihr Babbo Natale stecke.

Mich trifft angesichts dieses einprägsamen Signalements (Obelix bin ich ja auch nicht los geworden) die schreckliche Erkenntnis, dass ich die uns drohende Altersarmut so weder als Spion noch als Bankräuber mildern könnte. Stellt Euch nur mal vor, ich raube – was  mir gut zu Gesicht stünde - die Banca Ambrosiana aus...

Die Carabinieri bräuchten ja nur das Personal zu befragen:

„Das war der Babbo Natale, der wohnt hoch in den Bergen an einer Piazza, über der noch im Juli der Weihnachtsstern hängt!“

Die Hühner sind los!

Wenn alle hier eine Ortsveränderung vornehmen, weil sie Ferien haben, weshalb sollten wir dann noch  zu Hause bleiben? So dachten sich das wohl drei der schönsten Hühner des Borgos und machten sich in der Dämmerung auf den Weg...

Ihre Herrin Gutemiene weilt ausgerechnet bei den Römern, während Majestix in Imperia die Panini verdienen muss. Wer immer die Prachtweibchen füttern sollte, hatte die Käfigtüre offen gelassen. Also wanderten die drei gefiederten Grazien den Weg von der Piazza Santa Anna hinunter zum Castello – wohl ahnend, dass die immer sorgfältig gießende Zweitbeste in den mittlerweile mannigfaltigen Blumentöpfen allerhand leckeres Getier als Speiseplan-Ergänzung zur eintönigen Körner-Diät heranzüchtet.

Und was das für ein Gegacker und Getratsche bei jeder Begutachtung einer Leckerei war! Da wurden die weiß gefiedert ondulierten Köpfchen ruckartig zusammen gesteckt und jeweils Meinungen eingeholt. Ja Köpfe zusammenstecken, das können die Hühner! Und als seien sie sich der eigenen Wirkung bewusst, setzten sie sich eitel knusperbraun in leuchtend rote Geranien-Töpfe und sahen aus wie verwegene Hut-Kreationen.

Um ehrlich zu sein, das sah tatsächlich aus, als gehörte es so. Aber es kann das schönste Huhn ja nicht in Frieden leben, wenn es den besorgten Nachbarn nicht gefällt. Und so nahm die Ketten-Reaktion ihren Anfang: Die Zweitbeste rief nach der Seelenfängerin (als sei die auch für geflügelte anime zuständig):“Polli, polli in piazza!“

Die Seelenfängerin rief Vittorio, der ja bekanntlich einen ganzen Stall voller Hähne und Hühner hatte, als es ihm noch besser ging. Doch Vittorio weilte zum Morgen-Kaffee unten bei der Girasole. Also musste Signora Eddas Nepote von der Baustelle der Santa Anna her, und im nu waren vier, fünf Leutchen hinter den drei als fleißig bekannten Legehennen her.

Doch bitte! Das mit den dummen Hühnern ist ein Vorurteil von Stadtmenschen. Die drei Burg-Brüterinnen jedenfalls ruckten kurz mit ihren Köpfen und legten ihren Galopp-Gang ein, um unter dem Torbogen von einem der drei Piazza-Ausgänge zu verschwinden.

Zickezacke Hühnerkacke waren sie in einem vorher ausgekundschafteten Stall verschwunden und blieben dortselbst – unerreichbar für Besen und längste Arme...

Seither sind einige Tage vergangen. Anstatt sich mit Bongiorno zu begrüßen, stellen sich die Burg-Geister nun die Frage, ob man etwas von den Hühnern gehört oder gesehen habe.
„Ja, sie waren vorhin gemütlich in der Via Colombo unterwegs, aber als sie mich sahen, waren sie sofort verschwunden.“

Man macht sich Sorgen wegen möglichen Begegnungen der unangenehmen Art. Was wenn Lazaro und Ginger, die samtpfotigen Jäger,  über die Hühner herfallen? Auch aus der Luft drohen ja Angriffe des Rauhfuß-Bussards, des Poiana Calzata.

Komisch, dass da keiner den zynischsten Räuber von allen im Kalkül hat: den ansonsten auf Wildschweine spezialisierten Obelix. Dem kam doch tatsächlich beim Anblick dieses herrlichen Federviehs seine legendäre Hühnersuppe La Belle Poule in den Sinn. Eine einzigartige Essenz aus möglichst fettem Hühnerfleisch, Hummerscheren und Sommertrüffeln – abgeschmeckt mit Estragon, Zitronengras und geriebenem, frischem Ingwer...

Aber dafür ist es ja viel zu heiß!

Dienstag, 16. Juli 2013

An Tagen wie diesen...

Herrlich! Mein Computer ist kaputt. Deshalb kann ich auch Bayern3 via Webradio beim Schreiben nicht mehr hören. Der Sender spielte bis zum Crash seit einem Jahr gefühlte hundert Mal pro Tag diesen Song von den „Toten Hosen“. Campino, den ich ansonsten sehr schätze, wird mir nicht böse sein, wenn ich seinen allein auf  kommerziellen Erfolg ausgerichteten Song als für  tote Hosen nicht adäquat bezeichne. - Selbst wenn normaler Weise nächtens auf den sommerlichen Rhein-Terrassen zumindest wollene Hosen getragen werden sollten...

Da merkt ein betagter Edelpunker wie ich eben auch, dass die ehemalige Punk-Band noch so gar nicht „tote Hose“ ist. Die Jungs – selbst schon über fünfzig - sind wohl noch voller Saft und Kraft. Wer würde sich sonst songtextlich noch zu einem derartigen Massenauflauf mit lauter Musik verabreden.

Allein schon die Vorstellung, ich müsste die figürlich etwas ausgeuferte Zweitbeste bei der aktuellen Hitze nur mal quer über die Piazza zur Musik des Professoren-Paares tragen, verursachte ja schon einen virtuellen Herzinfarkt.

Ich bin nämlich wirklich eine wahrhaft tote Hose, und an Tagen wir diesen mit 35 Grad im Schatten noch nicht einmal erinnerungsmäßig zu irgendwelchen Minnediensten fähig. Ich will eingedenk des Frühjahrs hier aber  gar nicht meckern.

Es ist herrlich! Aber Tage wie diese muss ich schon sehr dosiert angehen: Nach der morgendlichen Dusche setzte ich mich kurz ins kühle Treppenhaus, damit ich nicht gleich wieder klatschnass bin. Den Morgen-Cappuccino nehme ich auf der Schwelle des noch im Schatten liegenden Nachbarhauses. Dieser Platz ist eigentlich für den Nachbarn Vittorio reserviert, den man aber an Tagen wie diesen überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommt. Gefrühstückt wird drinnen im kühlen Esszimmer, und dann geht jeder seiner (Schleich)Wege.


Nur wegen der Temperaturen habe ich nach über einem Jahr Pause wieder mit dem Malen angefangen, denn tatsächlich ist mein Cantina-Studio der Kältepol unseres kleinen Burg-Universums. Daran, dass mehr Farbe an meinen Händen klebt, als gestaltet auf die Leinwand gehört, erfahre ich, dass es noch ein weiter Weg sein wird, bis der Wiederanfang tatsächlich einer sein wird. Aber wir haben ja gerade erst Mitte Juli. Da warten noch viele Cantina-Tage auf mich.

Auf Entzug

Manchmal kann die Zweitbeste so provozierend praktisch sein. Da heule ich in die geborstenen Eingeweide des Burg-Computers, und sie sagt im Vorbeigehen:
„Ja, dann schreib doch einfach mal wieder mit der Hand!“

Herrliche cyberspacige Naivität – kein Internet, kein Blog, kein Post. So sieht sie aus - die traurige Realität. Ganz abgesehen davon, dass ich nur noch so selten mit der Hand schreibe, dass die Glückwünsche auf eventuellen Geburtstagskarten auch für mich ein so unleserliches Gekrakel abgeben, dass sie auch Verfluchungen sein könnten...

Nun möchte man meinen, dass der Mensch im Älterwerden so manchen Entzug durchmacht um folgende schneller überwinden zu können: Dass der Sport nicht mehr so geht, die Wichtigkeit durch den Beruf fehlt, die einst herausragenden Leistungen als „latin lover“ eher zur „Ochsentour“ geraten (um es dezent auszudrücken), und dass im Vorfeld dazu auch noch das Hinternzwicken heißblütiger Italienerinnen ausbleibt.

Aber das Schreiben in diesen Tagen ist ein so bequemer Genuss geworden, dass die Komplikationen infolge eines Computer-Crashs mich härter getroffen haben, als ich zunächst wahrhaben wollte.

Die Not macht jedoch auch erfinderisch. Der alte Computer der Zweitbesten, der einst der Buchhaltung diente, ist zwar allein auch nicht mehr internet-tauglich, aber bei ihm funktioniert das „Word“-Programm wenigstens. Also sitze ich jetzt an dieser Kiste, um meine Posts zu verfassen. Dann schiebe ich das geschriebene Dokument auf meinen USB-Stick und warte, dass meine liebe Freundin und Nachbarin Petronella bei ihrem Job an der Rezeption eines Grand Hotels entweder einen freien Tag oder eine Schicht hat, die es mir erlaubt, über ihren Computer an meinen Blog zu kommen.

Das hat noch zwei Vorteile: Ich lerne dabei die adäquaten Befehle auf der italienischen Tastatur und bekomme dazu einen ihrer herausragenden Espressi serviert.

Meine Leser haben allerdings bis zum Ende der Saison hier den Nachteil, dass sie die Posts jetzt immer in Portionen  bekommen, und ich in der Statistik so nicht erkennen kann, wie der einzelne jeweils angekommen ist. Ich habe mich nämlich entschlossen, den alten Burg-Computer nicht mehr zu reparieren, sondern stattdessen einen neuen Zwilling des Glashaus-Computers für die Burg anfertigen zu lassen...


Von wegen Entzug! Von wegen mit der Hand schreiben! Ich doch nicht!

Keinen Bock?

Wer erleben darf, wie sich ein Konzept seines Lebens realisiert, der sollte daraus zweierlei lernen:
Erstens, dass so viel Glück zu haben, ein Privileg ist und zweitens, dass das eigene, erfolgreiche Konzept für andere auch zur Belastung werden kann.

Durch meinen Schwager hatten die Zweitbeste und ich in den 1970ern den höchstmöglichen Einstieg in die Italienische Gesellschaft. Mit den Brüdern Paolo und Michele, Söhne eines Stahlmagnaten, der auch als Vater ein Despot war, machten wir Party, fuhren gemeinsam in den Urlaub und teilten - so gut es ging - Freud und Leid. Dann wurde geheiratet, und es kamen die Kinder, derenthalben man sich eine wenig aus den Augen verlor.

Anlässlich einer Reportage über ihre Heimatstadt sahen wir uns dann wieder. Es waren die 1980er und die Zeit terroristischer Entführungen. Beide fuhren nun in gepanzerten Limousinen und hatten eine entsicherte Automatik unterm Sitz. Einfach in eine Bar gehen, ging nicht mehr. Da mussten schon die Pantere Grigi  (Italiens GSG9) in der Nähe sein.

Paolo hatte sich schon immer die Frage gestellt, wieso einer, dessen Vater einen Stahl-Konzern besitzt, deshalb in seine Fußstapfen treten müsse. Michele ging es nicht anders. Dabei waren Paolo, der Ältere, der die Technologie leitete und Michele, der die kaufmännische Seite regelte, wider Willen auch noch erfolgreich.

Alt wurden beide nicht. Kaum war der immer trauriger werdende Paolo in seinen Vierzigern angelangt, raffte ihn Kehlkopfkrebs dahin, und der scheinbar immer heitere Michele jagte sich eine Kugel durch den Kopf. Das Konzept des Vaters war nicht aufgegangen.

Es muss an der Hitze gelegen haben, dass mir das gestern justament durch den Kopf schoss (?!), als eine sechsköpfige Familie ihre Utensilien für einen langen Urlaub auf der Burg über die Piazza zu ihrem wunderschönen, angemieteten Ferienhaus schleppte. Nach der zweiten Runde verkündete der Älteste – so um die zwölf:
„Ich habe keinen Bock auf das hier.“
Sein Vater reagierte erstaunlich entspannt – jedenfalls gemessen an meinen Reaktionen in solchen Situationen damals:
„Dann setzt du Dich jetzt hier an den Brunnen und schaust dich um. Das ist doch alles ganz spannend hier!“
Der Knabe ließ sowohl durch Körpersprache als auch durchs Minenspiel erkennen, wie ätzend er die alten Gemäuer fand. Ist vielleicht auch schwierig, fantasiebegabt zu sein, wenn man beim Dungeons-and-Dragons am Computer ganz andere Burg-Spannung gewohnt ist. – Wir werden sehen, ob das Ferien-Konzept des Vaters am Ende aufgegangen ist...

Mein Sohn war im gleichen Alter, meine Tochter bereits frühreife 14 als wir vor genau zwanzig Jahren in Bellissimi oberhalb von Dolcedo – zwei Täler weiter westlich unsere Liebe zu Ligurien entdeckt hatten. Obwohl Bellissimi nicht annähernd so romantisch war wie unser Borgo, waren beide von Anfang an Feuer und Flamme für diese Wehrdörfer. Diese Begeisterung unserer Kinder war auch die Triebfeder als wir sieben Jahre später das Haus hier an der Piazza gekauft haben und dann einrichten mussten. Was haben die Kids geschleppt und sogar den Möbelwagen von Deutschland hin und her gefahren. Seither ist es für sie immer ein Fest, wenn sie es schaffen, auf die Burg zu kommen. Aber nun – im richtigen Leben angekommen – hindert sie die sehr eng gewordene Berufswelt, das auszuleben, und Enkel wird es vermutlich auch nicht mehr geben...


So ist das mit Konzepten. Man muss den Augenblick leben und dankbar sein. Wenn der Boanl kommt (Kurzform für Boandlkramer – so heißt der Tod auf Bayrisch), dann bleibt eh nur diese letzte Erkenntnis von allen Konzepten: Omni mecum porto – alles Meinige trage ich bei mir. Der Boanl lässt nämlich „keinen Bock“ nicht gelten!