Mittwoch, 31. Juli 2013

Wind-Kreuze

Bislang brauchten wir der Verwandtschaft in Deutschland nichts vorzustöhnen. Was die Hitze anging, waren die uns heuer immer ein paar Grade voraus. Wenn wir im Fernsehen die Bilder von einem der heißesten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland sahen, kam da immer irgendwie Urlaubsstimmung und Ferien-Aktivismus rüber. War das bei uns früher auch so?

Jetzt jedenfalls verfallen wir in einen Zustand, den Zoologen vermutlich als das genaue Gegenteil von Winterschlaf bei einer Spezies beschreiben, die später mal homo gerontos heißen könnte. Während sich die Feriengäste tagtäglich zum Strand hinunter begeben, führen wir ein regelrechtes Schatten-Dasein. Da sind wir auch froh, dass wir außer der Terrasse noch die Piazza vor der Haustür haben. Nur zum Gießen nach Sonnenuntergang und zum Sterne-Gucken (jetzt ist ja die Zeit der Plejaden mit jeder Menge Sternschnuppen, bei denen man sich etwas wünschen kann) ist es da in diesen Tagen auszuhalten. Noch nach Mitternacht fühlen sich ihre Fliesen an, als habe jemand eine Fußbodenheizung auf volle Pulle gestellt, und durch die vielen Pflanzen-Töpfe wabern dort auch noch Wolken blutdurstiger Mini-Bestien durch die Dunkelheit...

Die Piazza also! Haben die Burg-Baumeister von einst das in weiser Voraussicht so vorgehabt, oder ist die nach Westen offene Lage auf dem erhöhten Podest des Felsgrates einfach nur eine Anpassung an die Gegebenheiten gewesen? Jedenfalls gibt es mit dem Wandern der Sonne immer wieder ein Schattenplätzchen auf der Piazza, an dem man es eine Zeit lang selbst bei größter Hitze gut aushalten kann.

Der Burg-Baumeister aus Deutschland, der sich vor mehr als drei Jahrzehnten des zentralen Gemäuers angenommen hatte, brachte uns gegenüber eine genau ausgerichtete Sonnenuhr an, die sogar die Sommerzeit anzeigt. Allerdings ist beim derzeitigen Zenit dieser inzwischen als Blödsinn enttarnten Zeitumstellung der Schlagschatten des Burg-Daches so stark, dass die Uhr für Stunden außer Funktion ist (siehe Foto rechts oben).
Aber wir haben - da unsere Armbanduhren an Burg-Tagen ausrangiert sind - ja auch noch die Glocken von Santo Stefano. 
Wenn es um diese Tageszeit dann selbst im Schatten nicht mehr aus zu halten wäre, gibt es eine weitere Option: die Wind-Kreuze...

Unsere drei Hauptgassen führen nahezu parallel von Süden nach Norden den Berg hoch. So gibt es - egal ob überhaupt ein Wind geht - allein durch die steigende Thermik einen steten Hauch. Da die Piazza drei überschattete Ausgänge hat und nach Westen offen ist, entstehen zusätzliche Strömungen, die sich an bestimmten Stellen kreuzen. Dorthin stelle ich dann meinen Stuhl und genieße quasi eine natürliche Klima-Anlage, damit mein von der Hitze zermatschtes Hirn sich solche langweiligen Hundstage-Posts ausdenken kann wie diesen hier...

Samstag, 27. Juli 2013

Der Tigermücken-Club

Seit mein Computer wieder mehr schlecht als recht funktioniert, erreichen mich auch wieder direkte Mails von den paar verbliebenen Burgbriefe-Lesern:
"He Obelix, was schreibst du immer von deinem Menschen-Zoo? Wo doch deine anderen zoologischen Geschichten viel spannender sind. Zum Beispiel die über die Hühner - vor allem mit dem Hinweis auf deine tolle Suppe..."

Also gut, schließlich ist das Ego eines Bloggers schon auch irgendwie von Zugriffszahlen abhängig. Hier also die neuste tierische Geschichte aus unserem alten Gemäuer:

Die Verbreitung von Angst  erzeugenden Geschichten greift gerne unter den Burg-Frauen und -Fräulein um sich. Und zwar mindesten so rasant, wie die sich angeblich epidemisch in Italien (und nur in Italien?) ausbreitende Tigermücke.

Es begab sich, dass die Zweitbeste eines späten Morgens mit zur Sonne gewandtem Rücken erwachte und aussah wie eine Krater-Landschaft beziehungsweise eine Götterspeise mit Vanille-Sauce. Sie hat wegen ihres reichlich vorhandenen süßen Blutes schon manchen Spott ihres diabetischen Mannes ertragen müssen, der deswegen erstaunlich oft - neben ihr liegend - verschont wurde. Wir hatten ja leider kein Internet, um die sich ausbreitendes Furcht noch zu beschleunigen. Aber zum Glück gibt es ja Telefon: Die berühmte, dauernd betroffene Tante B. aber auch die schönste aller meiner Töchter sind hervorragende Rezipienten für Geschichten des täglichen Ungemachs. Vor allem Töchterchen heizte die Angst vor dem drohenden Dengue-Fieber auf der Burg noch an - wo wir doch direkt neben dem Brunnen hausen und die Zweitbeste ja auch täglich für gute Brutplätze durch ihr exzessives Gießen der Piazza-Blumen sorgt.

Vorgestern also unsere reunione mensile di vicini - das Abendessen mit der Nachbarschaft auf der piazza castello: Diesmal waren es mehr als 40 Teilnehmer; darunter ein deutliches Übergewicht an Burgfrauen und -Fräulein, die das Tigermücken-Thema derart emphatisch aufnahmen, dass ich dem des Deutschen mächtigen Teil die sofortige Gründung eines Tigermücken-Clubs empfahl.

- Analog zum bereits bestanden habende Tigerenten-Club: Verständnisloses Anstarren, und wieder einmal kam ich mir vor wie der Entenhausener Universal-Wissenschaftler Daniel Düsentrieb, der in den Mickymaus-Heften ja immer wieder seinen Nerd-Humor unter Beweis zu stellen hatte; beispielsweise die Erfindung von Schwarzlicht, dass er erfand, um helle Räume dunkler zu machen.

Damit ich also nicht ganz dumm da stand - als alter Sack aus längst verflossenen Comic-Tagen, gab ich die Kurz-Version von der hölzernen Tigerente, die der geniale Maler, Zeichner und Schriftsteller Janos einst in den 1970ern und 1980ern auf eine Reise ins schöne Panama schicken wollte und die später für Kinder auch fernsehtauglich weiter entwickelt wurde... Das kam nicht gut an. Wieder einmal stand der Obelix als völlig unempfindlich für wahrhaft begründete weibliche Ur-Ängste da.

Vielleicht wäre das der Zeitpunkt gewesen, im Kerzenlicht in gebotener Dramatik mein Hemd vom Körper zu reißen, um meinen breiten Rücken zu präsentieren: Der war längst so erblüht, dass er die berühmte Chaine of Craters Road auf Hawaii in den Schatten gestellt hätte. Mauna Kea und Mauna Loa  oder sollte ich besser sagen Vesuvio, Etna und Stromboli standen da schon kurz vor dem Ausbruch...

Aber was verstehen denn Männer schon?

Donnerstag, 25. Juli 2013

Die Versuchung bedingt die Vertreibung

Das mit Adam und Eva aus der Bibel ist im Prinzip eine Parabel darüber, dass der Mensch immer  wieder Schwierigkeiten haben wird, mit dem zufrieden zu sein, was er hat.
Auf der anderen Seite – also jenseits des Gartens Eden – gibt es aber auch ohne die einschlägigen Eigenschaften vom Baum der Erkenntnis Entwicklungen, die jene nicht verpassen sollten, die fest daran glauben, dass Veränderungen auch etwas bewirken könnten...

Am vergangenen Sonntag, waren wir mit Paula und Paul in der Nähe vom Nava-Pass in dem Örtchen Cosio D’Aroscia. Dort findet jeweils am dritten Wochenende im Juli die Fiera delle Erbe statt, aber das wussten wir eigentlich nicht. Wir hatten den Tipp bekommen, mal bei Da Maria so einem ligurischen Dauer-Gelage beizuwohnen: Gefühlte 20 Gänge (irgendwann zählt man einfach nicht mehr mit), ordentliche Hausweine in Rot und Weiß, Mineral- oder Brunnenwasser, Kaffee, Grappa und Limoncello – tutto compreso für 25 Euro pro Nase. Da kann  über ein, zwei Speisen, die dem teutonischen Gaumen nicht so mundeten, absolut hinweg gesehen werden. Die Fahrt hätte sich also in jedem Fall gelohnt.

Aber durch die Fiera war der malerische Ort nicht nur herausgeputzt und in Festtagslaune, sondern bot auch ein reichhaltiges Programm. Da hat es natürlich nicht geschadet, dass das schmucke Stadtbild wie eine kostbare Brosche - bedingt durch das regenreiche Frühjahr – im geradezu explodierenden Grün der steilen Bergflanken prangte.

Die Besucher wurden mit angebrachten Pfeilen durch den Ort gelenkt, der in der Zeit der Ottonen im frühen Mittelalter bereits erstmals erwähnt wurde. Es spielte sogar ein Wander-Trio Musik aus jener Zeit, während Kids auf einer anderen Piazza live Gruppen-Disco-Dance übten. Dazwischen gab es Stände zum Verkosten oder liebevoll gestaltete Stationen aus der alten Handwerkszeit.

Paul, der selber einmal einen Handwerksbetrieb gehabt hat, schwärmte aber vor allem von der handwerklichen Liebe zum Detail bei der Ausgestaltung des Ortes: Die Bepflasterung zwischen den historischen Gemäuern war ohne Makel. Brunnen waren nicht einfach aufgeschraubte Wasserhähne, sondern  mit alten Armaturen verschönert worden. Und wenn es zwischen den liebevoll restaurierten Gebäuden doch mal einen Leerstand gab, fiel er nicht sonderlich auf, weil eben keine Bretter-Verschalungen oder Plastik-Folien die Atmosphäre verschandelten. Kaum zu glauben, dass dieser Ort zweimal komplett zerstört und auch schon mal in der Gegenwart quasi aufgegeben war...

Uns wurde versichert, Cosio D’Aroscia atme nicht nur an Festtagen volles Leben, weil die Einheimischen aber auch die überwiegend aus Italien Zugezogenen sich engagiert um den Ort kümmerten.

Als wir heim in unseren Borgo kamen, fielen uns als erstes die verrottete Böden unserer Gassen auf. Auch wir haben schön restaurierte Häuser, aber dazwischen eben ruinenhafte Leerstände mit zugenagelten Fensterhöhlen, an die wir uns (leider) gewöhnt haben. In Zeiten der Krise gibt es wenig Hoffnung, dass sich daran so bald etwas ändern wird, weil die Struktur in unserem Borgo eben eine andere ist. Wir sind zwar nahe am Meer, aber bieten keine wirkliche Alternative zum Strandleben, während auf Höhe des Nava-Passes tatsächlich so eine Art gebirgige Sommer-Frische stattfindet.

Paul und Paula sind - wie die meisten anderen ausländischen Hausbesitzer höchstens zweieinhalb Monate hier, auch die Zweitbeste und ich bringen es ja selten auf mehr als  sieben Monate. Die Einheimischen  aber auch die neuen Burg-Geister sind alle bereits im fortgeschrittenen Alter. Kinder und Jugendliche gibt es - selbst im Capo Luogo kaum. Dennoch hat die Gemeinde – wohl für eine andere Zukunft – dort zwei große Sportplätze anlegen lassen, auf  denen niemand spielt und die sich die Natur beginnt, mit Kohorten massivem Unkrautes zurück zu erobern...

In Zukunft wird der Linienbus nach einem Fahrplan verkehren, der die 12 Kilometer in die Stadt hinunter zu einer Halbtages-Reise macht. Von den ehrgeizigen Kultur-Plänen unserer schönen Bürgermeisterin ist jetzt – in Zeiten des  elektronischen Umbruchs am Buchmarkt  - die Idee geblieben, im ehemaligen Kinder-Asyl eine Bibliothek zu eröffnen; für wen, und durch wen geführt?

Seht Ihr! So schnell gerät einer in Versuchung, sich über ein einzigartiges Paradies Gedanken zu machen, die einen leicht über Vertreibung nachdenken ließen. Sind wir doch zufrieden, dass wir noch die Möglichkeit haben, etwas zu ändern...



Dornjasminchen

Es war einmal ein Mann, den selbst Wohlwollende nicht als Märchenprinzen bezeichnen wollten, aber er lebte auf einer Burg und ward dort einigermaßen wohl gelitten. Kein Typ zum Pferdestehlen, aber zum exzessiven Wildschwein-Fressen hätte er getaugt, wenn seine jagenden Nachbarn ihm denn von denen mal eines abgegeben hätten...

Es gingen die Jahre ins Land, und weil sich unser Held immer mehr in seine virtuelle zurück zog, gab er der realen Welt Gelegenheit zum Vormarsch. Das schuf diverse Feindbilder, von denen es jedoch keines schaffte, ihn derart herauszufordern wie die kletternde Variante des ansonsten so herrlich duftenden Jasmins. Beharrliche Burgbrief-Leser werden jetzt in verblasster Erinnerung aufstöhnen: „Nicht schon wieder das Klagen über grenzenloses Wachstum!“

Aber das muss doch mal geschrieben werden! In Zeiten der Krise, wo sich alles und alle zurücknehmen, glaubt ein in schrofigem Fels wurzelnder Jasmin, er könne sich alles herausnehmen – quasi ohne Rücksicht wuchern und wachsen. Was hat der Mann von der Burg nicht alles unternommen, um der Okkupation durch dieses doch eigentlich unterversorgte Gewächs Herr zu werden.

Nächtens rückte er ihm mit der deutschen Gardena-Gartenschere auf den rankenden immer blühenden Pelz. Aber was so ein italienischer Jasmin ist, ignoriert natürlich derart teutonisch eingrenzendes Unterfangen. Der Hydra gleich, produzierte er für jede abgeschnittene Ranke zwei neue. Und er wusste, wo er seinen Feind zu stellen hatte; in dessen Arbeitszimmer.

Vor Halbjahres-Frist noch brutal gekappt, war er im April schon wieder auf Augenhöhe mit seinem Widersacher. Der riss zwar noch brutal die Schlagläden aus der lähmenden Umklammerung, aber konnte dann doch nicht verhindern, dass Ende Mai die Fenster schon zugewuchert waren und die vielen herein drängenden Blüten nur  ein schwacher Ausgleich für das schwindende Tageslicht waren.

Dann passierte etwas, das den bereits aussichtslosen Kampf endgültig zu einer vernichtenden Niederlage  machte: Ein Crash des Burg-Computers schnitt unseren Mann komplett von der Welt da draußen ab. Die vorübergehende Aufgabe seines Arbeitszimmer nützten die Kohorten des Kletter-Jasmins gnadenlos aus. Weil die Hitze ein Schließen der Fenster nicht zuließ, rissen sie die Fliegengitter ein, wucherten über Drucker und Fax und erreichten vor kurzem den Schreibtisch, die Tastatur, sowie den Bildschirm. Ganz tief aus dem grünen Gerank flimmert nun nur noch das blaue Lichtlein eines in der Agonie speichernden Motherboards. Wird irgendjemand irgendwann diese letzte Nachricht lesen?


„Hallo? Ist da draußen irgendeine beherzte Prinzessin, die mich hier raushaut? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Euer Dornjasminchen – Mann, ist das heiß hier!“

Ein Weihnachtsmann im Juli

Die Älteren unter den Burgbriefe-Lesern werden sich vielleicht noch erinnern, dass wenn in den 1950ern ein Autofahrer den anderen mit „Sie Weihnachtsmann Sie!“ beschimpfte, es beinahe gekracht hätte. Derart von Kindheitserinnerungen getrübt, war mein Verhältnis zu dieser rotnasigen, weißrot gewandeten Kunstfigur stets eine ambivalentes. Eigentlich bis heute.

Daran hatte auch die von der Zweitbesten für mich ersonnene Rolle als Weihnachtsmann/Nikolaus nichts geändert.  Für unsere Kinder und die sie umgebende, gefühlte 50 Rangen umfassende Rasselbande, die sich einige Jahre am 6. Dezember bei uns einfand, musste ich ran.

An einmal erinnere ich mich besonders: Unser Garten war zum frühen Zeitpunkt tief verschneit, und damit es so aussah, als sei der Alte im Bademantel tatsächlich unversehens im unberührten Schnee gelandet und polternd an die Terrassen-Tür gestapft, war ich mit der Leiter über den Nachbarszaun gekommen. Leider waren mein Haupthaar und der Bart damals noch nicht weiß. Weshalb ich ein aus Glaswolle bestehendes Ungetüm und aus dem selben Material aufgeklebte Brauen im Gesicht trug. Der Schweiß lief in derartigen Strömen, dass die Glaswolle regelrecht den Bach runter ging, und mein vorlauter Sohn krähte: „Das ist ja der Pappi.“

Nur sein bester Freund wollte das nicht glauben, blieb weiter in Ehrfurcht erstarrt und  hörte sich beeindruckt an, was ich ihm aus dem Goldenen Buch vorlas. In zwei Monaten heiratet der mittlerweile über 1,90 große Lackel einen blonden Engel. So lange ist das her!

Die aktuellen Schweißströme, die heute vom lichter werdenden Haar in das Weiß meines Bartes rinnen, gemahnen mich ans Hier und Jetzt und daran, dass mich der Weihnachtsmann in meiner Wahlheimat wieder eingeholt hat.

Ich mache mich durch das Leben auf der Burg ja wirklich rar. Aber zweimal pro Woche steige ich doch herab, um turnusmäßig Dinge zu erledigen. Dazu gehört, dass ich Entkalker für die Heizung kaufen und einen Inspektionstermin bei der sie betreuenden Firma vereinbaren muss. Ich brauche dazu weder eine Vertragsnummer noch nenne ich meinen Namen. Denn kaum trete ich meist sommers durch die Bürotür, kreischen die drei Grazien, die den Laden schmeißen: „Babbo Natale! Babbo Natale!“ Und dann muss ich erst mal lange von dem Land im hohen Norden erzählen, während sie auswendig meine Daten im Computer aufrufen...

Geht die Zweitbeste mal alleine über den Markt, wird sie mittlerweile mehr als einmal gefragt, wo denn ihr Babbo Natale stecke.

Mich trifft angesichts dieses einprägsamen Signalements (Obelix bin ich ja auch nicht los geworden) die schreckliche Erkenntnis, dass ich die uns drohende Altersarmut so weder als Spion noch als Bankräuber mildern könnte. Stellt Euch nur mal vor, ich raube – was  mir gut zu Gesicht stünde - die Banca Ambrosiana aus...

Die Carabinieri bräuchten ja nur das Personal zu befragen:

„Das war der Babbo Natale, der wohnt hoch in den Bergen an einer Piazza, über der noch im Juli der Weihnachtsstern hängt!“

Die Hühner sind los!

Wenn alle hier eine Ortsveränderung vornehmen, weil sie Ferien haben, weshalb sollten wir dann noch  zu Hause bleiben? So dachten sich das wohl drei der schönsten Hühner des Borgos und machten sich in der Dämmerung auf den Weg...

Ihre Herrin Gutemiene weilt ausgerechnet bei den Römern, während Majestix in Imperia die Panini verdienen muss. Wer immer die Prachtweibchen füttern sollte, hatte die Käfigtüre offen gelassen. Also wanderten die drei gefiederten Grazien den Weg von der Piazza Santa Anna hinunter zum Castello – wohl ahnend, dass die immer sorgfältig gießende Zweitbeste in den mittlerweile mannigfaltigen Blumentöpfen allerhand leckeres Getier als Speiseplan-Ergänzung zur eintönigen Körner-Diät heranzüchtet.

Und was das für ein Gegacker und Getratsche bei jeder Begutachtung einer Leckerei war! Da wurden die weiß gefiedert ondulierten Köpfchen ruckartig zusammen gesteckt und jeweils Meinungen eingeholt. Ja Köpfe zusammenstecken, das können die Hühner! Und als seien sie sich der eigenen Wirkung bewusst, setzten sie sich eitel knusperbraun in leuchtend rote Geranien-Töpfe und sahen aus wie verwegene Hut-Kreationen.

Um ehrlich zu sein, das sah tatsächlich aus, als gehörte es so. Aber es kann das schönste Huhn ja nicht in Frieden leben, wenn es den besorgten Nachbarn nicht gefällt. Und so nahm die Ketten-Reaktion ihren Anfang: Die Zweitbeste rief nach der Seelenfängerin (als sei die auch für geflügelte anime zuständig):“Polli, polli in piazza!“

Die Seelenfängerin rief Vittorio, der ja bekanntlich einen ganzen Stall voller Hähne und Hühner hatte, als es ihm noch besser ging. Doch Vittorio weilte zum Morgen-Kaffee unten bei der Girasole. Also musste Signora Eddas Nepote von der Baustelle der Santa Anna her, und im nu waren vier, fünf Leutchen hinter den drei als fleißig bekannten Legehennen her.

Doch bitte! Das mit den dummen Hühnern ist ein Vorurteil von Stadtmenschen. Die drei Burg-Brüterinnen jedenfalls ruckten kurz mit ihren Köpfen und legten ihren Galopp-Gang ein, um unter dem Torbogen von einem der drei Piazza-Ausgänge zu verschwinden.

Zickezacke Hühnerkacke waren sie in einem vorher ausgekundschafteten Stall verschwunden und blieben dortselbst – unerreichbar für Besen und längste Arme...

Seither sind einige Tage vergangen. Anstatt sich mit Bongiorno zu begrüßen, stellen sich die Burg-Geister nun die Frage, ob man etwas von den Hühnern gehört oder gesehen habe.
„Ja, sie waren vorhin gemütlich in der Via Colombo unterwegs, aber als sie mich sahen, waren sie sofort verschwunden.“

Man macht sich Sorgen wegen möglichen Begegnungen der unangenehmen Art. Was wenn Lazaro und Ginger, die samtpfotigen Jäger,  über die Hühner herfallen? Auch aus der Luft drohen ja Angriffe des Rauhfuß-Bussards, des Poiana Calzata.

Komisch, dass da keiner den zynischsten Räuber von allen im Kalkül hat: den ansonsten auf Wildschweine spezialisierten Obelix. Dem kam doch tatsächlich beim Anblick dieses herrlichen Federviehs seine legendäre Hühnersuppe La Belle Poule in den Sinn. Eine einzigartige Essenz aus möglichst fettem Hühnerfleisch, Hummerscheren und Sommertrüffeln – abgeschmeckt mit Estragon, Zitronengras und geriebenem, frischem Ingwer...

Aber dafür ist es ja viel zu heiß!

Dienstag, 16. Juli 2013

An Tagen wie diesen...

Herrlich! Mein Computer ist kaputt. Deshalb kann ich auch Bayern3 via Webradio beim Schreiben nicht mehr hören. Der Sender spielte bis zum Crash seit einem Jahr gefühlte hundert Mal pro Tag diesen Song von den „Toten Hosen“. Campino, den ich ansonsten sehr schätze, wird mir nicht böse sein, wenn ich seinen allein auf  kommerziellen Erfolg ausgerichteten Song als für  tote Hosen nicht adäquat bezeichne. - Selbst wenn normaler Weise nächtens auf den sommerlichen Rhein-Terrassen zumindest wollene Hosen getragen werden sollten...

Da merkt ein betagter Edelpunker wie ich eben auch, dass die ehemalige Punk-Band noch so gar nicht „tote Hose“ ist. Die Jungs – selbst schon über fünfzig - sind wohl noch voller Saft und Kraft. Wer würde sich sonst songtextlich noch zu einem derartigen Massenauflauf mit lauter Musik verabreden.

Allein schon die Vorstellung, ich müsste die figürlich etwas ausgeuferte Zweitbeste bei der aktuellen Hitze nur mal quer über die Piazza zur Musik des Professoren-Paares tragen, verursachte ja schon einen virtuellen Herzinfarkt.

Ich bin nämlich wirklich eine wahrhaft tote Hose, und an Tagen wir diesen mit 35 Grad im Schatten noch nicht einmal erinnerungsmäßig zu irgendwelchen Minnediensten fähig. Ich will eingedenk des Frühjahrs hier aber  gar nicht meckern.

Es ist herrlich! Aber Tage wie diese muss ich schon sehr dosiert angehen: Nach der morgendlichen Dusche setzte ich mich kurz ins kühle Treppenhaus, damit ich nicht gleich wieder klatschnass bin. Den Morgen-Cappuccino nehme ich auf der Schwelle des noch im Schatten liegenden Nachbarhauses. Dieser Platz ist eigentlich für den Nachbarn Vittorio reserviert, den man aber an Tagen wie diesen überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommt. Gefrühstückt wird drinnen im kühlen Esszimmer, und dann geht jeder seiner (Schleich)Wege.


Nur wegen der Temperaturen habe ich nach über einem Jahr Pause wieder mit dem Malen angefangen, denn tatsächlich ist mein Cantina-Studio der Kältepol unseres kleinen Burg-Universums. Daran, dass mehr Farbe an meinen Händen klebt, als gestaltet auf die Leinwand gehört, erfahre ich, dass es noch ein weiter Weg sein wird, bis der Wiederanfang tatsächlich einer sein wird. Aber wir haben ja gerade erst Mitte Juli. Da warten noch viele Cantina-Tage auf mich.

Auf Entzug

Manchmal kann die Zweitbeste so provozierend praktisch sein. Da heule ich in die geborstenen Eingeweide des Burg-Computers, und sie sagt im Vorbeigehen:
„Ja, dann schreib doch einfach mal wieder mit der Hand!“

Herrliche cyberspacige Naivität – kein Internet, kein Blog, kein Post. So sieht sie aus - die traurige Realität. Ganz abgesehen davon, dass ich nur noch so selten mit der Hand schreibe, dass die Glückwünsche auf eventuellen Geburtstagskarten auch für mich ein so unleserliches Gekrakel abgeben, dass sie auch Verfluchungen sein könnten...

Nun möchte man meinen, dass der Mensch im Älterwerden so manchen Entzug durchmacht um folgende schneller überwinden zu können: Dass der Sport nicht mehr so geht, die Wichtigkeit durch den Beruf fehlt, die einst herausragenden Leistungen als „latin lover“ eher zur „Ochsentour“ geraten (um es dezent auszudrücken), und dass im Vorfeld dazu auch noch das Hinternzwicken heißblütiger Italienerinnen ausbleibt.

Aber das Schreiben in diesen Tagen ist ein so bequemer Genuss geworden, dass die Komplikationen infolge eines Computer-Crashs mich härter getroffen haben, als ich zunächst wahrhaben wollte.

Die Not macht jedoch auch erfinderisch. Der alte Computer der Zweitbesten, der einst der Buchhaltung diente, ist zwar allein auch nicht mehr internet-tauglich, aber bei ihm funktioniert das „Word“-Programm wenigstens. Also sitze ich jetzt an dieser Kiste, um meine Posts zu verfassen. Dann schiebe ich das geschriebene Dokument auf meinen USB-Stick und warte, dass meine liebe Freundin und Nachbarin Petronella bei ihrem Job an der Rezeption eines Grand Hotels entweder einen freien Tag oder eine Schicht hat, die es mir erlaubt, über ihren Computer an meinen Blog zu kommen.

Das hat noch zwei Vorteile: Ich lerne dabei die adäquaten Befehle auf der italienischen Tastatur und bekomme dazu einen ihrer herausragenden Espressi serviert.

Meine Leser haben allerdings bis zum Ende der Saison hier den Nachteil, dass sie die Posts jetzt immer in Portionen  bekommen, und ich in der Statistik so nicht erkennen kann, wie der einzelne jeweils angekommen ist. Ich habe mich nämlich entschlossen, den alten Burg-Computer nicht mehr zu reparieren, sondern stattdessen einen neuen Zwilling des Glashaus-Computers für die Burg anfertigen zu lassen...


Von wegen Entzug! Von wegen mit der Hand schreiben! Ich doch nicht!

Keinen Bock?

Wer erleben darf, wie sich ein Konzept seines Lebens realisiert, der sollte daraus zweierlei lernen:
Erstens, dass so viel Glück zu haben, ein Privileg ist und zweitens, dass das eigene, erfolgreiche Konzept für andere auch zur Belastung werden kann.

Durch meinen Schwager hatten die Zweitbeste und ich in den 1970ern den höchstmöglichen Einstieg in die Italienische Gesellschaft. Mit den Brüdern Paolo und Michele, Söhne eines Stahlmagnaten, der auch als Vater ein Despot war, machten wir Party, fuhren gemeinsam in den Urlaub und teilten - so gut es ging - Freud und Leid. Dann wurde geheiratet, und es kamen die Kinder, derenthalben man sich eine wenig aus den Augen verlor.

Anlässlich einer Reportage über ihre Heimatstadt sahen wir uns dann wieder. Es waren die 1980er und die Zeit terroristischer Entführungen. Beide fuhren nun in gepanzerten Limousinen und hatten eine entsicherte Automatik unterm Sitz. Einfach in eine Bar gehen, ging nicht mehr. Da mussten schon die Pantere Grigi  (Italiens GSG9) in der Nähe sein.

Paolo hatte sich schon immer die Frage gestellt, wieso einer, dessen Vater einen Stahl-Konzern besitzt, deshalb in seine Fußstapfen treten müsse. Michele ging es nicht anders. Dabei waren Paolo, der Ältere, der die Technologie leitete und Michele, der die kaufmännische Seite regelte, wider Willen auch noch erfolgreich.

Alt wurden beide nicht. Kaum war der immer trauriger werdende Paolo in seinen Vierzigern angelangt, raffte ihn Kehlkopfkrebs dahin, und der scheinbar immer heitere Michele jagte sich eine Kugel durch den Kopf. Das Konzept des Vaters war nicht aufgegangen.

Es muss an der Hitze gelegen haben, dass mir das gestern justament durch den Kopf schoss (?!), als eine sechsköpfige Familie ihre Utensilien für einen langen Urlaub auf der Burg über die Piazza zu ihrem wunderschönen, angemieteten Ferienhaus schleppte. Nach der zweiten Runde verkündete der Älteste – so um die zwölf:
„Ich habe keinen Bock auf das hier.“
Sein Vater reagierte erstaunlich entspannt – jedenfalls gemessen an meinen Reaktionen in solchen Situationen damals:
„Dann setzt du Dich jetzt hier an den Brunnen und schaust dich um. Das ist doch alles ganz spannend hier!“
Der Knabe ließ sowohl durch Körpersprache als auch durchs Minenspiel erkennen, wie ätzend er die alten Gemäuer fand. Ist vielleicht auch schwierig, fantasiebegabt zu sein, wenn man beim Dungeons-and-Dragons am Computer ganz andere Burg-Spannung gewohnt ist. – Wir werden sehen, ob das Ferien-Konzept des Vaters am Ende aufgegangen ist...

Mein Sohn war im gleichen Alter, meine Tochter bereits frühreife 14 als wir vor genau zwanzig Jahren in Bellissimi oberhalb von Dolcedo – zwei Täler weiter westlich unsere Liebe zu Ligurien entdeckt hatten. Obwohl Bellissimi nicht annähernd so romantisch war wie unser Borgo, waren beide von Anfang an Feuer und Flamme für diese Wehrdörfer. Diese Begeisterung unserer Kinder war auch die Triebfeder als wir sieben Jahre später das Haus hier an der Piazza gekauft haben und dann einrichten mussten. Was haben die Kids geschleppt und sogar den Möbelwagen von Deutschland hin und her gefahren. Seither ist es für sie immer ein Fest, wenn sie es schaffen, auf die Burg zu kommen. Aber nun – im richtigen Leben angekommen – hindert sie die sehr eng gewordene Berufswelt, das auszuleben, und Enkel wird es vermutlich auch nicht mehr geben...


So ist das mit Konzepten. Man muss den Augenblick leben und dankbar sein. Wenn der Boanl kommt (Kurzform für Boandlkramer – so heißt der Tod auf Bayrisch), dann bleibt eh nur diese letzte Erkenntnis von allen Konzepten: Omni mecum porto – alles Meinige trage ich bei mir. Der Boanl lässt nämlich „keinen Bock“ nicht gelten!

Das Fehlen der Burg-Baumeister

Jetzt sind auch Paula und Paul wieder da. Sie haben gerade noch in der Heimat Goldene Hochzeit gefeiert. Seit 1979 sind sie auf der Burg, und da gibt es natürlich zum Wiedersehenswein auch immer viel Nostalgie. Der Schwager von Paula, der den Borgo im damaligen Zustand akkurat mit seinem Zeichenstift festgehalten hatte, war als Architekt auch Impulsgeber für die Gestaltung der zentralen Gemäuer. Die beiden Ps haben aufgrund seiner Arbeit eines der überraschendsten Häuser hier. Der Besucher betritt es durch eine unscheinbare Eingangstür und einen Flur, der unter dem Vorderhaus hindurch führt. Dann öffnet sich auf verschiedenen Ebenen ein prachtvolles Stück Innenarchitektur, das Garten und Talblick  genial mit einbezieht.

Die jüngeren, erst später zugezogenen italienischen Nachbarn mögen zwar über den schwindenden Anteil der Deutschen spaßeshalber frohlocken, aber irgendwie merkt man bereits jetzt das Fehlen jener allesamt verstorbenen Burg-Baumeister aus dem Norden. Zu denen gehörten ja auch die Legenden Don Rolando und Don Bertholdo..

Nicht, dass die Eigentümer der Häuser an der Gesamtheit nicht interessiert wären, aber in Zeiten der Krise ist sich vorausschauend zunächst einmal jeder bei der Werterhaltung der eigenen Gemäuer der Nächste. Denn es ist klar, dass es am Meer unten eng und teuer wird – vor allem für Familien. So gibt es im Moment zwar noch jede Menge restaurierten Leerstand, aber bei Quadratmeter-Preisen von bis zu 7000 Euro in Imperia ist „Schöner Wohnen“ hier oben die Alternative.

Aber bis dahin wird Engagement für die Gesamtheit des Borgos gefragt sein. Mit Roland und Berthold , die ja auch im deutschen Baubüro ein Team waren, konnten sich alle verlassen, dass der Kommune bescheid gestoßen wurde, wenn etwas hakte. Vor allem Don Rolando hatte ja durch seine Gemeinde-Arbeit die direkten Drähte, und Berthold machte jeden Morgen seine generelle Inspektionsrunde und legte bei Schäden schon mal spontan selbst Hand an.

Das fehlt jetzt, da die Verwaltung  wohl sparen muss. Signora Giardini ist ja als Gemeinde-Gärtnerin auch noch für die anderen drei Dörfer zuständig, und die Hilfskraft wurde ihr offenbar gestrichen. Der Weihnachtsstern über der Piazza hing jedenfalls noch bis vor 14 Tagen. Jeden Tag lösen sich weitere Kacheln aus der Bepflasterung der unteren Gasse. Dabei ist das kaum einzusehen, weil der obere Teil nach dem gleichen System belegt trotz seiner Steilheit picobello aussieht. Ob das mit dem Drainage-Problem zusammenhängt? Seit der Bach oberhalb des Dorfes wegen eines privaten Bauvorhabens verschwunden ist, klagen Hausbesitzer unterhalb des Felsgrates über Einsickerungen.

Frisch gewählt konnte sich die modelmäßig auftretende  Bürgermeisterinnen-Beauty gar nicht oft genug hier oben blicken lassen. Jetzt macht sie sich genauso rar, wie ihr mit viel Start-Elan angekündigtes Kultur-Programm.


Zumindest in dieser Beziehung könnten ja das Professoren-Paar und ich unseren Beitrag leisten. Handwerklich habe ich ja eher zwei linke Hände, die nur aus Daumen bestehen...

Dienstag, 9. Juli 2013

Der Grillmeister

Die Zweitbeste und ich exponieren unsere aus der Form geratenen Körper ja nicht mehr allzu gern am Strand. Und wenn, dann warten wir bis Ende September die ganzen jungen und schönen Menschen verschwunden und die Strände vereinzelt mit unseresgleichen belegt sind. Was uns dennoch jetzt an einem Samstag nach Santo Stefano zieht, hat mehr etwas mit Nostalgie zu tun.

In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat sich in dem Küstenort, der nahezu übergangslos mit Riva Ligure verwachsen ist, eine Menge getan – abgesehen davon, dass der Rad-Fernwanderweg auch hier vorbei führt. Aus der zerklüfteten, felsigen Ufer-Anlage ist nach und nach durch Verbauungen ein Strandparadies mit Flachwasser-Zonen für die Kleinen und Sandstränden mit Sperrmolen geworden. So sehr sich der Ort auch verändert haben mag, das Publikum ist gleich geblieben. Wenn wir in unserem dortigen Lieblingsrestaurant sitzen, das eine über den Strand gebaute Terrasse hat, tauchen wir ein in eine Atmosphäre, mit der uns die Dolce-Vita-Filme in den 1950ern süchtig nach Italien gemacht haben:

Ein vorbei fahrender Obst-Lastwagen preist über einen alles übertönenden Lautsprecher an, dass er Pfirsiche, Erdbeeren und Melonen in Steigen für nur fünf Euro an die Strandbrutzler verhökert. Gerade erblühende Mädchen schlecken auf der Promenade mit dem Hintern wackelnd an riesigen Eistüten und unüberschaubare Familien-Verbände schwappen mit Gummi-Srandgetier, Schlauchbooten und sonstigen Utensilien wie die Gezeiten zur Mittagszeit hinauf in die Quartiere und dann nach der reposa wieder runter.

Ein Restaurant in dieser Lage muss ein Bomben-Geschäft sein. Dennoch hat wieder einmal der Besitzer gewechselt. Jetzt wird es vom Italienischen Pizza-Meister 2011 geführt, der auch Fixpreis-Menüs rund um seine Ofen-Kreationen anbietet. Die Befürchtung, dass darunter die Qualität gelitten haben könnte,  war jedoch unbegründet. Der Pizzamann und sein Grillmeister verstehen ihr Handwerk, und das zu Preisen (in der Hochsaison!), die wegen der Riesenportionen mehr als reell sind...

Aber – wie schon angedeutet – wegen des Essens fahren wir ja nicht dahin. Mir geht es in erster Linie um das Einfangen von seltenen Exemplaren für den Menschen-Zoo in meinem Gehirn. Und da war ich diesmal überaus erfolgreich. Weil der Grillmeister des Restaurants jedes Stück auf meiner überbordenden Grillplatte (Lammschulter, Angus-Tagliata, Wachtel und Stubenküken) auf den Punkt genau von der glühenden Holzkohle genommen hatte, habe ich das erspähte Exemplar nach ihm benannt – zumal das Verhalten meiner Entdeckung ja auch irgendwie mit dem Grillen zu tun hatte.

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere ältere Leser ja noch an Federico Fellinis Meisterwerk I Vitelloni.  Den Jüngeren sei es empfohlen, weil cinematografisch niemals farbiger in schwarzweiß erzählt wurde. Als Vitelloni werden jene in die Jahre gekommenen, unverheirateten Männer bezeichnet, die das Hotel Mama partout nicht verlassen wollen, - und die dann irgendwie komisch werden.

Genau so ein Exemplar stand  unmittelbar unter uns auf seinem Handtuch und reichte seinen Körper ohne Schattenpause der prallen Sonne dar: Sein käseweißer Körper (offenbar mit der höchsten Sunblocker-Stufe eingecremt, denn in geschlagenen drei Stunden hatte sich an seinem Teint nichts geändert) war mit einer derart schlabberigen, weißen Unterhose bekleidet, dass man ein wenig Angst bekam, bei den Übungen könnte der Familien-Schmuck versehentlich mal herausrutschen. Auf dem Kopf hatte er quasi als Krönung ein an den Enden vierfach verknotetes Taschentuch – und  das in den Zeiten von Baseball-Kappen und Rapperhüten!

Jedenfalls ging der Mann beim Sonnenbaden so gründlich vor, dass man ihn sich in der Alltagsbeschäftigung als gewissenhaften Buchhalter vorstellen konnte: Nach einem genauen Zeitplan drehte und wendete sich der Mann senkrecht um die Achse zur Sonne hin. Dabei exakt auf den Wechsel zwischen Stand- und Spielbein achtend, gab er quasi die Karikatur einer römischen Marmor-Statue. Nach sechs Umdrehungen legte er sich jeweils mit gespreizten Oberschenkeln aufs Handtuch, und nicht nur die Zweitbeste war dann froh, dass die Sonne dabei auf der anderen Seite stand...


Wir wissen nicht, wie die Prozedur letztlich für die Vitelloni-Haut ausgegangen ist, und ob Mama am Abend ihrem Liebling feingeschnittene Scheiben von grünen Tomaten zur Linderung hat auflegen müssen. In unserer Erinnerung bleibt er jedoch ewig weiß - als der Grillmeister.

Verhaltensforschung

Leute, die die Welt noch bereist haben, ehe der chemische Generalangriff auf alle Insekten (einschließlich der lieben Bienchen) gestartet wurde, waren häufig überzeugt davon, dass die Küchenschabe dereinst die Weltherrschaft antreten würde. La Cucaraca, the Cocrache - oder wie sie sonst noch besungen wurde, war weltweit vernetzt und den jeweiligen Umweltbedingungen sogar größenmäßig angepasst.

Auf einer Tropeninsel war ich mal dem Überfall Hunderter malaiischer Riesen-Schaben ausgesetzt, die offenbar nur spielen wollten. Allerdings verstand ich gar keinen Spaß und richtete mit meinen Sandalen ein Gemetzel unter ihnen an. Kritschelkrutschel die ganze Nacht. An Schlaf war da nicht zu denken. Im Morgengrauen waren alle Leichen verschwunden. Verspeist von ihren Artgenossen. Nur ein paar der überdimensionierten Flügeldeckel lagen ordentlich  aufgeschichtet im Bad...

Meine generelle Einstellung zu Schaben hat sich zwar seither nicht wesentlich geändert, aber ihre Weltherrschaft fürchte ich nicht mehr, seit ich die Ameisen hier auf der Burg beobachte.

Erinnert sich noch jemand, dass die Chinesen unter Mao wegen ihrer blauen Einheitsanzüge vom Westen damals politisch unkorrekt die „Blauen Ameisen“ genannt wurden? Heute, assimiliert vom Turbo-Kapitalismus, sind sie so mannigfaltig modisch gestylt unterwegs, dass sie bald auch in dieser Disziplin tonangebend sein werden. Das bringt mich zu der Überzeugung, dass die Ameise in ihren vielen Erscheinungsformen als Vorbereitung auf die Weltherrschaft die Chinesen nur als Probanden benutzt hat...

Die Frage, die sich mir alle Jahre wieder um diese Zeit hier auf der Burg stellt: Können wir im Umkehrschluss nicht von den Ameisen lernen, um ihrem Herrschaftsanspruch zu begegnen?

Hier ein paar Denkanstöße:

In erster Linie gibt es hier im Gemäuer drei Typen von Ameisen. Winzig kleine Rote, mittelgroße Braune und große Schwarze.

Die Roten sind straff in Brigaden organisiert. Sie meiden öffentliche Straßen sind aber bei Bedarf so viele, dass sie Schulter auf Schulter stehend innen in der Dachrinne die gut 14 Meter Höhe zu unserer Terrasse überwinden. Einmal hatte ich den Rest einer Packung Krokant-Kekse dort oben in unserem sich anschließenden Wohnzimmer liegen lassen. Am nächsten Morgen sah ich, wie die kleinen Roten die Kekse Krümel um Krümel in die Gasse hinunter trugen. Natürlich sorgte ich mit fürchterlich stinkendem Ameisengift für einen Massenmord. Aber als ich wenig später die Leichen wegfegen wollte, waren sie allesamt verschwunden; von den wenigen Überlebenden eingesammelt und abtransportiert. Vielleicht sollte unser Umweltminister die roten Ameisen mit der Suche und anschließenden Bestückung des Endlagers für den anstehenden Atommüll betrauen.

Die mittelgroßen Braunen sind sture Befehlsempfänger, die ihre jeweilige Aufgabe erfüllen – gleichgültig wie sinnvoll sie ist. Unsere Piazza ist im ligurischen Stil mit einzementierten Kieseln bestückt, die anschließend mit Mustern eingefärbt werden. Die braunen Späher kommen gar nicht auf die Idee über diese Steine zu klettern, obwohl sie es könnten. Stattdessen laufen sie durch das Zement-Labyrinth und nehmen weite Umwege in Kauf, um beispielsweise in Ost-West-Richtung ihre Route abzuchecken. Genauso ist ihr Straßenbau zu Nahrungsquellen. Nach dem Motto eine wird schon durchkommen, krabbeln sie auch gut sichtbar für alle Feinde die Wände hoch. Bei diesen braunen Heerscharen fragt man sich – wie blöd sind die denn noch? Offenbar lernen sie nicht dazu.


Die großen Schwarzen sind zwar nicht wesentlich schlauer, aber lässiger. Sie klettern schon mal auf so einen Piazza-Kiesel und verschaffen sich dort einen Überblick, den sie begegnenden Artgenossen aufs Hinterteil trommelnd weitergeben. Sie nehmen auch gerne Ideen ihrer kleineren Artgenossen auf, die nach langer, emsiger Suche dann zuschauen müssen wie das Stückchen herunter gefallene Salami oder der Brocken Obst von den Großen weg gemopst wird...

Il Signore

Nicht nur weil sich unsere Häuser hoch über dem Talkessel  an diesen steilen Felsgrad klammern, scheint die höhere Warte für die Betrachtungsweise der Burggeister  so passend.
Ein Borgo, der gerade mal zwei Fußballfelder groß ist und über drei Kirchen oder Kapellen (eigentlich vier) verfügt, muss manifestiert im Glauben sein.

Vergangenen Donnerstag also hatten wir Burg-Bewohner auf  der unteren Piazza mal wieder eines unserer spontanen Dorffeste. Wenn die Zweitbeste und unsere Freundin Petronella in Partylaune sind, gibt es eben kein Halten. Es sind ja neue, permanente Residenten hinzu gezogen, und die sollten sich eben auch mal kennen lernen. Der Jubel war umso größer, weil erstmalig in all den Jahren die Italiener bei so einer Zusammenkunft in einer Überzahl drei zu eins waren, was zusätzlich gefeiert wurde wie der Halbfinal-Sieg der Squadra über Merkel-Deutschland bei der vergangenen Fußball-Europameisterschaft.

Natürlich bogen sich wieder die Tische unter selbst gemachten Spezialitäten, selber ausgebauten Bio-Weinen in Rot und Weiß sowie Prosecco bis zum Abwinken. Auch ich hatte Grund, ein wenig stolz zu sein, denn meine spaghetti con pesto speciale erhielten durchweg ein „Daumen hoch“. La notte magica dauerte von sechs bis Mitternacht. Die eigentliche Sensation war jedoch, dass unsere Seelensammlerin Electra bis zum Schluss durchhielt. Normaler Weise nippt sie nur schüchtern an einem Gläschen und ist gleich wieder verschwunden. Diesmal trotzte sie der babylonischen Sprachverwirrung und stimmte zu später Stunde sogar mit Ada ligurische Volkslieder an. Was war nur in sie gefahren?

Die Antwort kam kurz bevor sich die Gesellschaft auflöste: Seit einigen Wochen ist die mittelalterliche Santa Anna an der oberen Piazza voll eingerüstet, damit ihre maroden Mauern stilecht wieder aufgerüstet werden. Wenn sie restauriert ist, wird das Ensemble oben wohl einer der schönsten Dorfplätze von Ligurien sein: weitläufig umstellt von Einzelhäusern nach Osten und von einer bunten Häuserreihe nach Westen; – eben wenn!

Denn natürlich fehlt es wieder an Geld. Also steht Electra auf, bekreuzigt sich und bekennt, dass für das Dach der Kirche noch Geld benötigt werde. Und wo wir doch alle gerade so nett beieinander säßen, wäre es doch angebracht, dass alle ihren Teil dazu beitrügen

Savonarola hätte seine Freude an ihr gehabt. Großartig, wie sie es geschafft hat, mit ihrer inquisitorischen Stimme die Runde im Alter von 16 bis 80 in Ehrfurcht erstarren zu lassen.
Die Spenden sind ihr also sicher, weil sie es auch mit Geschick und deutlichem Fingerzeig immer wieder schafft, il Signore mit einzubeziehen.

Diese Geste, mit dem Zeigefinger in den Himmel zu zeigen, um von I h m zu reden, haben sich mittlerweile auch alle anderen, älteren Dorfbewohner bei ihr abgeschaut. Neulich kam der bald 80jährige Falco mit seinem Hund an der Leine und einem Skistock in der Hand von einer ausgedehnten und steilen Runde oberhalb des Dorfes über die Piazza zurück:
„Mann, Du siehst aber fit aus“, sage ich.
Er: „Ach weißt du Obelix? Jetzt brauche ich schon einen Stock, weil mein Gleichgewichtssinn nicht mehr so gut ist. Ach und die Knie tun mir weh. Und schau, wie dick mein Hund geworden ist, weil ich nur noch eine Stunde mit ihm unterwegs bin. Ich denke (kurzer Fingerzeig zum Himmel), il signore hat bereits ein Auge auf mich geworfen...“


Ja, auch das Jammern findet hier beinahe auf Augenhöhe mit dem Allerhöchsten statt.

Vertraute Stimmen

Von den 18 Parteien im Münchner Glashaus kenne ich fünf so, dass ich sie  e r kenne, aber kaum Ansatzpunkte für einen Small-Talk finde. Man hört und sieht nichts voneinander. Selbst über den Metzger, den nordafrikanischen Lebensmittelhändler und natürlich über meine Lieblingsfriseurmeisterin weiß ich mehr als über meine unmittelbaren Nachbarn...

Hier auf der Burg sitze ich mit meinem Stuhl im Schatten der Piazza und einer nach dem anderen kommt trotz meiner lausigen Italienisch-Kenntnisse auf einen Plausch vorbei. Was ich in der Großstadt nicht habe und eigentlich auch nicht vermisse, habe ich auf der Burg   reichlich, und das gibt mir tatsächlich ein heimeliges Gefühl. Es ist sogar so, dass ich morgens regelrecht süchtig danach bin, die diversen Stimmen zu erkennen, wenn unser Dorf erwacht.

Das ist so zwischen sieben und acht, wenn wir - medikamentös bedingt - meist noch anderthalb Stunden rumdösen.

Die zwei deutschen Paare zwischen 80 und 65, die nur durch eine Gasse von uns getrennt meist schon früh auf ihren Balkonen sind, tauschen schon mal von dort aus aus, was so ansteht. Das eine - aus Franken - signalisiert durch die abgeschliffenen Vokale und Konsonanten in ihrem Idiom ungestresste Gemütlichkeit, während Martina mit ihrem glockenhellen Lachen bereits nach permanenter Unternehmungslust kling. Jochen, ihr Mann, kommentiert spärlich mit seinem unverkennbaren Bass. Er ist der Ruhepol.

Egal welchen Alters die italienischen Nachbarn sind, um diese Uhrzeit sprühen sie schon voller Temperament. Bei Giovanna und Falco vom unteren Eingang zur Gasse stelle ich mir gerne vor, was für ein prachtvolles Gesangsduo sie abgegeben hätten. Falco, der heuer 80 wird, hat einen Bariton mit kehligem Nachhall und seine um einiges jüngere Giovanna spricht ihren Dialekt mit einer Altstimme, die aus einer Klangschale zu kommen scheint.

Was mich zu der generellen Überlegung verleitet, ob eine Ehe-Harmonie, die bis ins hohe Alter anhält, sich vielleicht auch auf das Zusammenwirken der Stimmen auswirkt...

Bei Ludovico und Georgina, die erst seit kurzem permanent zusammen leben, ist das nämlich noch nicht der Fall. Dazu ist Ludovico derzeit viel zu gestresst. Seit Wochen dröhnt er mit harscher Stimme - empfangsbedingt von der Piazza aus - in sein Handy, um seinen Arbeitgeber zur Zahlung seiner ausstehenden Gehälter zu bewegen. Da bleibt wohl kaum Stimme für Liebensgeflüster.

Signora Girasole, die wir neulich beim nächtlichen Überfall ganz schrill gehört haben, ist inzwischen wieder bei ihrem tiefen Timbre angelangt, mit dem die mehrfache Großmutter seit Jahren die Männer der Umgebung ganz wuschig macht.

Signora Electra, die Seelensammlerin, wird ihre Stentor-Lehrerinnenstimme – egal wie gebrechlich sie noch wird – trotz aller Gottesfurcht und Sanftmut wohl bis zum letzten Atemzug behalten...

Wer meine Theorie von der Stimmen-Harmonie altgedienter Ehepaare ins Schwanken bringt, sind  ausgerechnet die Musikprofessoren auf den Burgzinnen gegenüber: Er eher leise sotto voce, sie allegro vivace und sehr dominant. – Aber das kenne ich ja von der Zweitbesten und mir: Abgestimmt klingen wir ja wohl auch ganz anders.

Übrigens wenn wir die immer fröhliche Stimme von Gabriella hören, kommt das schlechte Gewissen. Wenn ihr „Posta! Posta! Ciao Obelix! Oggi niente! A domani!“ in die Akustik der  leeren Piazza gerufen wird, wissen wir, dass wir mal wieder zu zu lange im Bett gelegen haben. Unsere Postina lehrt nämlich den Briefkasten zwischen 10 und 11 Uhr...


In eigener Sache

Mein Burg-Computer hatte einen Crash. Bis er repariert werden kann. darf ich protionsweise von Petronellas Computer posten. Es folgen also jetzt vier untr dem gleichen Datum