Donnerstag, 19. September 2013

Arrivederci!

Poetischere Menschen beschreiben ja Abschiede von jemandem, den oder etwas, das man liebt als kleine Tode. Durch meine Reisen und die vielen Menschen, die ich dabei traf und gerne wieder gesehen hätte, ist meine Seele in dieser Beziehung vernarbt gewesen. Seit ich allerdings auf die Burg gezogen bin, hat sich das geändert. Und das hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern eher mit dieser Geborgenheit im Borgo.

Hinzu kommt, dass einem Italien durch die magischen Momente bei so einem Anlass das Fortgehen oft doppelt schwer macht. Gestern - nach einigen Anlaufschwierigkeiten - hat es wieder geklappt mit den Nachbarn. Wir haben uns ab drei Uhr, damit es nicht zu spät würde, an mit vielerlei Speisen und Getränken schwer beladenen Tischen auf der Piazza niedergelassen. Und dann wurde vielsprachig drauflos gequatscht, als gäbe es kein Morgen mehr.
Ja, dann war es am Ende doch wieder zehn, und es gab keine Minute Langeweile.

Signora Ada brachte einen Bio-Pigato mit, der in den ehemaligen Ölflaschen vom Supermarkt derart dickflüssig stand, als sei er noch welches. Als ich den ersten Schluck getrunken hatte, musste ich Ada unbedingt erzählen, wie ich mit meiner Mutter einmal in San Angelo d'Ischia auf dem Steilufer über der Bucht mit den Schwefelquellen in einer angemieteten maurischen Villa die Vorhut für einen Urlaub ohne den Vater gebildet habe. Das war ein wenig wie hier auf der Burg, denn die Autos mussten vor dem Ort bleiben und der Fußweg hinauf dauerte gut zwanzig Minuten. Ein Esel der Alimetari brachte unser reduziertes Gepäck und Lebensmittel für die Ankunft. Darunter zwei riesige Korbflaschen mit Wein, aber kein Wasser. Das Wasser aus der Dach-Zisterne war ausdrücklich nicht zum Trinken. Aber wir hatten eben Durst, und es war auch schon dunkel - in einer noch unbekannten Umgebung. Also machten meine Mutter und ich uns über den Wein her, der ähnlich eigenwillig schmeckte wie der von Ada. Harzig, schwer - aber doch irgendwie süffig. Ich war 14 und träumte da noch von einer Karriere als Schwimmer. War also an überhaupt keinen Alkohol gewöhnt. Unter mütterlich fürsorglicher Begleitung versank ich im ersten Vollrausch meines Lebens, und ich konnte mich später nicht daran erinnern mit meiner Mutter je wieder eine so innige Zweisamkeit erlebt zu haben.

Es wurde auch in anderen Beziehungen  noch ein denkwürdiger Urlaub. Meine zweite Schwester traf ihren späteren Ehemann, und ich meine erste große Liebe - Pau - die Tochter des großen Cellisten Paul Tortelier, die selbst schon auf dem Weg zu einer überragenden Pianistin war...

Als unsere beiden Musik-Professoren diese Namen hörten, waren wir gleich im nächsten Themen-Kreis. Und so ging das weiter, bis man begann, sich gegenseitig die Häuser hier zu zeigen. Überraschender Weise
begann mir der Bio-Wein mit jedem Glas besser zu schmecken und linderte die traurige Erkenntnis, das unsere Tage hier  bis zum kommenden Jahr gezählt sind.

Übrigens hatte ich weder damals auf Ischia noch heute während des Schreibens mit "Nachwehen" zu kämpfen. Was bei dem Quantum doch einigermaßen überrascht.

Ein Nachsatz für alle, die so ein Leben in zwei Welten auch anstreben und dabei davon träumen, einst nur mit einem Handtäschchen hin- und her zu reisen: Vergesst es!

Ich fange jetzt mal mit dem Packen an, weil die Zweitbeste, die immer ein wenig unentschlossen ist, was sie mitnehmen will, viel länger dazu braucht. Sie hat aber nur die eine Hälfte des Riesenkoffers, auf den wir uns letztlich geeinigt haben.

Bleibt uns bitte gewogen! Ciao, arrivederci!

Ab dem 25. September fliegen wieder Steine aus dem Glashaus - und zwar nicht zu knapp!

http://steineausdemglashaus.blogspot.com/


Montag, 16. September 2013

Eine Piazza voller Halb-Edelsteine

Lucido Autunno, der Dorfmaler, ist wieder im Borgo. Er kommt ja jedes Jahr, wie es ihm gefällt. Schließlich ist er ja auch ein angesagter  Meister von wirklichem Einfluss. Im vergangenen Jahr hatten wir seinen Einzug verpasst, aber dann drei  Monate bis Weihnachten hier oben  das beinahe exklusive Vergnügen gehabt, seine Meisterwerke zu betrachten. Es war faszinierend, wie er an den Perspektiven arbeitete, den Vordergrund in den Schatten legte, während er bei dem weiten Blick auf die blau gefärbten Berge den großen Bellini mühelos in denselben stellte. Aber nicht nur eben dieser Meister der endlosen Tiefe, sondern auch die Größen des Pointilismus, des Neo-Realismus und selbst die bedeutendsten Fresken-Maler aller Zeiten hätten sich – um das täglich geschaffene Oeuvre dieses Meisters annähernd zu erreichen - ihre Pinsel haarlos gemalt.

Eigentlich wollten wir ihn mit den Nachbarn heute auf der Piazza mit Tramezzini, Schälnüssen und rotem Wein willkommen heißen, aber er gab sich mal wieder unberechenbar. Entschuldigte sich, mit regnerischer Wolkenmalerei beschäftigt zu sein, wofür er eben Regen und Wind bräuchte - und keine euphorisierten Nachbarn in Feierlaune...

Als sich aber alle Burggeister anderen Dingen zugewandt hatten, kam er dann mit seinen Farben doch noch die Gasse hoch und sorgte auf der Piazza für eine einzigartige Kunst-Installation, die leider nur ich allein zu sehen bekam: Ich hockte in dem Doppel-Torbogen, unter dem die Stufen zur Hauptgasse hinunter führen. Also war ich für ihn nicht sofort zu sehen. Vermutlich hat er deshalb auf seiner Palette  mit den changierenden Farben ein wenig sorgloser experimentiert. Eindeutig hatte er den Pinsel mit der Goldbronze zu flach angesetzt. Denn würde er das immer so machen, hätten habgierige  Besucher längst Stein um Stein aus unserer Piazza gebrochen.

Nur bei diesem Licht nämlich wird der heimliche  Schatz des Borgos sichtbar. Die Grafen Gandolfo haben vermutlich einst die Piazza mit Moosachaten bepflastert, um eine stille Reserve jederzeit zur Verfügung zu haben. Jetzt bestrahlt der Meister sie so, dass man das  erkennen kann. Die abgelaufenen, schwarz kaschierten Kiesel-Knöpfe, die normalerweise zu sehen sind, werden nur so zu  den türkis-bräunlichgrünliche gemaserten Halb-Edelsteinen, die so unnachahmlich leuchten.

Ich kenne mich aus, denn der erste Ring, den ich der Zweitbesten von meinem kärglichen Lehrlingsgehalt zum Geburtstag gekauft habe, war ein in schlichtem Silber gefasster Moosachat. Da hatte sie sogar ein paar Tränchen in den Augen, und trug ihn auch ein paar Jahre. Später hat sie dann Gold mit richtigen Edelsteinen den Vorzug gegeben. – Auch ihre Romantik ist dabei ein wenig flöten gegangen, denn gerade schreit sie über die Piazza:
„Jetzt hör doch endlich auf  rumzuträumen und lass endlich diese Herbst-Larmoyanz! Hast du vergessen, dass du heute mit Kochen dran bist?“


Na dann – willkommen wieder  in der Wirklichkeit liebe Leser: Es gibt heute Faraona al Forno (Perlhuhn in der Raine) mit Basmati-Reis und Ingwer-Paprikagemüse an  Limonen-Soja-Sauce mit grünem Koriander. Blöd, dass Liebe tatsächlich doch mehr durch den Magen zu gehen scheint...

Donnerstag, 12. September 2013

Culo!

Es ist schon so, dass ich am liebsten von mir denken möchte, ein herzensguter Kerl zu sein. Aber möglicherweise liegt es an der Ungeduld des Herzens, dass ich im Alter häufiger ausraste als früher:

Allerdings nicht mehr bei Politikern: Via Satellit und mit dem nötigen Abstand, geht mir eher das "Eigenmarketing" der Sender im Bayrisch-Hessisch-Deutschen Wahlkampf (!) auf die Nerven.

Dazu bin ich vielleicht einst selbst zu sehr Manipulationsprofi gewesen:
In der früher eher „linken“ ARD stelle ich zunehmend eine Kanzlerinnen-Linie fest, und der Olli Welke und der  Urban Priol können sich bei der „Heute Show“ und „Neues aus der Anstalt“ noch so genial ins Zeug legen, um bei der öffentlich rechtlichen, aber regierungstragenden Manipulation gegenzuhalten. - Die unterschwelligen Botschaften in der Außer-Acht-Lassung des einst neutralen journalistischen Handwerks sind eben doch in anderen Formaten sehr viel wirkungsvoller:

Da wird- um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen - der Bundes-Innenminister bei den „Ersten“ mit einem bundespolitischen Statement vor einem CSU-Poster aufgenommen und bei den „Zweiten“ kommt zu dem brisanten Thema des Mindestlohns zwar die Kanzlerin als Stimme vor und auch der "multipersonelle" Rainer Brüderle, aber die Partei, die diesen erst zum Thema gemacht hat,  im „Heute Journal“  erst gar nicht zu Wort.

Die „Zweibeste“ hat mich (wie einst Lysistrata) durch angedrohten Liebes-Entzug (was für eine Strafe!?) zur Briefwahl genötigt. Sonst hätte ich diesmal nicht gewählt, obwohl ich gar nicht mehr weiß, wie oft ich selbst geschrieben habe, was doch das Recht, wählen zu dürfen, für ein Privileg der Freiheit ist. Aber konnten die Erfinder der Demokratie ahnen, dass wir dereinst nur noch die Wahl zwischen machtgeilen Zombies und Marionetten von Lobbys haben würden? Politiker, die mittlerweile eine Rente mit 67 durchgedrückt haben, aber selbst am liebsten noch mit debilen 70 ein Bundestagsmandat oder gar Ministerämter anstreben.

Seht ihr, das meine ich mit der Alterswut!

Sie wird  auch hier in Italien, meiner Zweit-Heimat, gerade wieder besonders stimuliert..  Silvio Berlusconi ist zwar hier von Gesetzes wegen zu alt, um in den Knast zu gehen, aber auf sein Mandat beharrend, die Regierung durch Erpressung zum Scheitern zu bringen – das ist ihm dennoch erlaubt. Kein Wunder, bei einem Staatspräsidenten von bald  90. Wobei mir Giorgio Napolitano ehrlich gesagt  bei dem aktuellen Personal-Angebot hier sogar oft noch am vernünftigsten erscheint.

Wieso rastet der betagte Wähler oder die betagte Wählerin  (beide "als solche"), die ja schon viel haben mitmachen müssen, nicht mal am Lebensabend auf friedliche Art und Weise aus?

Die Antwort: Weil Leute unserer Generation viel zu gut erzogen wurden, um andere, die mit dem ICE durch die Kinderstube gerast zu sein scheinen,  auf deftig laute Art und Weise daran zu hindern, mit uns zu  tun, was ihnen beliebt. Wie beispielsweise in Italien auch der Grillo oder bei uns  besonders der Seehofer.

Einmal zu so einem Arschloch sagen, ohne gleich eine Zivilklage am Hals zu haben oder für sieben Jahre in der Klapse zu verschwinden wie der Mollath. Das wär's doch!

Was tue ich hingegen? 
Ich reagiere mich an einem armen Teufel mit (oder ohne?) Tourette-Syndrom ab: Den ganzen herrlichen Sommer lang stiefelte unser Burg-Geist Camillo zu den unmöglichsten Stunden Tag und Nacht zur Piazza hoch und pöbelte gegen nicht vorhandene Feinde und nutzte sein Spielzeug-Handy zu dramatischen Streitgesprächen mit wichtigen Menschen in Paris, Monaco und New York  (- wobei er nicht an so netten Ausdrücken wie culo, puttana, stronzo, rompo collioni und dergleichen sparte... - Neid!). Dann war es mir eines Abends doch echt zu bunt: 
Nachdem er mich zuerst tags zuvor nächtens nicht hatte schlafen lassen, dann tags darauf beim Schreiben störte und schlimmer noch arglosen Touristinnen Angst einjagte, schrie ich ihn beim nächsten Pöbeln publico derart an, dass er wie vom Blitz getroffen zusammensackte. Als er dann noch aufbegehren wollte, nannte ich ihn Culo und Cazzo (alle Schimpfworte bitte selbst nachschlagen!) und drohte ihm auch an, gleich zu ihm herunter zu kommen. Selten im Leben war ich derart aggressiv geworden.

Seither hat er sich nicht mehr auf die Piazza gewagt, obwohl er wirklich das gleiche Recht hat dort zu sein, wie jeder andere Burg-Geist auch. Er ist jetzt auch sonst so verdächtig  ruhig.

Als die Nachbarn und selbst die liebe Seelenfängerin in den Tagen darauf dankbar zu mir kamen, um zu sagen, dass das längst mal an der Zeit gewesen sei, dem Schrat Einhalt zu gebieten, schämte ich mich deshalb abgrundtief.


Der arme Camillo, der sich ja vermutlich wirklich nicht wehren kann, war der falsche Prügelknabe. Das Culo! - so wurde mir klar - hätte doch viel eher ich verdient. Was kann der arme Kerl denn dafür, dass ich zu alt geworden bin, mich dort aufzulehnen, wo es wirklich angebracht wäre?...

Dienstag, 10. September 2013

Herbst zeitlos

Ach, wie wünschte ich, ich wäre ein Zeitlosegewächs! Dann hätte ich das ganze Jahr hindurch Anlass, mich zu vermehren oder zu Blühen - und es gäbe diese Gemütsschwankungen nicht. Aber so wie es aussieht, scheine ich ein typischer Herbstzeitloser zu sein, denn mit der kürzeren Helligkeit kommt auch mein Mangel an Zeitgefühl ans Licht.

Die Zweitbeste, die auf alle Praxis bezogenen Dinge des Alltags immer eine Antwort hat, erklärt den Wesensunterschied unserer Charaktere damit, dass sie im Oktober das Licht der Welt erblickte, während ich ja ein Märzkind sei. Da prägende Eindrücke nach dem siebten Lebensmonat begännen, seien die ihren halt voller Licht und Wärme gewesen, während bei mir Kälte und kürzeren Tagen die Stimmung bestimmt hätten. Hausfrauen-Psychologie!

Über tausend Timelags und eine berufliche Ausrichtung, bei der der nächste Winter bereits am Ende seines Vorgängers begann, haben nämlich mein Zeit-Gefühl ein Leben lang komplett aus dem Takt gebracht.

Da wir uns schon in den kommenden Monaten um die (bereits ein Vierteljahr verspätete) Rente kümmern müssen, war ich der irrigen Ansicht, die kürzer werdenden Tage träfen mich nun nicht mehr so arg. Das Herbstlicht ist wundervoll, aber es schwindet eben dahin. Mir kommt das immer schneller vor. Eine Ewigkeit brauchte der Frühling heuer, um seine langen Tage zu entfalten. Aber nun, da es in den vergangenen acht Wochen nur ein paar mal kurz geregnet hat, scheinen die Tage auf dieser Seite des Jahres doppelt so schnell hinter den schütteren Wolken zu verschwinden.

Was macht mir das aus? Wo wir doch für die viele, frei zur Verfügung stehende Zeit weder Plan noch Stress haben. Ja aber: Ich beobachte mich dennoch dabei, wie mein zwangloser Alltag zunehmend von unbewussten Zeitabläufen geprägt wird. Und wehe, es passiert etwas, bevor ich in diesem heimlichen Ablauf meine Mitte gefunden habe. Dann bekomme ich nichts mehr auf die Reihe.

Zum Beispiel heute morgen. Die Nachbarn alarmierten mich durch die offenen Fenster, dass es in unserer Gasse wieder einen Einbruchsversuch und bei der Bar Girasole auch einen vollendeten Einbruch gegeben habe. Darauf hatte ich schon irgendwie gewartet, weil der Borgo jetzt wieder leerer geworden ist und die Diebe leichter feststellen können, wer am vergangenen Wochenende frisch angekommen und in der ersten Urlaubsseligkeit nachlässig ist. Das ist ihre Vorgehensweise, und  es stört  sie auch nicht, wenn dann jemand im Haus ist. Sie haben nämlich auch schon Betäubungsgas eingesetzt

Obwohl ich wusste, dass die Polizei nichts unternehmen würde, riet ich, sie zu informieren. Sie versprachen zumindest wieder die Streifen zu verstärken. Die Carabinieri hatten damit schon Erfolg, denn heuer wurden auch hier oben schon Banden festgenommen. Aber es werden eben immer mehr.

Als guter Nachbar bin ich sofort los und habe alle Häuser rund um die Piazza inspiziert, aber die sind ja zur Zeit verwaist. Also waren alle Schlösser intakt. Dafür gab es in meiner Küche eine Überschwemmung, denn ich hatte automatisch den randvollen Wasserkocher angestellt. Außerdem musste ich noch eine der streunenden Dorfkatzen daran hindern, sich für den Winter bei uns einzuquartieren, was mich wiederum daran hinderte dann der Zweitbesten mitzuteilen, dass ihr Morgen-Kaffee in der gewünschten Linkshänderinnen-Tasse neben den Sudokus bereit stünde. Kalter Kaffee!!!

Jetzt, da ich mich damit therapiere, diesen Post zu verfassen, ticke ich langsam wieder normal. Ist das denn zu fassen? Da bist du im Herbst des Lebens angekommen, hättest alle Zeit der Welt, um dich in Gelassenheit zu üben, aber du entpuppst dich immer noch als alter Hektiker...

Samstag, 7. September 2013

Il Signore 2

Zugegeben, es gibt Tage,  da fühle ich mich Il Signore so nahe, wie sich das für einen Agnostiker einfach nicht gehört. Da sitze ich auf der sehr hohen Eingangsstufe vom wieder in Rom malochenden Nachbarn Giancarlo in der Südost-Ecke des Burghofes und schaue in dieser einzigartigen Perspektive auf das Spektakel am Himmel. Unten die Piazza, der Burg-Brunnen, die von runden Bogen begrenzten Ausgänge; in der Mitte  die nordwestlichen Nachbarhäuser mit ihren dekorativen Abstufungen und darüber die Wolken über den Seealpen, die in dicken Wattebauschen gegen den mit ausgefransten Federwolken heranstürmenden  Mezzogiorno bestehen wollen.

Ich zeige dann mit dem Einlass begehrenden Zeigefinger, der den Burg-Geistern zu eigen ist, zum Himmel und sage zu der Zweitbesten, die im Schatten einen Krimi von Veit Heinichen liest:
„Schau mal der Mezzogiorno frisst gerade die Cumuli, äh ich meine die Haufen-Wolken.“
 „Die in Triest nennen diesen Wind übrigens die Bora!“, antwortet sie und ist schon wieder weg.

Ja, hurra, die Zweitbeste liest wieder! Seit die Nächte kühl sind, und einen mit herrlichem Tiefschlaf belohnen, verschlingt sie Bücher, als gäbe es sie morgen nicht mehr. Ich bin dann zwar weitestgehend abgemeldet, aber das ist mir egal, weil ich bei ihrem Anblick so herrlich in Erinnerungen schwelgen kann.

Das Abtauchen in Gedrucktem, das war in einer weit zurück liegenden Vergangenheit für mich immer das Zeichen, dass es ihr, der ehemaligen Buchhändlerin, gut geht. Da konnten Dutzende von Kindern um sie herumtoben, sich gegenseitig die Haare ausreißen, Erwachsene sie zwecks endlich erforderlichen Eingreifens ansprechen – durch nichts in der Welt, wäre sie in diesen Momenten der Welt ihres Lesestoffs entrückt.

Oft habe ich sie regelrecht rütteln müssen, um sie ins Hier und Jetzt zurück zu holen. Vielleicht sind unsere Kinder deshalb so unerschütterlich kreative Traumtänzer geworden. Sie mussten ihre Konflikt-Lösungen in der Lese-Agonie ihrer Mutter selbst finden. Das ist ihnen jedenfalls nicht schlecht gelungen, und die Zweitbeste ist stets recht stolz auf ihre „erzieherischen Fähigkeiten“ gewesen.

Aber in der Erinnerung taucht auch ein Schwur auf:
Es war im ersten Winter, nachdem wir das „Haus“ hier gekauft hatten. Die Ruine war eine Baustelle, und ich ganz alleine, weil die Bauarbeiter nicht erschienen waren. Auf der unfertigen Terrasse lagen Schutt- und Sandhaufen und dann kam der Tramontana und brachte in D-Zug-Geschwindigkeit aus Nordwest Regen in der Dichte einer Auto-Waschstraße heran. Die verstopfte Terrasse wurde zum Pool und ergoss sich nach und nach  in die darunter liegenden Zimmer. 24 Stunden schöpfte ich ohne Pause das ins Haus eindringende Wasser und schüttete die Eimer in die alte Badewanne. Dann ließ der Wind nach, und ich fiel in einen erschöpften Schlaf.
Als ich erwachte, fingerte die Sonne gerade an einem glasklaren Azur-Himmel über die östlichen Berge. Der Ort Lucinasco (der Lichtgeborene) auf der anderen Talseite funkelte im ersten Licht, und Olivastri tief unter uns sah aus wie das grüne Relief eines Landart-Künstlers.

Ohne groß zu überlegen, sagte ich laut zu dem Gott, an den ich eigentlich nicht glaube:
„Sollte ich jemals Zweifel an der Großartigkeit Deiner Schöpfung haben, darfst Du mich zu Recht mit einem Blitz aus heiterem Himmel erschlagen.“

Von diesen trockenen Blitzen gab es in diesem Sommer einige, die auch in meiner unmittelbaren Nähe einschlugen. Wollte Il Signore mich warnen, weil ich wegen Syrien, Ägypten und vor allem dieser Enttäuschung Obama wieder mehr zum Agnostiker geworden war? 

Donnerstag, 5. September 2013

Zweifel der "Imperia"listen

Also, da muss ich etwas klar stellen: Ich bin nicht gegen Pasta-Maschinen. Als ich vor Jahren meinem Sohn eine zum Geburtstag geschenkt hatte, war ich versucht, mir gleich auch eine zu kaufen. Aber wie viele Burgbriefe-Leser vermutlich längst erkannt haben, ist meine Haupt-Triebfeder meine grenzenlose Faulheit.

Dass der Spaß beim Nudeln mit einer Maschine mehr  beim Machen liegt und weniger beim Verzehr des derart erstellten Produktes - dazu musste ich nur meinen bei derlei Verrichtungen immer sehr geduldigen Sohn beobachten: Zehnmal immer feiner einstellend durchnudeln, dann noch der Schneide- und Trocknungsvorgang sowie am Ende das minuziöse Säubern der Apparatur - nee, das war nichts für mich. Ich schraube ja auch nicht am Auto rum - geschweige denn, dass ich es jemals von Hand gewaschen hätte. Und wie soll schon Basteln funktionieren - bei zwei linken Händen, die nur Daumen haben?

Deshalb verzichtete ich letztlich auf die Anschaffung einer "Imperia" obwohl ich das schon lustig fand, dass das beste Gerät dieser Art den Namen unserer ligurischen Provinzhauptstadt trägt...

Das Teigmachen ist für die "Handwerker" der gleiche Vorgang wie für die "Maschinisten". Der Zweifel der "Imperia"listen wird durch das manuelle Ausrollen und Schneiden genährt.

Wir haben unsere altertümliche Primitiv-Küche auf der Burg nur mit einem Luxus ausgestattet: umfassende Arbeitsflächen aus Granit, die im Handumdrehen gesäubert werden können. Aber auch indem er reichlich gemehlte Frischhaltefolie unter den Teig legt, schafft der Pasta
-Profi von vornherein saubere Verhältnisse. Bleibt also das Ausrollen, bei dem wir Deutsche ja das durch zahlreiche Altherrenwitze populär gemachte Nudelholz (matterello) einsetzen können. Sophia Loren hatte - wie berichtet - nur ein kleines, poliertes Rundholz (bastonino). Das berühmteste Koch-Foto von der Diva (siehe rechts) zeigt sie allerdings während des Pizzabackens, bei dem die Könner den Teig zwecks Ausdehnung ja einhändig um seine Mitte rotieren lassen. Das geht bei der Pasta nicht, weil da ja keine Hefe für den Zusammenhalt sorgt.
Bei der Pasta darf möglichst nichts kleben, deshalb bedarf  es stets eines gewissen Mehlüberschusses.
Die Diva hat dann ihren möglichst länglich ausgerollten Pasta-Teig wie eine Roulade eingerollt, die Überstände und dann ganz feine Schnecken abgeschnitten. Ehe etwas verkleben konnte, waren die schon im sprudelnden Salzwasser. Aber auch wer kein Rund- oder Nudelholz zur Hand hat. kann feine und akkurate Pasta machen. Ich habe den Teig schon zwischen zwei Schneidebrettern flach geklatscht und dann entlang meines Plastik-Lineals aus Schulzeiten je nach Wunsch mit einem breiten Messer Tagliatelle oder gar Cappelini geschnitten. Alle 30 Zentimeter lang und geometrisch einwandfrei - als seien sie mit einer Imperia gemacht worden...

Sonntag, 1. September 2013

Pasta-Protest

Wer einen gewissen Tachostand erreicht hat, kann auch auf eine Vielzahl modischer Irrungen und Wirrungen zurück blicken. Mit dem gewissen Abstand erkennt der Ehrliche dabei, dass er nicht jeden Trend freiwillig mitgemacht hat, sondern ihm gefolgt ist, weil er plötzlich "in" war.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es dann oft zur Entschuldigung, aber das stimmt nicht. Es wird tatsächlich über nichts so ultimativ gestritten wie über persönlichen Geschmack, der anderen aufgenötigt werden soll oder mit dem jemand sich profilieren will. Die Zweitbeste und ich haben aus unseren beruflichen Anfängen eine wirklich gute Freundin für die alles, was sie gerade ohne Widerwillen überlebt, immer das "Bäääääste" ist, das man unbedingt zu probieren hat. Sie macht dabei aber auch nichts anderes, als die meisten Medien, die einem ja auch jede Woche alternativlos aufzwingen, was angesagt ist.

Seither schalte ich auf Durchzug und denke mir meinen Teil. Aber dabei möchte ich nicht versäumen, noch einmal grundsätzlich zu betonen, dass alles was ich zu Themen schreibe, ausschließlich mein persönlicher Geschmack oder grundsätzlich meine Meinung ist. Ich tue das, weil ich heute für diejenigen, die übereinstimmen, die Anleitung geben möchte, endlich eine "heilige Kuh" zu schlachten: Die ultimative Pasta-Philosophie.

Was habe ich nicht alles für Nudel-Moden mit mir herum geschleppt: Angefangen bei den langen, blauen Spaghetti-Packungen, die ich als Kind bei unseren Italien-Reisen von den jeweiligen Alimentari heim zu schleppen hatte, obwohl die kaum kürzer waren als ich. In den Supermärkten gingen diese langen Dinger natürlich gar nicht mehr, also schrumpften die Pasta-Packungen während sich ihr Inhalt über Jahre farblich und förmlich in immer neuen Variationen darbot und nur noch die Art der Verpackung Wertigkeit suggerierte. Hauptsache sie vermittelte das italienische Gefühl. Dabei soll doch erst Marco Polo und dessen Nachreisende die Italiener auf die Nudel gebracht haben, so wie die Auswanderer und die Gastarbeiter im Laufe des letzten Jahrhunderts den Rest der Welt! Der Grund war immer ein ganz profaner: Nahrhafte Kohlenhydrate konnten über lange Zeit und lange Strecken mitgenommen werden, um auf die Schnelle mit eine paar Zutaten den Magen schmackhaft zu füllen. Das war immer die Basis vom Glück. Pasta ist einfach Pasta - basta!

Entscheidend ist letztendlich, wie und mit welchen Zutaten sie zubereitet werden. Meine in Neapels Hell's Kitchen Pozzuoli geborene Nachbarin Petronella regt sich immer wieder darüber auf, dass ich behaupte, über 1000 Sugo-Rezepte kreiert zu haben. Es kommen sogar noch ständig neue dazu. Wenn Pasta im Haus ist, geht beinahe alles mit allem, was sonst noch so im Küchenschrank ist. Das ist mein Pasta-Credo!

Jetzt höre ich bereits den Europa weiten Aufschrei, all jener, die sich so eine Pasta-Maschine angeschafft haben und dem Imperativ gefolgt sind, nur selbst gemachte Pasta sei das einzig Wahre. Ich möchte gar nicht lange zum Ausdruck bringen, wie oft und wie sehr ich mich nach Nudeln aus der Discounter-Kette gesehnt habe, wenn mir bei einem privaten Gourmet-Treffen verkochtes, klebriges, wässriges und im schlimmsten Falle mehlig schleimiges Gemenge serviert wurde, über das ich auch noch erwartetes Lobsingen anheben sollte.

Also ihr Leute: Wer Nudeln selber machen will, braucht dazu keine Maschine. Um zu den Töchtern Pozzuolis zurück zu kommen: Die berühmteste von ihnen - Sofia Villani Scicolone, besser bekannt als Sophia Loren - trat in einem ihrer frühesten Filme in einem Pasta-Wettbewerb auf und hatte nur mit einem runden Stöckchen, einem Messer und ihren schönen Händen bewaffnet innerhalb von ein paar Minuten den Sieg davon getragen. Manche brauchen sogar nur ihre Hände, wie der thailändische Nudelmeister, der auf dem Dach des Robson Emporiums in Bangkok ein Restaurant mit nur 20 Plätzen betrieb. Waren sie nach einer Sitzung neu belegt, nahm er einen vor den Augen aller zubereiteten Teigball und zog ihn so oft auseinander bis eine ausreichend große Portion Cappelini entstand, für die seine "1000-Schätze-Suppe" so berühmt war.

Eine der tollsten Casareccia-Köchinnen, deren Meisterschaft ich genießen durfte, Signora Zavoca aus Acci Trezza an der sizilianischen Faraglionen-Küste - legte sogar überhaupt keinen Wert auf die geometrische Form ihrer Pasta. Sie rollte sie aus und zerriss sie einfach mit Daumen und Zeigefinger. Aber sie warf sie nicht einfach in kochendes Wasser, sondern versenkte die stracciate mittels eines Siebes, das sie auf die Sekunden genau heraus hob.

Das Entscheidende an selbst gemachten Nudeln ist mehr als bei der Fertig-Pasta das Timing. Aber es sollte auch Ehrgeiz vorhanden sein, den Gästen eine individuell entwickelte Pasta aufzutischen. Dazu braucht es Mut zu Experimenten: An der Kirche San Giovanni in Oneglia gibt es Pasta Fresca, bei deren Herstellung jeder zuschauen kann. Und immer wieder gibt es etwas Neues, an dem sich ein Nudeler daheim messen kann. So lange man aber selbst dieses Niveau nicht erreicht, um es seinen Gästen selbst gemacht zu servieren, sollte man es lieber weiterhin kaufen.

Tagliatelle al vino bianco muss ich dort zum Beispiel immer noch kaufen. Dabei klingt das doch so einfach: Zwei Eier, etwas Salz in eine Mulde von 200 Gramm Weizenmehl, und unter Zugießen eines Glases Weißwein geschmeidig verkneten...