Donnerstag, 29. Mai 2014

Das Sterben der Kleinen

Klar, die "Zweitbeste" und ich genießen auch ein-, zweimal pro Woche das allumfassende Angebot der Super-Supermärkte hier: keine Parkplatz-Suche, interessante Rabatt- und Payback-Angebote und die systematisierte Logistik.

Aber wir wollen immer auch die Kleinen leben lassen und verteilen deshalb unsere spezialisierte Nachfrage auf eine Reihe von kleinen Läden. Obwohl zum Beispiel deutlich teurer, kaufen wir Gemüse, Käse und Wurstwaren mittwochs und samstags bei Marktständen deren Betreiber mit uns gemeinsam alt geworden sind. Das gilt auch für Brot und frische Pasta. oder spezielle Sorten von Focaccia, für die wir unsere bewährten Quellen haben. Die Treue wird belohnt durch kleine Plaudereien und gegenseitige Anteilnahme am jeweiligen Leben der Anderen...

Allerdings, bei einer Geschäftsaufgabe - egal aus welchen Gründen -  ist es dann so, als erleide man den Tod eines Vertrauten. Über Nacht war auf einmal das Metzger-Paar  unseres Vertrauens in unserem Alter aus ihrem winzigen Geschäft gegenüber vom Dom verschwunden. Dessen Angebot war nie umfangreich, aber besser abgehangenes Angus, unzerhackte Perlhühner und biogefütterte Kaninchen sowie die speziellen Bratwürste haben wir in all den Jahren nirgends gefunden. Wir wussten quasi lückenlos über unsere Leben bescheid, denn es war auch immer Zeit für ausführlichen, persönlichen Plausch über andere Klienten hinweg. Nur, dass sie dann die Mieten in der Fußgängerzone zur Aufgaben zwingen würden, hatten sie uns verschwiegen. Wie waren geschockt, als wir während des letzten Wahlkampfes darin vorübergehend  die lokale Kommando-Zentrale der PCI vorfanden.

Mit den Versorgern für meine ja eher dilettantische Malerei war es genauso: Erst starb am gebrochenen Herzen gepaart mit Knochenkrebs meine Rahmen-Macherin. Sie hat meine Bilder immer derart geschickt gefasst, dass einer unserer kunstsinnigen Besucher auf der Burg spontan seine Begeisterung zum Ausdruck brachte, indem er sagte, was für tolle Rahmen ich hier hängen hätte... Der Kunstprofessor, der ausgefallene Formate von Leinwänden und Farben vorhielt, die man sonst nirgendwo fand, musste einem Musikalien-Laden weichen. Der dritte Kunst-Laden in der  Nähe der Piazza Dante machte Platz für den gefühlt zweihundertsten Store für Mobil-Telefone.

Ich decke meinen ja immer geringer werdenden Bedarf nun in einem Heimwerker-Markt. - Zu deutlich geringeren Preisen zwar, aber eben industriell standardisiert bis zur Verpackung der Ölfarben. Am meisten fehlt jedoch das aufmunternde Profi-Feedback für meine Amateur-Pinselei.

Und dann gestern auf gut Glück dann doch mal wieder ein versöhnliches Erlebnis beim Erhalt unserer Quellen: Nach der Total-Sanierung der Kemenate infolge des Schimmel-Befalls im vergangenen Winter schlug ich der "Zweitbesten" vor, doch mal zu schauen, ob es das Kurzwaren-Lädchen in der alten Einkaufsmeile von Sanremo noch gäbe wo wir die Erstausstattung an Gardinen einst erworben hatten: Edel altmodische Vorhänge aus reinem Leinen mit handgefertigter Lochstickerei.

Völlig bescheuert, so eine Fahrt zu machen, für eine Ausstattung, die es vielleicht auch in unserem riesigen Convenienca-Laden in fünf Kilometer Entfernung weitaus billiger gegeben hätte? Nicht für uns, weil wir nicht nur durch die resistente Existenz dieses Ladens belohnt wurden, sondern dort auch noch diese speziellen "Tende" in den gewünschten Formaten fanden.

In Sanremo gibt es ja seit einigen Jahren parallel zur alten auch eine - wie ich finde - sehr sterile, neue Shopping-Mile, die sich als erweiterte Fußgängerzone von der Piazza Cristoforo Colombo bis hin zum Spiel-Casino durch die  gesamte Altstadt zieht. Wie üblich ein Luxusmarken-Laden und ein Bistro neben dem anderen. Wie konnte sich unsere Kurzwaren-Lady samt ihrer zwei Mitarbeiterinnen da bei den Quadratmeter-Preisen für die Mieten halten?

Und weil wir schon einmal auf diesem Trip mit den kleinen Spezial-Läden waren, sind wir auf dem Rückweg in Oneglia gleich auch noch in den alten Eisenwaren-Laden am Ende der Fußgänger-Zone gegangen. Ist nix für Klaustrophobiker: Ein langer, enger Schlauch mit Schublädchen bis zur Decke auf der einen Seite und Musterbrettern für Beschläge auf der anderen. Die "Zweitbeste" hatte ja ganz spezielle Vorstellungen von ihren neuen Gardinen-Stangen zu den neuen Vorhängen... Aber was soll ich sagen, nach genau zehn Minuten intensivster und genauer Beratung sind wir detailliert mit dem Gewünschten aus dem Laden gegangen - samt genau vollzogenem Zuschnitt der Messing-Stangen. Und weil es so viele Teile waren, gab es auch sogar noch ein Sconto von 10 Prozent!

Beiden Läden ist nur zu wünschen, dass sie uns überleben...

Freitag, 23. Mai 2014

Die Sklaven vom Hafen

Die Europa-Wahlen haben begonnen. Morgen wissen wir mehr, aber werden wir dadurch gescheiter? Ehrlich, ich bewundere alle, die sich da in meinem Alter zur Wahl stellen und glauben, sie könnten noch etwas bewegen. So lange die Welt von Emotionen und nicht von nüchternen Überlegungen gesteuert wird, neigt die Geschichte dazu,  sich zu wiederholen.

Wie konnten wir erwarten, dass sich die Vereinigten Staaten von Europa mit weniger Geburtswehen zusammenfügen lassen als die USA? Die - um zur stärksten Demokratie der Welt zu werden - durch Gemetzel und damit verbundene Blutbäder mussten, die unterschiedlich denkende, eigene Staatsbürger gegenseitig an sich verübten. Von Generation zu Generation weiter gereichte Wunden übrigens, die wenn man genau hinsieht, auch nach anderthalb Jahrhunderten nicht gänzlich verheilt sind...

Nur wenn wir Glück haben, werden die "USE" schneller und weniger blutig vereint als ihr Vorbild in Übersee, denn die Geburtswehen ähneln sich. Während überall auf der Welt Despoten für eine Renaissance der Diktatur sorgen, macht sich eine Minderheit auf,  für die demokratische Zukunft eines Staaten-Konglomerats zu stimmen, das im Wahlkampf gegen mehr Vorurteile zu kämpfen hatte, als sich dessen Segnungen bewusst zu werden. Vermutlich wird es in Europa eine Wahlbeteiligung geben, die unter der der größten Demokratie der Welt liegen wird. Indien hat ja gerade erfolgreich Demokratie ausgeübt und mit dem Stimmzettel einen Politik-Wechsel ohne Blutvergießen herbei geführt.

Was Liberty enlightening the World und Ellis Island damals bei der Einfahrt nach New York für die Auswanderer Europas waren, sind Lampedusa, Malta sowie die Gestade Griechenlands und Andalusiens für die heute Hoffnung Suchenden Afrikas. Deren Integration ist nicht weniger schmerzhaft, obwohl wir nach zwei verheerenden Weltkriegen humanistisch eigentlich weiter sein sollten.

Der französische Historiker Alexis de Toqueville hatte bei seiner Auftrags-Forschungsreise durch die USA um 1820 neben anderen Gefahren für die Demokratie vor allem die Allgewalt des Staates als Einschränkung der freien bürgerlichen Entfaltung entdeckt. Aber zwei andere Fakten musste er aufgrund der damaligen Betrachtungsweise übersehen: Die Sklaverei und die dort erst  100 Jahre später vollzogene Gleichberechtigung der Frau. (Die übrigens in der gestern 65 Jahre alt gewordenen Verfassung der Bundesrepublik nach Kampf mit harten Bandagen erst 1949 verbindlich und im BGB nur nach und nach  bis hinein in unsere Tage vollzogen wurde...) Das also, was wir heute als "schon immer da gewesene" Selbstverständlichkeit betrachten, hat auch seine Zeit gebraucht.

Für Europa wird es eben  keine schnellen Lösungen und danach nur Segnungen geben. Erinnert sich einer noch an die Boatpeople nach dem Vietnam-Krieg? Die Vietnamesen, die damals wie selbstverständlich aufgenommen wurden, sind längst derart integriert, dass sie in ihren neuen Heimatländern Minister oder Olympia-Sieger werden konnten Wieso tun wir uns dann als Europäer mit den Schwarz-Afrikanern und arabischen Moslems so schwer? Die Nachrichten-Welt ist eine andere geworden. Sie ist tagesaktuell, und deshalb nehmen wir das, was wir aus Afrika und Arabien sehen, als Bedrohung für uns auf. So wie die Emigranten durch Fernsehen den Eindruck gewonnen haben, dass in Europa nur Milch und Honig fließen.

Wie sollen die denn ahnen, dass wenn sie es überhaupt lebend schaffen, ein tristes Lagerleben fristen oder in eine Untergrund-Sklaverei geraten, die hier in Italien so evident ist und deshalb eine immer größere Wut der Bürger entfacht.  38.000 Afrikaner  waren es hier in Italien allein  schon in diesem Jahr. Am Hafen in Imperia kann keiner mehr in Ruhe seinen Espresso trinken, ohne nicht alle zwei Minuten von einem Schirm-Verkäufer, Spielzeug-Dealer oder direkt Bettelnden mit zunehmender Aggressivität angegangen zu werden Das macht auch mich wütend und ich reagiere immer öfter genau so angreiferisch. Aber letztlich weiß ich, dass das die Falschen trifft. Denn die, die ich angreife, arbeiten längst ausgeliefert als Sklaven für Auftraggeber, die Arbeitsvergabe zu Hungerlöhnen als lukratives Geschäftsfeld mit enormer Gewinnspanne für sich entdeckt haben.

Kürzlich sprach mich am Hafen ein Nigerianer in überraschend gutem Deutsch an, das er gelernt hatte, bevor er von der Bundesrepublik mit samt seiner Frau und zwei Kindern abgeschoben worden war. Wie er es dann wieder nach Italien geschafft hat, verriet er nicht. Allerdings schwärmte er davon, dass er in Deutschland, das mit 126.000 Asylanträgen die europäische Rangliste anführt, eine ordentliche Wohnung und genug zu Essen für seine Familie gehabt hätte.

Für die wohl nicht mehr zu stoppende  Zuwanderung und die dann zwingend erforderliche Integration gibt es nur eine gemeinsame europäische Lösung, die von allen zu möglichst paritätischen Anteilen gleichermaßen geschultert werden muss. Deshalb sollte unbedingt europäische Demokratie ausgeübt und eindeutig gewählt werden, selbst wenn unsereiner weiß, dass er eine tatsächliche Verbesserung der Verhältnisse nicht mehr erleben wird...

Donnerstag, 22. Mai 2014

Fehlender Frühling

Kaum zu glauben. In einer Woche soll meteorologischer Sommeranfang sein. Ist schon gut, dass wir das aus dem Internet erfahren denn an den Verhältnissen draußen gibt es überhaupt keine Anhaltspunkte mehr, welche Jahreszeit gerade angesagt ist. Während ich dies hier schreibe, um späte Frühlingsgefühle zu wecken, pfeift ein Tramontana mit gut sieben Beaufort durch die Gassen der Burg. Auf den Gipfeln der Bergkette, die wir von uns aus sehen, hat es wieder frisch geschneit. Immer deutlicher wird, dass dieser von  Gott so gesegnete Landstrich im Klimawandel angekommen ist. 

Gestern vor unserem Markt-Gang hat die Schwägerin aus München angerufen. Sie berichtete von annähernd 30 Grad schon am Vormittag, während wir ernsthaft überlegen mussten, wie wir uns anziehen. Zwiebelprinzip ist angesagt. Immer eine warme Windjacke dabei - das hat es in all den Jahren zu diesem Datum noch nie gegeben. Denn kaum ist die bereits sengende Sonne weg, wird es einem selbst im Libecco kalt, weil den die immer noch sehr niedrigen Wasser-Temperaturen bei seinem langen Weg über das Mittelmeer eher runter kühlen als aufwärmen...

Genauso schwer wie wir konnte sich wohl auch die Natur einstellen. Signora Electra, die uns gerne mit allerlei Frischem aus dem Garten ihres Neffen versorgt, kam mit einem Haufen knallroter und praller Kirschen über die Piazza. Was war das für eine Enttäuschung, als ich sie dann probierte! Absolut geschmacksneutral! Vielleicht zaubert die "Zweitbeste" ja mit viel braunem Zucker und langem Einkochen noch eine halbwegs akzeptable Konfitüre draus.

Es ist unter dem Motto "fehlender Frühling", selbst wenn es in einem kaum gelesenen Blog wie diesem geschieht, endlich an der Zeit einer Person ein literarisches Denkmal zu setzen, die es bislang immer verstand, das Blut ihrer männlichen Kunden in Wallung zu bringen: Unserer "Markt-Schlampe"

Dass meine Frau und ich sie nicht böse, sondern anerkennend  so nennen, hat mit ein wenig Eifersucht ihrerseits und meinen unkeuschen Gedanken anderseits zu tun. Seit wir hier sind, kaufen wir Obst und Gemüse meist nur bei ihr. Sie ist keine 160 cm hoch, bildhübsch, schwarzlockig, kohleäugig und lässt ihrem Temperament  mit immer ungezügelter Koketterie freien Lauf. Ihr Mann - allenfalls zwei Zentimeter höher und deutlich älter - lässt sie mit der finsteren Miene eines Wald-Schrats gewähren, denn er weiß, dass sie die Seele vom Geschäft ist. Selbst wenn du schon längst mehr eingekauft hast, als du wolltest, bringt sie noch irgend eines ihrer Produkte an den Mann. Wenn notwendig auch mit vollem Körper-Einsatz. Einst bei Gluthitze - nur mit einem Träger-Hemdchen unter ihrer kaum verhüllenden Markt-Schürze - reichte sie mir sacht zwischen Zeigefinger und Daumen mit einem vieldeutigen Augenzwinkern eine Himbeere: Vuoi provare i mei lamponi?
- Habe ich die halt auch noch gekauft!

Aber gestern war dann doch alles anders. Nicht etwa weil die lange Zeit unserer Geschäftsbeziehungen bei ihr Spuren hinterlassen hätte, sondern weil der fehlende Frühling sich auch auf ihr Angebot ausgewirkt hat. Die kleinen Frühjahrs-Artischocken, die man mit Stupf und Stil nur von ihren Stacheln befreit in Olivenöl und Knoblauch brät? 
"Non c'è! Die schmecken nach nichts, deshalb haben wir sie nicht im Angebot." 

Ihre Kirschen schmeckten auch nicht intensiver als die von Signora Electra.  Die sauteuren Erdbeeren gingen einigermaßen, aber die kamen auch aus dem Gewächshaus. Da, wo sonst Früh-Gemüse das Angebot beherrschte, lag nun überwiegend  Importiertes. Kein Wunder, dass der fehlende Frühling da auch ein paar Schatten auf dem sonnigen Gemüt unserer Markt-Kokotte hinterlassen hatte...

Sonntag, 18. Mai 2014

The Survival of the Fittest

Dieser, die Darwin'sche Idee von der Evolution zusammenfassende Leitsatz von Herbert Spencer, macht deutlich, dass nicht die physisch stärkeren Vertreter einer Spezies deren Überleben bestimmen, sondern jene, die sich am besten den jeweiligen Lebensbedingungen  anpassen können. Misfits sind eben nicht "gesellschaftsfähig" - das verriet uns ja auch schon der zauberhafte Film mit Marilyn Monroe aus dem Jahre 1961.

Meine Überlegungen in diese Richtung gelten dem einzigen Paar Mauersegler, das es dann doch noch geschafft hat, in der gegenüber liegenden Mauer der Burg eine kleine Lücke für einen Nistplatz zu finden; sehr hoch oben, schräg unter den Fenstern. Der Landeanflug verlangt keine großartigen Manöver; eine Wohnung in verkehrsgünstiger Lage zwar, aber auch ohne jegliche sozialen Kontakte. Sind die jetzt clever oder werden sie dadurch später zu Misfits?

Als hemmungsloser Sozial-Romantiker beschäftigt mich das schon, und leider geben die umfangreichen Ergebnisse der Forschungsstelle in Konstanz zu solchen trivialen Details keine Auskunft.

Wie lernen sich solche Mauersegler-Pärchen kennen? Zwitschern sie sich bei über hundert Kilometer Fluggeschwindigkeit Liebesbotschaften zu? Schlafen sie gar im Vogelzug nach Süden im Windschatten der anderen zumindest schon nebeneinander? Und dann die Hochzeitsnacht: Reiben sie erst in der als Nest auserkorenen Mauer-Spalte zärtlich ihre "Kloaken" aneinander oder geschieht das wie bei thailändischen Erotik-Akrobaten öffentlich an einer Wand hängend?

Im Moment verrichten sie jedoch Tages-Routine: Sie sitzt wohl auf den Eiern, während er permanent zu ihr  mit Volldampf reinklatscht, um sie mit Leckereien aus der Insekten-Welt  zu versorgten. Heute regnet es dermaßen stark, dass erst einmal sämtliche Versorgungsflüge gestrichen wurden. 20 der Riesen-Tropfen auf einmal aufs Gefieder würden den maximal 40 Gramm schweren Flugakrobaten wohl trotz gut gefettetem Gefieder zum Absturz bringen... Ich werde weiter beobachten und berichten.

Der Stark-Regen mit seinem einschläfernden Geräusch verhinderte heute aber wohl auch unser allmorgendliches Weck-Konzert. Nach Jahren ohne Vogel-Gesang im Borgo wird jetzt ab dem Morgengrauen um die Wette tiriliert, als gäbe es "kein Morgen"; deutlich lauter und vielstimmiger als in allen voran gegangenen Jahren. Zur Blau-Merle, die stets hier war, kommen jetzt vermehrt auch andere Amseln, Berg-Ammern, Finken und Wendehälse. Von letzteren hatte ich allerdings gedacht, es hätte sie nur während der deutschen Wiedervereinigung gegeben.

Johanna, eine mit einem Italiener verheiratete Deutsche aus dem Nachbardorf, hat uns diesbezüglich die Ohren geöffnet, als sie vor ein paar Tagen mutmaßte, dass 90 Prozent des Geballers rund um ihren Ort trotz internationaler Proteste und Pochen auf Europäisches Recht immer noch auf das Jagen und Verspeisen von Singvögeln zurück zu führen sei. Nun ist die Straße, die unsere Dörfer verbindet, fort gespült worden. Was jedoch den Singvögeln natürlich gar nichts ausmacht, wenn sie hierher wollen. In unserem Borgo habe ich jedenfalls noch niemanden mit Jagd-Waffen herumlaufen sehen. Was vielleicht auch diese Singvögel mit bekommen haben und daher  "flugs" umgezogen sind...

The Survival of the Fittest eben!

Samstag, 17. Mai 2014

"Armeleute-Küche"

Als wir vor anderthalb Jahrzehnten unseren  Freunden im Norden Italiens voller Stolz erzählten, dass wir in Ligurien ein Haus gekauft hätten, zogen die meisten von ihnen lange Gesichter. Wenige von ihnen rümpften sogar die Nase. Bis heute habe ich diese Reaktion nicht begriffen, muss aber gestehen, dass wir dadurch, dass wir sie nicht mehr besuchen kamen (wir fahren ja nicht mehr über den Brenner, sondern über den San Bernardino) und sie ja auch nicht bei uns vorbei schauen, fast komplett den Kontakt verloren haben.

Carmelita, eine Gutsherrin im Valpolicella, die schon Agriturismo im großen Stil veranstaltete, als es den eigentlich noch nicht gab, sagte nur trocken:"Die können ja dort nicht einmal kochen!"

Diese Nordsüd-Betrachtungsweise kenne ich auch aus Deutschland, und vermutlich liegen die Geschmacksstreitigkeiten zwischen den Regionen in der Natur des Menschen begründet. Als mein Vater von Hamburg nach München versetzt wurde, ließ sich meine Mutter noch Jahre lang Wurstwaren von einem Metzger aus der Lüneburger Heide schicken, weil sie behauptete, die Bayern könnten keine Wurst machen. Das färbte auf uns Kinder ab, aber wir lernten, dass die Zeit auch beim Geschmack hilft,  Vorurteile abzubauen und durch Umgewöhnung sogar neue Vorlieben zu entwickeln. So lange ich beispielsweise nach meiner Rückkehr nicht mein Weißwurst-Frühstück auf dem Elisabeth-Markt hatte, war ich in München noch nicht angekommen, und obwohl ich beide eigentlich nicht  mehr darf, riskiere ich dann obendrein mein Leben für Leberkas und Schweinshax'n.

Auch in Ligurien, muss ich gleich solche Geschmackserlebnisse haben, um angekommen zu sein:

Obwohl ich durch die mittlerweile globale Versorgung mit Original-Produkten ganz gut im Nachkochen bin, schaffe ich es  beispielsweise nicht Polpo e Patate sowie Stoccafisso beziehungsweise Baccalà so hin zu bekommen, dass er schmeckt wie in den einschlägigen Restaurants hier. Beim Polpo mag es ja an der Frische liegen, aber der Stockfisch kommt ja immer noch als getrockneter Dorsch oder Kabeljau aus Norwegen und deckte durch Trocknung haltbar gemacht einst als Armeleute-Essen deren Eiweißbedarf in stürmischen Wintertagen, Dass in Italien Venetien, Latium und Sizilien als Hochburgen der Stockfisch-Zubereitung gelten, könnte wieder mit den oben erwähnten Vorurteilen zusammenhängen.

Die Burgbriefe-Leser, die bislang meinen Rezepten vertraut haben, dürfen mir, der ich ihn überall in Italien probiert habe, auch glauben, dass Stockfisch nirgendwo so delikat zubereitet wird wie an der Costa dei Fiori. Und soll doch keiner behaupten, die von einstiger Armut geprägte Küche Liguriens könne selbst durch Verfeinerung keinen Gourmet-Status erreichen.

Im ersten Winter hier kochte bei den Brüdern, die das Bagni Oneglia betrieben noch deren Oma Troffie al Pesto: Das Gericht kam vorgekocht in einer Eisenpfanne angeröstet auf den Tisch. Wie es die Tradition verlangte, waren die spiraligen Teigwaren mit grünen Bohnen und Kartoffel-Würfeln unter den einfachen Pesto Genovese gemischt. Was gruselig aussah, aber hervorragend schmeckte und irgenwie zu den grauen Riesenwellen passte, die fast bis an die Fenster klatschten.

Vorgestern haben die Zweitbeste und ich im Piazetta von Riva Ligure gegessen. Dort verändert ein junger, sehr engagierter Koch gerne mal das Erscheinungsbild der traditionellen Speisen. Wir bestellten Polpo e Patate als Vorspeise, und staunten nicht schlecht, als alle gehörigen Zutaten tiepido, aber separat angerichtet auf dem Teller arrangiert waren: Ein schaumiges Kartoffel-Mousse, knackige, frische grüne Bohnen und erlesen zart marinierte Scheibchen vom Polpo. Die Zusammenführung des Geschmacks erfolgte je nach Gusto (!?) - im Mund.

Aber eine Zutat machte das Gaumen-Erlebnis eben so
unvergleichlich perfekt, und das kann man eben nicht nachkochen: das Ambiente.

Nach Westen das azurne Meer mit Schaumkronen, nach Osten die herrliche Fassade der Kirche gegen einen mit weißen Wolken betupften Himmel. In der Sonne sitzend, sich den Wind um die Nase wehen lassend - mitten auf einem malerischen Plätzchen...

Donnerstag, 15. Mai 2014

Glaubensfragen

Seit die riesige Baumaschine auf der Baustelle unten den Eingang zur Hauptgasse versperrt, muss jeder, der von unten nach oben will oder umgekehrt aus oder in die Parallel-Gasse diagonal über unsere Piazza hinüber wechseln. Wenn wir vor der Haustür sitzen, fühlen sich die Passanten daher - ob altbekannt oder gar gänzlich fremd -  quasi genötigt, ein kurzes oder längeres Schwätzchen mit der "Zweitbesten" und mir zu halten:

Meist geht es um tagesaktuelle Themen wie die ausgesperrten Mauersegler, die abgerutschte Straße zum Nachbarort, den aktuellen Baulärm mit der Staubbelästigung oder schlicht um Nachbarschafts-Klatsch. Das ist eine wichtige Quelle für den immerwährenden Versuch meiner Frau, bei den komplizierten Familien-Verflechtungen hier oben halbwegs durch zu blicken...

Nicht selten aber geht es hier im Borgo mit den vier Kirchlein für etwa fünfzig permanente Bewohner auch um Fragen des Glaubens. Die meisten sind ja wie wir mit zunehmend nachlassendem Tempo auf der Zielgeraden des Lebens unterwegs.

Gestern also geschah folgendes: Nach dem Feierabend der Bauarbeiter,  und gerade als wir die nun einsetzende, himmlische Ruhe genießen wollten, kamen zwei Männer aus der Seitengasse, grüßten freundlich und klingelten, beziehungsweise klopften beim Hotelier aus Rom und den Musik-Professoren aus Turin. Sie sahen irgendwie offiziell aus und hielten auch Schriftstücke in ihren Händen. Weshalb ich ihnen erklärte, dass unser Dorf erst in ein paar Wochen nach dem Beginn der Schulferien Anfang Juni wieder zum Leben erwache. Das war ein Fehler. Denn nun erkoren die beiden Gentlemen in unserem Alter uns als Gesprächspartner.

Über Gemeinplätze ging es freundlich aber bestimmt zur Genesis, und da war uns auf einmal klar: Auch in Italien gibt es "Zeugen Jehovas". Mit unserer üblichen Masche, dem Hinweis auf meine streng katholische Frau und meinen hartnäckigen Agnostizismus, nahmen wir ihnen jede Lust auf Bekehrungsversuche. Nach dem weiteren Austausch von Höflichkeiten empfahlen sie sich weiter nach oben - also die Gasse hinauf zum oberen Dorfrand.

Kaum waren sie - ein wenig in der Orientierung gestört - unter den Torbögen verschwunden, eilte unsere Seelenfängerin über die Piazza. Sichtbar in Eile, weil sie unserem Pfarrer unten in San Giovanni beim Nachmittagsgottesdienst zur Hand gehen wollte. Natürlich konnte ich mir nicht verkneifen, ihr zu sagen, dass die Konkurrenz unterwegs sei. Was ihr immer freundliches, mildes und bis ins Alter bewahrtes Mädchenlächeln gefrieren ließ, als sei sie direkt auf dem Abstieg zum Belzebub.

"Die verleugnen ja unsere Mutter Gottes. Ohne unsere Jungfrau Maria gibt es doch gar keinen Glauben", stellte sie klar und hastete weiter. 

Seit anderthalb Jahrzehnten kabbel ich mich mit Signora Electra im gegenseitigen Respekt. Als ehemalige Lehrerin weiß sie genau, was ich für ein ungezogener Bursche bin, lässt sich aber immer gerne auf Fragen des Glaubens ein. Sie ist weiterhin eine glühende Anhängerin von Ratzinger beziehungsweise Benedetto Secondo, den sie immer im Hinblick auf seine, unsere Herkunft "euren Papst" nennt. Ich mache mir dann den Spaß, dass ich gespielt erstaunt nachfrage, ob denn der Emeritierte nicht der Papst aller Katholiken gewesen sei. Und wenn ich dann noch nachlege, dass Francesco ja vor allem auch eine große Hoffnung für Niichtgläubige wie mich sei, dann entfacht das bei ihr Eifer und Leidenschaft.

Um ehrlich zu sein: Bei  mir entfacht solche Gläubigkeit, so ein Einsatz für den Glauben tatsächlich einen gewissen Neid. Mein Respekt - auch solchen älteren Herren gegenüber, die sich hier herauf bemühen, um ihre aussichtslosen Bekehrungsversuche zu unternehmen - schwindet aber ganz schnell, wenn ich an alle Exzesse der Gewalt im Namen unterschiedlichster Religionsauffassungen denke...

Dienstag, 13. Mai 2014

Der Handkuss

Einem kontaktscheuen und bezüglich sozialen Emotionen abgestumpften Halbjahres-Großstädter wie mir passiert hier auf der Burg mitunter Denkwürdiges: 

Seit gut einem Jahrzehnt kommt hier bis zu zweimal im Monat ein fliegender Händler herauf. Er trägt stets ein großes Tableau mit seinen Exponaten bei sich sowie eine geräumige Umhänge-Tasche mit reichlich Ergänzungsstücken. Offenbar lohnt sich die Mühe.

Er ist ein sehr höflicher Mann mit der Aura des Respektes (un uomo di rispetto), der nur einmal kurz klingelt und noch nie aufdringlich wurde. Ich habe ihm dennoch nie etwas abgekauft. Meist sage ich höflich aber bestimmt von einem Fenster im ersten oder zweiten Stock aus, dass ich nichts brauche. Noch nie habe ich mich zu ihm hinunter bemüht.

Die "Zweitbeste" jedoch kauft ihm beinahe jedesmal etwas ab. Sie kann nicht anders. Das liegt in den Genen. Schon ihr Großvater konnte an keinem Marktschreier vorbei, um für den Haushalt nicht irgend ein nützliches Utensil zu erwerben. Auch heute sind davon hier auf der Burg noch Schäler, Gemüse-Hobel, oder Patent-Korken für geöffnete und nicht ausgetrunkene Flaschen in Gebrauch. Er habe - wie ihm nachgesagt wird - sie aber stets nur deshalb gekauft , weil er so gerne dem Schwadronieren und den darin verborgenen Verkaufsargumenten zuhörte.

"Unser" fliegender Händler mag sich ähnlich eloquent für seine Produkte einsetzen, nur hemmt ihn uns gegenüber die Sprachbarriere. Er, der vermutlich  von jenseits des Mittelmeeres stammt, spricht wesentlich besser Italienisch als wir, die wir obendrein noch mit seinem rauen Akzent zu kämpfen haben. Sein freundlicher Charme spräche allerdings allein schon für ihn.

Gestern passierte dann etwas, das mich Sprach- und Fassungslos zurück lies. Wir saßen, um dem Maler- und Bauarbeiter-Chaos in unserem Haus zu entgehen auf unserer Steinbank an der Piazza, als er seit langem mal wieder den Kontakt in Augenhöhe mit mir nutzend direkt auf mich zukam, meine Hand ergriff und die mit einer tiefen Verbeugung küsste, ehe ich sie irritiert zurück ziehen konnte. Genau so schnell war er wieder in einer der Gassen verschwunden.

Irgendwie erinnerte mich das an die Szene in dem ersten Teil von "Der Pate", der da un'offerta che non potete rifiutare unterbreitete - ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Ich blickte meine Frau an und suchte nach einer Erklärung. Der Mann neigt ja weder zur Unterwürfigkeit, noch bin ich hier oben eine Art Don.

"Das war seine Art, dem Herrn des Hauses seine Dankbarkeit und Sympathie zu bezeugen, obwohl du ja eigentlich ihm herzlich danken solltest."

Was war zuvor geschehen?. Die "Zweitbeste" hatte ihre seit Jahren gefestigte Geschäftsbeziehung einfach mal umgedreht und dem fliegenden Händler ihrerseits etwas angeboten: Nämlich den noch tadellos funktionierenden wenn auch 15 Jahre alten kleinen Farb-Fernseher aus ihrem Zimmer samt einem Sack voll kaum getragener Edel-Klamotten, aus denen sie "heraus gewachsen" war. Beides hätten die Bau-Arbeiter nur unter Murren zusammen mit dem verschimmelten Schlaf-Divan abends entsorgen sollen.

Der ambulante Kaufmann sah darin hingegen das Geschäft seines Lebens und zitierte sogar noch seine Tochter samt macchina (er ist ja hier stets bescheiden mit dem Bus und zu Fuß von Ort zu Ort unterwegs) für den Abtransport vom Tal herauf. Den Fernseher sollten seine Kinder bekommen, und seine Frau sei ja genauso klein wie meine.

Als er das dritte Mal zum Bedanken vorbei kam, fragte ich ihn - nur um meiner sozialen Irritation Herr zu werden, ob er denn auch daran interessiert sei, wenn ich beim nächsten Mal ein paar Sachen von mir aussortierte. Es sei ihm eine Ehre, gab er zu verstehen...

Meine dumme Burgschreiber-Phantasie gebar natürlich sofort wieder die Vorstellung von einem Wüstensohn, der bald mein viel zu eng gewordenes Tweed Sakko gegen die nächtliche Kälte als Mantel überstreift und den riesen Regenmantel, den ich hier noch nie anhatte, zum Zelt umfunktioniert...

Freitag, 9. Mai 2014

Eine Mauer ohne Segler

Jetzt steht die Sonne bereits wieder so hoch, dass ich meinen Morgen-Kaffee auf unserer Steinbank an der Hausmauer zur Piazza einnehmen kann. Obwohl es immer noch für die Jahreszeit viel zu frisch ist, tue ich das gerne in Erwartung der Gratis-Flugschau, die mir meine hektischen, kleinen, gefiederten Freunde seit Jahren bieten...

Da dachte ich, sie seien noch in der Trainingsphase, weil sie zu spät angereist waren - wie die "Zweitbeste" und ich. Zehn, zwölf der Flug-Künstler rasten kreisend wie irre im engen Geviert zwischen unserem Haus und der Burgmauer teilweise auch im Tiefflug hin und her. Immer wieder steuerten sie gegenüber ihre altbekannten und möglicher Weise auch ihrem Instinkt vererbten Brutplätze mit Vollgas an. Es wollte ihnen aber partout nicht gelingen, wie sonst mit Schmackes in die Mauerritzen einzudringen. Sie klatschten ein ums andere Mal ziemlich schrecklich gegen die Wand.

Eine Zeit lang sah ich diesem unglückseligen Treiben kopfschüttelnd zu, dann rief ich zu ihnen hinauf:
"Was seid ihr denn für maue Segler geworden - ihr Mauersegler!"

Eine gute halbe Stunde sah ich ihren beinahe Bruchlandungen zu, dann (Achtung Witz!) "schwante" mir Böses. Ich nahm meine Lesebrille ab, die ich noch vom Kaffee-Kochen auf hatte und erkannte das Dilemma der Vögel. Schlagartig fiel mir auch ein, dass mir die "Zweitbeste" von zerschellten Eiern am Fuße der Mauer berichtet hatte, als sie die verwahrlosten Piazza-Pflanzen wieder auf Vordermann bringen wollte. 

Weder die samtpfotigen Lazaro  und Ginger konnten das gewesen sein, noch einer von den wohl immer noch mehr oder weniger kältestarren Geckos. Von Menschenhand hineingestopft steckten in sämtlichen Nistlöchern passende Felsbrocken. Kein Wunder, dass sich die kleinen Kerlchen ihre Schnäbel wund stoßen mussten, ehe sie es kapiert hatten...

Jetzt kommen sie natürlich nicht mehr. Ich kann sie nur noch von der Terrasse aus hoch am Himmel bei ihrer über 100 Kilometer schnellen Jagd nach Insekten beobachten und dabei Überlegungen anstellen, wer so etwas macht:

Gut, die Raser sind keine Singvögel. Wie sollen sie auch bei dieser Hatz und ihren komplizierten Flugmanövern denn noch tirilieren? Aber wen stört das Gekreische derart, dass er eine lange Leiter anlegt, um seine neue Siedlungspolitik durchzusetzen, während er gleichzeitig zu deren Fuß die herrlichen Pflanzen dem Verdorren preis gibt? Einen Pflanzenschmuck, für den unsere Piazza auch bei auswärtigen Wanderern und Besuchern beliebt ist und sie zur Rast am Brunnen lädt...

Derart harmoniebedürftg dürften eigentlich auch die musischsten Menschen nicht sein!

Dienstag, 6. Mai 2014

Späte Wahl-Geschenke

Die "Zweitbeste" und ich haben uns ganz bewusst nicht um die residenza  bemüht. Das damit verbundene Recht, hier an Gemeinde- und Kommunalwahlen teilnehmen zu dürfen, wurde uns nämlich schon in den ersten Jahren durch den zum Teil ehrabschneiderischen Kleinkrieg um die Konsortiumsstraße verleidet. Damals verstanden wir zwar nur einen Bruchteil, aber der sichtbare Hass und die Lautstärke, mit denen Vertreter von Familien übereinander herfielen, die seit Jahrhunderten hier oben in nachbarschaftlichem Frieden wohnen, ließen unsere Teilhabe eben nicht erstrebenswert erscheinen. Ein früherer Bürgermeister-Kandidat wurde dabei derart beleidigt, dass er für Jahre nicht mehr zu uns heraufkam. Er wäre aus unserer Sicht übrigens eine gute Wahl gewesen...

Selbst wenn uns jetzt nichts gesagt worden wäre, wir hätten an der plötzlichen Emsigkeit, mit der Verschönerungen im Borgo angegangen werden, schnell geahnt, dass wieder Bürgermeisterwahlen anstehen. Unsere beste Freundin, die ebenso schöne wie versöhnliche Nachbarin Petronella, findet anlässlich der Gemeinde-Politik auf Deutsch zu ihrer einst in ihrem Geburtsort Pozzuoli gepflegten,  neapolitanischen Politiker-Schelte zurück:
"Auf einmal stiefeln hier Leute hoch, die du hier noch nie gesehen hast und die dich das ganze Jahr unten im Capo Luogo nicht mit dem Hintern grüßen und geifern nach deiner Meinung. Aber immer nur so lange, wie die ihnen ins Programm passt."

Petronella hätte gerne in der Gasse vom Eingang zum Borgo eine Gedenkplakette für die in der letzten Legislatur-Periode verstorbenen, deutschen Ruinen-Baumeister. Die hätten doch so viel zur heute gerne von den Bürgermeistern hergezeigten Schönheit und Rettung dieser vielfältig renovierten mittelalterlichen Gemäuer beigetragen... Aber daran werden die Kommunalpolitiker nicht gerne erinnert, weil sie ja sonst nicht eben viel vorzuweisen haben.

Was fanden wir die derzeit noch aktuelle Bürgermeisterin, eine junge Rechtsanwältin mit Modell-Qualitäten, in den ersten Monaten nach ihrer Wahl toll. Sie trug Kultur hier hoch und hatte sogar für solche Veranstaltungen eine eigene, sehr engagierte Referentin. Aber mit dem Fortschreiten der Legislaturperiode ward die schöne Bürgermeisterin, die in ihrem Hauptjob hier nach deutscher Rechtsauffassung gelegentlich in massive Interessenskonflikte geriet, nicht mehr gesehen. Der Kultur-Referentin wurde aus Geldmangel gekündigt, und die Instandsetzung der schlampig gepflasterten unteren Hauptgasse sowie die dringende Ausbesserung unseres maroden Abfluss-Systems blieben trotz zahlreicher Proteste liegen. - Bis zu diesem Frühjahr...

Seither knattern die Steinbrecher, graben alte Rohre aus und reißen die pestrelle vom alten pavimento fort. Hoffentlich ist es nicht wieder so ein Schwager vom Vetter, der da als Impresario seinen Auftrag huschdichhuschdich vor der Wahl so erledigt, dass "nach der Wahl" doch wieder "vor der Wahl" wäre.

Samstag, 3. Mai 2014

Der Hund in der Brandung

Bei Aregai *) gibt es einen Sandstrand, der in der Vor- oder Nachsaison gerne übersehen wird. Da sitze ich gerne vor oder nach einer Tour auf unserem herrlichen Rad-Fernwanderweg, der auf der Strecke der aufgelassenen Küstenbahnstrecke bald durchgehend bis Ventimiglia führen wird. Ich entgehe dort auch mit meinem Auto der neoligurischen Wegelagerei mit den Parkgebühren, wie sie am Einstieg in San Lorenzo seither praktiziert wird. Manchmal springe ich samt den durchgeschwitzten Radklamotten sogar ins Wasser und lasse sie dann mit Meerblick auf der Haut trocknen.

Im vorletzten Herbst, in dem die Wellen meist so hoch und wild waren, dass ich mit dem Boot nicht auslaufen konnte, hatte ich dort ein Erlebnis, das mir gerade heute in den Sinn gekommen ist:

Ein bildschöner Pastore Tedesco,  kein Deutscher Pastor, sondern ein hier gezüchteter Deutscher Schäferhund, wurde nicht müde, den von seinem Herrchen in die wuchtige Brandung geworfenen Ball mit Geschick einzufangen und wieder an Land zu bringen. Es schien ihm überhaupt nichts auszumachen: Weder, dass er ein ums andere Mal in den Schleudergang der Brandung geriet, noch, dass seine Augen und Nüstern total vom Salz verklebt gewesen sein mussten...

Dann auf einmal passierte etwas unter Wasser,  das ihn quasi einen Todesschrei ausstießen ließ und so lähmte, dass die Wellen ihn wie ein hilfloses Bündel an den Strand warfen. Das Herrchen war für einen Moment erstarrt, als ich schon auf das Fellbündel zu lief. Ich dachte natürlich sofort an eine Meduse mit ihren Nesselfäden. Aber als wir das Tier bargen, war die Ursache schnell gefunden. Ein spitzer Holzzapfen war tief in seine rechte hintere Pfote gedrungen und er blutete heftig. Der Hundehalter zog ihn sofort heraus, was für das Prachttier gleich das Signal war, sich heftig loszumachen und sofort wieder auf die eigenen Beinen zu stellen. Wie ein Gladiator humpelte der Hund nach ein paar Minuten mit seinem Herrchen - verletzt aber nicht geschlagen - über den Strand  heimwärts...

Ein paar Tage später war ich wieder an jenem Strand, und der Hund tobte erneut durch die Wellen, als sei nichts gewesen. Nur wer von der Verletzung wusste, konnte merken, dass er das rechte Hinterbein nicht belastete und seine gesamte, leidenschaftliche Motorik mit den drei gesunden Beinen bediente.

Wieso ich gerade heute daran denke? Bei unserem ursprünglich geplanten Abreise-Termin hatte ich mir beim Packen und Kofferschleppen einen langen Muskelriss über dem linken Knie zugezogen, der wegen der neuerdings geschluckten Blutverdünner zu einem Handball großen Erguss geführt hat.

In meinem ganzen Leben mit und für den Sport war ich natürlich von diversen Rissen nie verschont geblieben, aber keiner hat mich derart geplagt wie der aktuelle. Acht Wochen Heilungsprozess haben diverse Ärzte prognostiziert. Ich entdecke durch die Schmerzen beim Treppauf Treppab hier in der Burg auf einmal kleine Stufen, die ich zuvor noch nie wahrgenommen hatte...
Früher - denke ich - hätte ich diese Verletzung wie nix weggesteckt. Aber ganz offensichtlich habe ich den Schäferhund in mir verloren. - Wirklich schade, dass ich nicht vier Beine habe!

*) Nicht bei Costarainera - wie in der bisherigen Fassung beschrieben - liegt dieser Strand, sondern zwei Küstengemeinden weiter Richtung Sanremo in Aregai. Leider wurde er im vergangenen Winter ein wenig verbaut, wie ich mich heute vergewissern konnte... der Blogger am 6- Mai 2014

Donnerstag, 1. Mai 2014

Das böse Schwarze

Na, vermutlich denkt ihr Wohlgefühl-Leser, es müsse nach der langen Winterpause nun von der Burg etwas Erbauliches kommen. Ich muss euch vorerst noch enttäuschen.

Auch im Land, in dem die Zitronen blühen, fehlt manchmal eitel Sonnenschein. Während wir in Deutschland einen Winter hatten, der gut auch ein Sommer hätte sein können, peitschte hier einige Wochen kaum unterbrochen heftiger Regen um den Borgo. Quer getrieben von den hiesigen Windsbräuten, die aus jeder Richtung mal Hagel, mal feinen Sahara-Sand beimischten, um meterweise Farbe aus den Hausfronten zu fräsen, oder die Straße zum Nachbarort einfach fortspülten...

Das hat man nun davon, dass es unbedingt ein mittelalterliches Haus auf einem Felsgrat sein musste, statt der ursprünglichen Idee, etwas am Meer zu besitzen. Allerdings: Das Traumhaus in Borgo di Foce, das es uns damals  angetan hatte, als wir noch mehr Kleingeld in der Portokasse hatten, hätte uns mittlerweile auch ruiniert. Es musste in den 14 Jahren, in denen wir hier leben, mittlerweile gefühlte sieben mal komplett von außen gestrichen werden, während wir seit 2005 diesbezüglich Ruhe hatten.

Nun wurden wir erstmals von unserem zweiten Heim nicht so selbstverständlich willkommen geheißen wie sonst. Wir waren aber auch selbst Schuld, weil wir Umstände halber auf die Winter-Session hier verzichten mussten. Das hielte vermutlich auch ein neueres Haus bei solchen klimatischen Bedingungen nicht aus.

Unseren guten Hausgeist Lucio freut es, denn er kann so das Defizit ausgleichen, dass ihm die Schweizer nach ihrem antieuropäischen Referendum beschert haben. Jahrelang hat er bei den Eidgenossen am Bau gearbeitet. Nun ist nix mehr - nada, niente. Es gäbe nichts Schlechtes, das nicht auch zum Guten führe, behaupten ja die Optimisten immer mal.

Jedenfalls hatte Lucio wohl schon Schlimmeres gesehen, als er sich gestern die Schäden besah:
Ein verschimmeltes Schlafzimmer und das vom "bösen Schwarzen" befallene Boudoir der Zweitbesten, das allerdings auch unwiederbringlich Gemälde und Fotos an den Wänden erwischt hat. Wäre das zu vermeiden gewesen, wenn wir unsere übliche Zeit im Winter hier gewesen wären? Vermutlich nicht.

Die Schlaf-Couch dort wird also mit einem Gewalt-Akt entsorgt. Sie hat uns nach schnellem Kauf-Entschluss eh schon längst nicht mehr gefallen, und das Schlafzimmer hatte es ja auch schon seit mindesten zwei Jahren nötig.

Positiv zu denken hilft, und Lucio ist ein Meister im Zerstreuen von Sorgen. Nächste Woche fängt er an, und dann sei unser Haus schöner denn je, weil er wenn er schon einmal da sei, die gewaltigen Deckenbalken im Wohnzimmer und die Treppen, sowie die feuchten Küchen-Ecken gleich mit versorgen werde. Das alles natürlich zum buon prezzo! Certo!

Ja dann! Auf ein Neues! In den Bergen liegt noch Schnee, oben am Ginster-Pass blüht  keiner der Namen gebenden Sträucher, und die teure Gasheizung läuft auf vollen Touren. Wenn der Klimawandel einst darauf hinaus läuft, dass wir zum Wärme tanken nach Deutschland müssen, soll uns das auch recht sein. Ist ja nicht mehr lange...