Freitag, 27. Juni 2014

In der Wolken-Walze

Hier oben gibt es in manchen Sommern ein Wetter-Phänomen, das ich als meteorologischer Laie die "Sanremo-Walze" oder - wenn diese uns auf  Dauer den Sommer nieder walzt -  auch den "Sanremo-Achter" nenne. Jedenfalls kann es passieren, dass wir ausgerechnet zur Sonnenwende  im Haus tagsüber Licht anmachen müssen, weil die Lebensspenderin an den längsten Tagen des Jahres durch das schwarze Gewölk einfach nicht mehr hindurch dringt. Auf der Terrasse oder im Wohnzimmer kommen wir uns dann vor, wie auf einer vom Nebel umwobenen Berghütte in 2000 Meter Höhe, obwohl unser Haus ja gerade einmal so hoch liegt wie München...

Natürlich könnten wir dem Himmelsgebräu entgehen, indem wir einfach ans Meer hinunter fahren, wo es dann oft noch schön ist. Aber wir finden das hier viel zu spannend, heraus zu finden, ob aus der "Walze" dann doch noch ein "Achter" wird. Sonnentage haben wir in der Endabrechnung ja immer noch genug.

Vermutlich passiert Folgendes:

Unser Schönwetter-Wind, der Libeccio, sammelt auf seinem Weg aus Südwest über dem Mittelmeer soviel Luftfeuchtigkeit ein, dass er sie an der Berg-Kette hinter Sanremo staut und derart verdichtet, bis sie endlich - deutlich abgekühlt  -zäh wie grauer Griesbrei in unseren trichterförmigen Talkessel drückt. Da bleibt die Masse bei Windstille erst einmal liegen. Die Luft fühlt sich dann an wie eine Sauna nach zuviel Aufguss, und sie macht Anfällige auch deutlich depressiv. In drastischen literarischen Schilderungen - aus einer Zeit Liguriens ohne Antidepressiva - hingen dann schon mal welche in den Kronen der Steineichen und schaukelten im Wind.

Erlösung bringt der Maestrale nur bedingt. Wenn er dann scheinbar als Glücksfall von Nordost aus den See-Alpen heran jagt. Bei den immer noch von uns aus zu sehenden Schneefeldern abgekühlt sorgt er gerne für einen Temperatur-Sturz. Mit dieser Kälte löst er in dem feuchten Wolken-Sumpf Gewitter von mitunter verheerender Stärke aus; so wie zu Wochen-Anfang. Gerade eben noch alles in voller Blüte, dann nur noch Kraut und Rüben.

Immerhin jagt er die Wolken aufs offenen Meer hinaus, wo sie wieder vom Libeccio erfasst werden und weiter östlich die Badestrände und  das Tal von Diano verdunkeln. So, und wenn jetzt der Grecale, unser eigentlicher Schlechtwetter-Wind, aus Nordosten das Kommando übernimmt, entsteht der "Achter". Weil der ganze feuchte Wolkenhaufen - erneut verdichtet und kräftig regnend - wieder bei uns landet.

Die liegende Acht ist ja das Symbol für die Unendlichkeit. Wollen wir hoffen, dass der Scirocco aus Südost uns bald trocken und hart aus großer Hohe  - mit seinen Fallböen zuschlagend - erlöst. Allerdings, wenn er den rötlichen Sahara-Staub mit sich führt, dürften wir wieder mal die Terrasse neu weißeln.

Scheint aber noch auf sich warten zu lassen, gerade werden wir nämlich wieder eingehüllt... Meine Tastatur ist kaum noch zu erkennen... Seht ihr mich noch? ...Ich muss aufhören... - Also zunächst mal letzte Grüße aus dem Tal der Finsternis...

Dienstag, 24. Juni 2014

Unserem Giovanni gehen die Träger aus

Heute wird nicht nur in Imperia dem Giovanni Batista mit einer feierlichen Riesen-Prozession gehuldigt.Auch hier oben auf der Burg gewähren die Gläubigen des Borgos Johannes dem Täufer alljährlich zu seinem Namenstag ein wenig Ausgang. -Wenn auch in viel, viel bescheidenerem Maße: 

An Signora Electra hat es jedenfalls nicht gelegen, dass unserem auch wieder farbigen Aushilfs-Pfarrer heute fast der Geduldsfaden gerissen wäre. Die "Seelensammlerin" war schon seit vergangenem Wochenende treppauf, treppab unterwegs, um unsere kleine  versteckte Kirche "San Giovanni" am südlichen Aufgang wenigstens mit ein paar Gemeinde-Mitgliedern zu bestücken. Der Schnitter macht ihr ja dieses Unterfangen von Jahr zu Jahr schwerer. Aber sie lässt sich von diesem natürlichen Schwund nicht unterkriegen und schreckt gar vor radikalen Wegen nicht zurück, indem sie auch mich - den Agnostiker - als Reserve-Träger auf Abruf in Bereitschaft hält.

Klar, dass eine der wichtigsten Kräfte in diesen Gott gegebenen Verhältnissen die "Zweitbeste" ist. Zu diesem Zwecke verzichtet sie sogar ausnahmsweise auf ihren entspannten Morgenschlaf. Nur, um Signora Electra nicht im Stich zu lassen.

In Oneglia finden sich immer noch genügend Träger
Heute wäre die Prozession fast im Desaster geendet: Eugenia, Angelina, Maria, Fiorina und auch ein paar andere, die sonst immer dabei waren, sind ja in den vergangenen zwölf Monaten den von hier deutlich verkürzten Weg zum Himmel voran gegangen (Wobei ich mir bei der ersteren nicht ganz so sicher bin, ob sie es dorthin geschafft hat. Sie hat Il Signore gerne bei ihren Tiraden angerufen aber dabei nicht selten falsch Zeugnis abgelegt...).

Wie dem auch sei, es waren - laut der "Zweitbesten" - nur etwas über eine Hand voll Damen bei der Messe anwesend. Einige der noch lebenden Hoffnungsträgerinnen der Stamm-Besetzung  blieben den Zeremonien unentschuldigt fern.  Vielleicht weil sie mit dem ungewohnten Monsignore  nichts anfangen können: übrigens auch die Bürgermeisterin, die sonst immer dabei war.

Zum Leidwesen von San Giovanni, der ja mal wieder unter die Leute wollte, verkrümelten sich aber auch die spärlich erschienen Männer im hintersten Winkel des renovierungsbedürftigen Kirchleins. Erst als der Pfarrer nach der Ultrakurz-Version seines Gottesdienstes richtig unwirsch wurde, kamen nach einem Auswahlverfahren im Stil der "Sieben Schwaben" (Hannemann geh du voran!) genug Veteranen zusammen, um die Heiligen-Statue wenigsten ein paar Meter hinaus in die Gasse zu tragen. Allerdings nur bis zum ersten, geeigneten Wendepunkt. So schnell war der "Täufer" noch nie zurück auf seinem angestammten Platz. Normalerweise wird ihm wenigstens eine Runde ums Kirchlein gegönnt.

Der Pfarrer war darob so wütend, dass er die Wallstatt grußlos und ohne weiteren Segen Richtung Capo Luogo verließ. Arme Signora Electra!

Montag, 23. Juni 2014

Vom Brechen mit Traditionen

Wer sich  in Italien den traditionellen Rezepten für klassische Speisen  mit Veränderungsvorschlägen nähert, gerät schnell in den Verdacht ein Besser-Schmecker zu sein. Vor allem wenn er Ausländer ist, wird das auch gerne als Mäkelei ausgelegt. Deshalb  halte ich mich gerne gegenüber meinen allesamt glänzend kochenden Nachbarinnen bedeckt.

Jetzt hat der STERN in seiner aktuellen Ausgabe wieder das leidige Oliven-Öl-Thema hoch gekocht und macht daran den laxen Umgang meiner Gastgeber mit Grundnahrungsmitteln fest. Als hätte es in unseren Breiten in jüngster Vergangenheit nicht auch genügend Ekel-Vorfälle gegeben. Fakt ist jedoch, dass die knallharte italienische Lebensmittel-Kontrolle gerade tonnenweise kontaminierten Parmigiano beschlagnahmt hat, bevor er in den Handel kam!

Fest steht aber auch: Wo es um beliebte Zutaten geht, wird weltweit geschummelt auf Teufel komm raus. Und es trifft dann eben in erster Linie die Leser, die glauben, was in angesagten Gazetten als Gourmet-Trend stünde, müsse ultimativ nachvollzogen werden. Soviel Salz wird im Himalaya gar nicht von Hand gebrochen und über steile Pässe von Sherpas transportiert, um die globale Nachfrage nach dem rot gefärbten Zeugs zu befriedigen. Weil das jetzt aber viele Schein-Gourmets schon kapiert haben, geht nun der Run auf das schwarze Salz aus Indien los. Vom "Fleur de Sel" aus unserer "Nachbarschaft" will ich daher gar nicht mehr reden. Auch hier steigert eher der Kult die Geschmacks-Rezipienten. Unzweifelhaft stimuliert aber das Clustern der Kristalle zumindest optisch!

Hallooo! Es handelt sich bei Salz immer nur um das vom Körper dringend benötigte Natriumchlorid! Wir haben eine "einnormale" Salzsäure zur Verdauung in unserem Magen. Die muss stets nachgerüstet werden. Fünf Gramm - bei Herzkranken, wie ich einer bin, sogar weniger - reichen. Maximal fünf Prozent von dieser Dosis könnten also auf irgend eine Weise durch zusätzliche Mineralien unser Wohlbefinden steigern. - Das rechtfertigt jedoch  nicht die  mehr als hundertprozentigen Preis-Aufschläge!!!

Zurück zum Öl: 
Da sind wir hier oben in den Valle dell'Olio natürlich bevorzugt, weil wir direkt und unverschnitten vom Erzeuger nach Gusto zum bon prezzo kaufen können. Jedes andere (industrielle) Extra Vergine darf nach EU-Norm bis zu 25 Prozent verschnitten werden. Wer unter der Woche mal am Kai von Oneglia zum Essen geht oder einen Drink nimmt, kann bisweilen die Entladung von  Oliven-Granulat aus Nordafrika live beobachten. Was nicht heißt, dass das, was die großen Produzenten daraus anbieten, Schrott sein muss. So wie die Cuvée bei Weinen an Beliebtheit gewinnt, entscheidet letztlich der eigene Geschmack, ob einer ein Oliven-Öl toll findet oder nicht.

Wenn Gustavo uns sein selbst gepresstes Öl in alten- natürlich gründlich gespülten - Fünf-Liter-Billigwein- Karaffen auf die Piazza wuchtet, schmeckt es deutlich nicht so gut wie das Öl vom Super-Markt, das wir mit unseren Bonus-Payback-Punkten "gratis" (die "Zweitbeste" glaubt da immer noch dran) für besondere Zwecke eintauschen. Aber seines ist hundertprozentig rein und kostet noch nicht einmal umgerechnet die Hälfte des "Bonus-Öls".

Das versetzt mich in die Lage, mit Traditionen  aufgrund der nahrungsmitteltechnischen (tolles Wort!) Erkenntnisse zu brechen. Unstreitig ist der positive Einfluss des Olivenöls - ob verschnitten oder nicht - auf das HDL-Cholisterin in unseren Blutbahnen, aber darum geht es mir hier heute auch nicht. 

Ich bin ein unendlich bequemer Mensch. Deshalb nehme ich das Olivenöl quasi beim Kochen für alles und folge damit meiner heimlichen Liebe, der Frau unseres Ex-Bürgermeisters. Die - wie ich - in die Jahre gekommene Schönheit mit dem herzförmigen Gesicht und dem immer noch an die Lollobrigida erinnernden Körper nimmt nämlich überhaupt kein anderes Fett zum Kochen, Backen, Braten als ihr selbst gepresstes Öl von den eigenen Oliven-Terrassen. Ihre Kekse zum Beispiel , die sie bei Weihnachtsempfängen oder bei gemeinsamen Abenden auf unserer Piazza reicht, sind unerreicht (huhu, schon wieder so ein Wortspiel!)!

Alle ihre Rezepte sind pure Tradition - und damit bin ich nach all der Schwafelei, endlich bei meinem eigentlichen Thema: Man muss auch mit Traditionen brechen können, wenn einen die Ökotrophologen zwischenzeitlich mit besseren Erkenntnissen versorgen:

Ich nehme an, alle meine Leser kennen das italienische Schnellgericht:

Aglio, Olio con Peperoncino

Das ist natürlich ernährungstechnisch überhaupt nicht mehr zu verantworten. Deshalb habe ich mir erlaubt, es gemäß der Erkenntnis, dass Olivenöl (egal welches) am Siedepunkt alle seine Segnungen verliert und gerösteter Knoblauch, der vielen, ihm fälschlicher Weise zugedichteten, Eigenschaften ebenso verlustigt geht, folgender Maßen zu verändern:

Die Tradition verlangt, den Knoblauch im siedenden Olivenöl mitsamt dem Trocken-Peperoncino quasi schwarz zu rösten und dann die vorgekochten Spaghetti oder jegliche andere Pasta hinzu zu geben.

Meine Variante ist New-Style:

Ich zerhacke pro Person drei große Knoblauch-Zehen fein auf einem Brett, beträufele sie mit ein wenig Zitronensaft und gebe neben einem Esslöffel Melasse-Zucker  und einem Teelöffel Salz frische, gehackte Kräuter wie Basilikum, Oregano und Salbei hinzu. Das  vermenge ich und lasse deren etherischen Öle für zehn Minuten aufeinander reagieren. Das hat nicht nur weniger oder fast  gar keinen anschließenden Mundgeruch zur Folge, sondern bewahrt auch all die angeblich gesundheitlichen Segnungen dieser Zutaten.

Aber jetzt kommt es: 
Ich röste das dann nicht in siedendem Olivenöl, sondern brate und karamellisiere das in einem Esslöffel Butter. Wenn alles schön goldbraun ist, kommt fein geschnittener, frischer (!!!!) Peperoncino oder zur Not auch frischer Thai-Chilli hinzu. Wenn der im Topf welkt, nehme ich einen Esslöffel Tomaten-Mark und verrühre das. Erst dann kommen die vorgekochten Spaghetti hinzu. Sofort mache ich den Herd aus und gieße das am besten schmeckende Öl, das ich habe, darüber, bis das Ganze geschmeidig  goldfarben aussieht. - Und unvergleichlich nussig schmeckt...

Buon appetito!

Donnerstag, 19. Juni 2014

Ich will hier nicht weg!

Treue Burgbriefe-Leser werden sich vielleicht noch erinnern, dass ich Thomas Manns "Zauberberg" gerne heran gezogen habe, um die Zustände hier oben auf der Burg,  fernab vom wirklichen Leben, zu beschreiben. 

Wer meine anderen Blogs auch noch derart gründlich gelesen hat, weiß oder kann es noch nachlesen, dass ich kein Feind des Islam wohl aber solcher Islamisten bin, die glauben, es sei in einer Mission ihres Gottes, Menschen zu töten, die anderen Denkens sind als sie.

Jetzt bestimmt der Alptraum, den ich seit Jahren in meinen Blogs erahnt habe, in noch schlimmeren Maße die Tages-Realität. Ich weiß gar nicht, wie Leute gerade jetzt  immer noch über die  Fußball-Weltmeisterschaft schwadronieren können, da Fans in Nigeria beim so genannten Public Viewing von Islamisten zu Tode gebombt werden- - Da Menschen in Katar bei Fron-Arbeit sterben, um den übernächsten Schauplatz für diese "Schönste Nebensache der Welt" in Gigantomanie zu bereiten...

Nennt mich einen Mecker-Fritzen, aber so kann es doch nicht weiter gehen! Die "westliche Toleranz" verdient ja dieses Deckmäntelchen längst nicht mehr. Sie kaschiert ja nur noch das Unvermögen des Westens, sich zu entscheiden: Sich entweder ganz heraus zu halten oder Bomben zu werfen, sind doch keine Alternativen. Der goldene Mittelweg scheint aber wohl nicht mehr gangbar.

Wenn die Irren von der ISIS meinen, sie können sich den Weg vom Mittelmeer bis zum persischen Golf für einen "Gottes-Staat" frei ballern, stärken sie die Kurden am Rande des Reiches, dass der noch größenwahnsinnigere Erdogan im osmanischen Stil beherrschen möchte. Sie helfen, einen alten Konflikt zu beleben, der mit Allah rein gar nichts zu tun hat. Der neo-islamische Opportunist aus der Türkei fängt ja das Zündeln an, indem er nur vorgibt, einerseits seine Brüder und Schwestern, die Krim-Tartaren, unterstützen zu müssen. Er droht aber als Bündnispartner der NATO erst den  Russen, um dann dann die geschwächten Syrer zu attackieren und danach die neuerlich erstarkten Kurden. Kein Wunder, dass da die Iraner mit ihrem Erbfeind USA  auf einmal gemeinsame Sache machen wollen.- Weil ihnen die explosive Saat im arabischen Boden zu heiß wird, die ihre Mullahs einst gesetzt haben.

Woher haben die eigentlich  alle diese modernen Waffen? Tatsächlich zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Deutschland. Gerade stimmt ja der  (in der Opposition offenbar nur scheinbar dem Frieden verpflichtete) Sozi,  Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, einem Panzer-Deal mit einem Algerien zu, dass längst nicht in gesicherten, demokratischen Verhältnissen angelangt ist.

Jetzt meinen die, nur weil ein paar Absolutisten gegen Islamisten aufbegehren, sei es gut. Nein, das ist nur der Rücksturz in alte Verhältnisse, damit es ein immerwährendes Alpha und Omega für die Waffen-Lobby gibt. Und das alles im Namen eines Gottes? Ja glaubt ihr denn, wenn es ihn gäbe, dass der das will?

Wer von euch  zündelnden, Macht geilen Idioten weiß denn, dass nur er allein es richtig macht, weil er glaubt, an den Richtigen zu glauben?

Papst Franziskus hat Palästinas und Israels Führer in den Vatikan-Garten zum Friedensgebet geholt. Hat es etwas genützt? Thomas Mann hat die Parabel von den Menschen, die in einem Berg-Sanatorium vor dem heranziehenden Weltenbrand Gesundung erhoffen, eigentlich als Mahnung verfasst, nicht Dergleichen noch einmal zu zu lassen. Hat das jemand kapiert? Nein.

Ich würde euch ja alle - wenn ich nicht den Glauben verloren hätte -hier auf die Piazza einladen, damit ihr mit unserem tamilischen Pfarrer und der nimmermüden Seelensammlerein, Signora Electra, erneut ein Gebet für den Weltfrieden sprechen könnt. Aber dann wäre es um meinen persönlichen Agnostiker-Seelenfrieden geschehen. Und das "Wort als Waffe" bringt ja nicht nur mir nichts mehr ein. 

Ich bleibe daher einfach ruhig auf unserer Piazza sitzen, genieße den Frieden - so lange er noch hält - und will hier - so lange man mich noch bleiben lässt - ganz bestimmt nicht mehr weg...

Ich habe den gesunden Egoismus stets mehr geschätzt, als das mediokere Märtyrertum.

Dienstag, 17. Juni 2014

Der verlorene Schlüssel

Werden alte Ehepaare irgendwie komisch? Ja, und zwar nicht zu knapp! 
Unsere Nachbarn - wenn sie denn da wären - hätten ihre liebe Not mit unserer Dauer-Quatscherei über die nichtigsten Dinge. Aber sie sind ja während der Ferien-Tage lieber am Strand und können uns deshalb gar nicht hören. Ansonsten wirkt ja unsere Piazza  wie ein vierkantiger Resonanzboden bis in die obersten Stockwerke der Burg...

Also wen stört es? Im Moment die "Zweitbeste", weil sie nach einer längeren Pause wieder ultimativ das Lesen für sich entdeckt hat. Ich würde sie ja gerne verschonen, weil sie immer noch im Regal mit quer gestapelten, noch zu lesenden Büchern gut drei Dutzend Bücher vor sich hat, um  "lesechronistisch" zu mir auf zu schließen

Im Gegensatz zu ihr in dieser Phase kann ich aber höchsten vier Stunden  am Stück lesen, dann spätestens muss ich etwas anderes machen. Beispielsweise: 
Die "Zweitbeste" aus dem Lese-Konzept zu bringen.. Denn sie vergisst - einmal warm gelesen - alles. Die Waschmaschine in der Cantina zu leeren , dass sie heute mit dem Kochen dran wäre, aber schlimmsten Falles - ihren besten Ehemann von allen....

Also setze ich mich still auf die Eingangsstufe unseres nicht anwesenden Nachbarn und erwarte  - nichts. 
Das aber kann sie gar nicht ausstehen.
"Ich will jetzt wirklich nicht mit dir reden. Das Buch ist viel zu spannend. Nicht böse sein."
Ich sage mal gar nichts.
"Was guckst du denn so?"
"Ich finde es so schön, dass du mal wieder ein Buch gefunden hast, was dich wirklich zu fesseln scheint."
"Ist das jetzt tatsächlich die Assistentin, die diesen psychologischen Knacks hat?"
"Dazu sage ich jetzt nichts, sonst liest du am Ende nicht weiter."
"Das wäre ja auch zu blöd! Aber jetzt stör mich nicht weiter!"
"Ich habe doch nur auf deine Frage geantwortet."
"Ja, dann antworte halt nicht! Du siehst doch, dass ich lese!"

Minuten langes Schweigen. Mit ihrer Konzentration scheint es aber nicht mehr so zu klappen...
"Jetzt bist du wieder sauer, weil ich nicht auf dich eingehe."

Keineswegs! Schau, was ich mache! Mit einer Geste, die ihr sehr bekannt ist, verschließe ich meine Lippen und drehe einen imaginären Schlüssel im Schloss, den ich dann mit einer weit ausholenden Bewegung aus der Piazza hinaus werfe.

Haaach - endlich Ruhe zum Lesen!

Über uns kreist ein Rauhfuß-Bussard und beginnt über der Piazza zu rütteln, als hätte er mit seinen mörderisch scharfen Augen einen Druckfehler im Lesestoff der "Zweitbesten" entdeckt.  Ich beobachte ihn in stiller Freude und bin  nur glücklich, an so einem einzigartigen Platz im Schatten  sitzen zu dürfen, um seine Flugkünste zu bewundern.

"Du musst jetzt wirklich nicht so in die Luft starren, als sei das von Interesse. Sag mir lieber, ob der Sohn von der Assistentin dieser mörderische Psychopath ist."

Ich weise nur stumm in die Richtung, in der der Schlüssel für mein Mund-Schloss verschwunden ist.

"Nun sag schon!"

Aber ich kann ja  nicht. Bin verzweifelt verstummt, lache mich innerlich tot und bin bösartiger Weise stolz auf mein verwerfliches Tun....

Donnerstag, 12. Juni 2014

Von wegen - armer Lazarus!

Als die "Zweitbeste" und ich vor anderthalb Jahrzehnten unseren Traum verwirklichten, den Lebensschwerpunkt auf die Burg zu verlegen, wimmelte es hier auf der Piazza noch von Katzen. Was für meine Frau ein gewisses Gefahren-Potenzial barg, weil sie unter einer sich bisweilen potenziell tödlich auswirkenden Allergie gegen Katzenhaare leidet. Da sie ja einen besonders exklusiven Geschmack hat, wundert es nicht, dass für sie am gefährlichsten Angorakatzen und British Shorthair sind.

Fair - wie ich nun einmal bin - habe ich sie stetig darauf vorbereitet, sollte sie einmal zum Geburtstag ein Angora-Kätzchen mit einem Säckchen frischer Haselnüsse von mir bekommen, sie hoffentlich wisse, wie es um unsere Ehe stünde (jetzt habe ich gerade wieder fünf Fleißpunkte der Gesellschaft zur Errettung des Konjunktivs eingefahren. Aber das nur nebenbei). Ernte frische Haselnüsse erzeugen bei ihr zunächst  ein leichtes Kratzen im Hals. Der zieht sich dann zu und lässt ihren Kopf auf den doppelten Umfang schwellen. Ist dann das Rettungsmedikament nicht in der Nähe, wird es im wahrsten Sinne des Wortes recht eng. Alles schon erlebt!

Aber darum geht es ja heute gar nicht, weil sie sich im Freien längst an die Viecher gewöhnt hat. Sind ja auch nicht mehr so viele, seit immer mehr Uralt-Gemäuer hier oben Luxus saniert werden. Die Zahl der samtpfotigen, herrenlosen Mitbewohner hat sich gefühlt auf ein Zehntel des früheren Bestandes reduziert. Auf der Piazza haben wir  es in der Regel nur noch mit zwei Vertretern dieser Spezies zu tun. 

Die durch meine Burgbriefe bereits unsterblich gewordene Ginger und der ihr heute ins gleiche Stadium folgende Lazaro. Ginger gehört der ehemals als Sammlerin buntester Jogging-Anzüge bekannten, heutigen Barfrau Signora Girasole und  Lazaro hat unseren vereinsamten Nachbarn Vincento quasi im Pfotenstreich adoptiert. 

Er war ein zerrupftes Etwas mit Löchern im Fell und ausgefranstem Schwanz, mager und unterernährt voller Parasiten. Vincento hat ihn wieder aufgepeppelt. Zwischenzeitlich war er richtig fett und unbeweglich, aber dann hat er sich quasi hündische Eigenschaften angewöhnt. Das heißt, er folgt hier oben seinem Herrchen auf Schritt und Tritt bis zur Treppe hinunter zur Gasse. Weiter darf er nicht, wenn Vincento zur Happy Hour mit seiner Ape in die Bar Girasole hinunter düst. 

Als der Autor mit 15 noch Katzenfreund war
Dann sind wir gerade gut genug, ihm die Zeit bis zur Rückkehr vom Herrchen zu vertreiben. So, wie wir für Ginger nur existieren, wenn ihr Frauchen nicht da ist.

Allein unter Katzen - Oil on Canvas
Obwohl ich hier  in Anfangsjahren allein unter Katzen gelebt habe, war mir der einzige Hund namens Snoopy doch immer näher. Ich bin nach drei Dackeln meiner Eltern und einem 13 Jahre mit uns gelebt habenden Rabauken von Airedale-Terrier von meinem Hunde-Herrchen-Dasein immer noch nicht kuriert. Und Lazaro ist nun wirklich nicht geschaffen, mich zum Katzen-Freund zu bekehren.

Der Kerl tut ja  nur so, als sei er viel zu unbeweglich. In Wirklichkeit ist er aber der Champion im Jagen von meinen gefiederten Freunden, den Mauerseglern. Erst marschiert er gespreizt über die Piazza, dann legt er sich auffällig auf eine der Steinbänke unter der Mauer mit den Nestern, um die im Brutgeschäft gestressten Schnell-Flieger zu  hysterischen Reaktionen und Angriffsflügen zu verleiten. Und schon hat er wieder einen. Wie Manuel Neuer beim Elfmeter rührt er sich nicht wirklich . Er hebt  nur lässig die Pfote: Gehalten!!!

Papageno, der Hund, der  in unseren Herzen weiter lebt
Die Beute legt er dann beflissentlich bei Vincento ab. Wenigstens wissen wir seit dem SZ-Magazin von letzter Woche und dem lesenswerten Interview mit dem Zoologen John Bradshaw, dass dies keine Liebesgabe, sondern simple Vorratshaltung ist.

 Von wegen armer Lazarus!

Montag, 9. Juni 2014

Schnell noch ein Bild für die Ewigkeit!

Was habe ich mich früher über meine Eltern lustig gemacht, wenn die behaupteten, dass die Zeit im Alter immer schneller verginge. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass dieses ewige Paar, das da in Eintracht nebeneinander Kreuzwort-Rätsel löste oder sich aus dem SPIEGEL vorlas, überhaupt noch irgend ein Zeitgefühl besessen hat. Zu einem der größten Verluste angesichts unserer Sterblichkeit zähle ich seither, den Umstand. nicht mehr Abbitte leisten zu können.

Wieder einmal - wie so oft in den vergangenen Jahren - ist ohne Übergang gleich der Hochsommer auf der Burg eingezogen. Dieser Nicht-Mai hatte keine Chance geboten, sich bei ständig anspringender Heizung in etwa  mit moderat steigenden Temperaturen anzupassen. In meinem früheren Leben habe ich das prima hinbekommen: Eben noch bei minus 29 Grad in finnisch Samenland. Zwei Tage später am Gambia-Fluss im Senegal bei maximaler Luftfeuchtigkeit und einer Morgen-Temperatur von über 30 Grad. Die Zeit war schnell, aber die professionelle Ungeduld noch schneller.

Heute kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen. Ich muss bei diesen Temperaturen in den niedrigsten Gang zurück schalten und schleiche herum. - Wenn ich nicht wie gestern quasi erstarre: Erst unter dem großen Schirm auf der Terrasse nach ein paar vergeblich gelesenen Zeilen im E-Book mit den Gedanken starrend im unendlichen Panorama versinkend. Dann am Nachmittag von der Eingangsstufe des Nachbarn aus diese einzigartige Perspektive unseres Burgplatzes als Therapie zum Vergessen der Schrecknisse dieses Jahres im Herzen verankernd: 8. Juni - das Jahr ist ja schon fast zur Hälfte wieder rum. Und wo ist der gestrige Faulenzer-Tag geblieben, an dem ich noch nicht einmal eine Zeile geschrieben habe?

Ich habe ihn ganz langsam im Nachdenken über die Geschwindigkeit der Veränderungen enteilen lassen:

Noch ein Denkfehler der Jugend: Die irrige Vorstellung, an den persönlichen Gewohnheiten und Eigenheiten verändere sich nichts im Lauf der Jahre. Das geschieht aber eben doch: langsam und unmerklich. Auf einmal schreibt man nicht mehr nachts Whisky trinkend und Ketten rauchend, sondern beginnt die Tage mit zähen Zeilen auf nüchternem Magen. Der Blick zurück ist kurz und trügerisch. Der voraus nicht mehr so weit, wie man es gerne hätte.

Mit dem Smartphone
Wir haben die erste laue Nacht genutzt, um mit Uwe und Dorle, zwei Burggeistern aus dem Schwäbischen, bei Finger-Food ein paar Fläschchen zu leeren. Uwe und ich haben und hatten beruflich wie vom Hobby her Berührungs- und Erfahrungspunkte. Als ehemaliger Artdirector erschafft er hier in einem Gewölbe Skulpturen aus diesem einmalig schön gemaserten Oliven-Holz. Die "Zweitbeste" hat seine Arbeiten schon gesehen und ist begeistert. Ich darf mir vielleicht in den nächsten Tagen sein im Enstehen begriffenes Werk "Der Kuss" anschauen...

Smartphones überzeugen beim Weitwinkel
Wie das bei sich spät entwickelnden "Künstlern" nicht ausbleibt, gab es ein paar Reminiszenzen an die technologischen, digitalen Einflüsse speziell unserer Arbeitswelt. Sie aber wurden durch die Tatsache bagatellisiert, dass ich während des Plausches permanent Aufnahmen mit meinem Smartphone machte. Das ist echt Teufelswerk mit Sucht-Potenzial, verdeutlichte aber außer meiner Verrohung der gesellschaftlichen Sitten exemplarisch, dass der Homo-Digitalis umso mehr von der Entwicklung überrollt wird, je öfter wir beim Zug der Neuerungen aufspringen.
Action und Nacht können Smartphones aber nicht

Weil ich es noch nicht wahrhaben wollte, dass ich vielleicht nie mehr professionell fotografieren würde, habe ich mir vor fünf Jahren noch teure Kameras gekauft und mir für Experimente einen Camcorder von meiner Familie schenken lassen. Alle Geräte müssen nach Pausen immer komplett geladen und neu programmiert werden. Deshalb sind sie ein Opfer meiner Bequemlichkeit geworden.

Das letzte Foto, das ich mit den Apparaten gemacht habe, waren die Feuerflieger im Einsatz beim Waldbrand vor unseren Burgmauern. Das habe ich  vor drei Jahren an die dpa verkauft (zu sehen aber auch in diesem Blog). Seither schlummern die Geräte in ihren "Bereitschaftstaschen"...

Wenn ich heute noch schnell ein Bild für die Ewigkeit machen will, sage ich zu dem Gesprächspartner mit dem ich gerade telefoniere:
"Du, Moment mal! Bleib bloß dran ich muss schnell mal ein Bild für die Ewigkeit schießen. Das glaubst du nicht. Ich mail es dir gleich. Oder willst du warten, bis ich es im Fotoshop bearbeitet habe?"

Aldous Huxley hat mit seiner "Schönen neuen Welt" zwar auch eine literarische Momentaufnahme geschaffen, aber wieso sollte unsereiner noch weiterschreiben - bei dieser Kommunikationsvielschichtigkeit, in der du auch gleichzeitig noch ein Video vom Handy live übertragen kannst? Ich sag es Euch: Weil es Spaß macht, und weil ich es eigentlich im "nietzscheschem" Sinne tue, um mich im Alter (hihi) selbst  daran zu erfreuen...

Als sie  die Ergebnisse sofort zu sehen bekam, sagte Dorle übrigens noch in der selben Nacht den Satz, der den Erfolg dieser Dinger ausmacht:
"So eines brauche ich auch!"

Freitag, 6. Juni 2014

Geben oder nicht geben?

Die katholisch erzogene "Zweitbeste" lebt im unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen, während ich durch Erlebnisse weltweit aber auch das Studium der Abgründe im eigenen Charakter der gnerellen Überzeugung bin, dass jedem Menschen grundsätzlich alles zuzutrauen ist.
Dass diese Divergenz ein Dauerbrenner für unsere Diskussionen über Mildtätigkeit ist, liegt vor allem auf den Restaurant-Meilen dieser Blumen-Küste auf der Hand. Dort haben wir dreierlei "Wegelagerer", die einem den Appetit schon mal durch ihre Hartnäckigkeit verderben können. Sie operieren in Wellen, und seit ich die fabelhaften Romane des in Triest lebenden deutschen Krimi-Autoren Veit Heinichen gelesen habe, vermute ich hinter diesem Schwarmverhalten maffiöse Strukturen. Erst kommen die Verkäufer von Schirmen, oder Batterie betriebenem, bunten Krimskrams. Deren neuster Renner ist die Hand-Nähmaschine. Dann kommen die Musiker, von denen nur jeder zweite in etwa die Fähigkeit hat, ihn dieser Kategorie zu zu ordnen. Die meisten sind so schlecht, dass man von ihren  Kakophonien Ohren-Krebs bekommen könnte. Einmal war ich derart genervt, als mir das Geld-Tellerchen hingehalten wurde, dass ich zum Schein hinein griff und mich dann übertrieben böse beschwerte, dass da nicht genug als Wiedergutmachung drin sei, Der Typ hat darüber so entwaffnend nett gelacht, dass die Zweitbeste ihm direkt ein Zwei-Euro-Stück in die andere Hand drückte.
Die dritte Welle nervt aber nun endlich auch mal meine Frau. Das sind die, die sich das Gesicht mit Theater-Schminke weißen, in Laken kleiden und wie Geister zwischen den Tischen hindurch schleichen. Sie halten sich offenbar für belohnenswerte Kunstwerke. Da sind mir ja diejenigen, die nur stumm Schilder in der einen Hand und die Mütze für die Münzen in der anderen Hand halten, noch lieber. Als ausgewiesener Experte für Druck- und Handschriften ist mir aber aufgefallen, dass diese Schilder in ordentlichen Großbuchstaben und gleichem Zeilenfall in Sanremo, Imperia oder Bordighera identisch aussehen. Irgendwo im Geheimen sitzt also wohl einer, der unermüdlich diesen Satz auf schönen weißen Karton stets gleicher Qualität schreibt:


AIUTATEMI,

 HO FAME !

"Und was wäre, wenn die nun wirklich Hunger hätten", beginnt die "Zweitbeste" die Diskussion. "Wir sitzen hier und lassen uns das Mittagessen schmecken, während die durch unsere paar Münzen vielleicht einen Tag überleben können."
Meine Frau, die so liebenswerte Gewohnheiten hat, wie in jeder offenen Kirche eine Kerze für die Familie zu entzünden, analysiert die wenigen Male, in denen ich freimütig etwas gebe, grundsätzlich als Maßnahmen gegen mein schlechtes Gewissen. Für mich sei doch das Geben sowieso meist nur an die Erwartung geknüpft, dafür etwas zurück zu bekommen...
Was soll ich sagen? Irgendwie hat sie ja recht, aber selbst dabei habe ich Zeit meines Lebens allzu oft kein "Payback" gehabt...

Und dann muss eine höhere Macht meinen Gewissenskampf doch beobachtet und mir ein Gleichnis geschickt haben. 
Wir hatten diese Woche Besuch von einer lebenslangen Freundin. Für beide Damen die ideale Gelegenheit, auf dem Markt die Stände mit den Anziehsachen zu durchforsten. Eine Beschäftigung, die mich bei der dort herrschenden Enge und Fülle nach zwei Minuten in den Wahnsinn treibt. 

Also floh ich und setzte mich in das Cafe in der Ecke vor dem Dom zum Leute-Gucken. Auf der Treppe vor dem Dom saß ein ganz in Schwarz gehüllter Mann mit hängendem Kopf, dem offenbar die Beine fehlten. Jeder Zweite, der die erhabene Kirche betrat, warf etwas in seinen Pappbecher, weil er stumm ein Schild mit besagter Aufschrift dort angelehnt hatte, wo eigentlich Beine sein sollten.
Dann läutete es zwölf, und die Fußgänger-Zone starb schlagartig aus, weil alles dem mangiare pranzo a mamma zustrebte. Kaum waren die meisten Leute verschwunden, kam Leben in den armen Mann. Er stand geschmeidig auf und der schwarze Umhang - ein gar nicht mal billiger Australian Duster - wurde in eine Umhängetasche verstaut, die unter einer der Steinbänke versteckt war. Der Mann war jung und sportlich, hatte gerade, schlanke Beine, die in sehr guten Jeans steckten und an den Füßen trug er saubere Sneaker, die nur wenige Kilometer auf ihren Sohlen hatten...

Ich dachte, er schaute in meine Richtung, weil er sich  ertappt fühlte. Aber er grinste an mir vorbei, weil aus der Seitengasse hinter mit das Gespenst mit noch einem Charakter aus der "dritten Welle" erschien. Sie klopften sich gegenseitig freundschaftlich auf die Schultern und marschierten munter plaudernd und gar nicht hinfällig zum Hafen hinunter. Jetzt begann ja ihre Mittagsschicht in der zona di divertimento...

Natürlich kamen sie auch wieder zu uns, als ich die  Damen im Restaurant auf dem Kai wieder traf. Die beiden hatten jede Menge Münzen von ihren Beutezügen auf Schals und Blusen übrig, aber sie verteilten sie diesmal großzügig  nur an die Musiker. Bis ganz zum Schluss einer der älteren Bettler kam. Da waren nur noch fünfzig Cent in kleiner Stückelung übrig. Der Bettler rümpfte die Nase und hielt seine Mütze noch einmal hin.
"Basta", sagte die "Zweitbeste" zu ihm und zu uns: "Dem gebe ich das nächste Mal nichts mehr!"

Wie war das doch gleich mit den Erwartungen beim Geben?

Mittwoch, 4. Juni 2014

Die Rache des Bluters

Es ist ja nicht alles pure Harmonie auf der Burg. Es gibt auch die eine oder andere Plage, mit der sich die Bewohner alljährlich arrangieren müssen: Nach dem feuchten Frühjahr mit Dauerregen und abgestürzten Straßen, mehren sich mit den ersten etwas wärmeren Tagen Anzeichen dafür, dass das eine gute Saison für Mücken (Zanzare) und die von uns fälschlicher Weise auch als Oliven-Fliegen  bezeichnete Sandfliegen Pappataci (Phlebotimus papatasi) werden könnte.

Im Haus schützen wir uns vor ihnen damit, dass wir an allen für die Dauerlüftung an heißen Tagen strategisch wichtigen Fenstern mobile Fliegengitter (Zanzariere) angebracht haben. Die Mücken, die dann doch noch aus Unachtsamkeit herein kommen, hauen wir mit Handtüchern von Wänden und Decken der hell erleuchteten Zimmer - natürlich bevor sie zugebissenen haben. Wir wollen ja schließlich nicht jedes Jahr neu streichen...

Schwieriger wird der Häuserkampf allerdings gegen die Pappataci, die so hauchdünn und durchsichtig daher kommen, dass sie erst zu erkennen sind, wenn sie bereits zubeißen. Kleine, gemeine Dreiecke, die den Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem einst als Vorbild für seine Schwarm-Computer gedient haben könnten. 

Bekommt der Mensch zuviel Bisse auf einmal ab, kann es gut sein, dass er am sogenannten "Toscana-Fieber" erkrankt, das aber im Vergleich zum von Mücken übertragenen Dengue Fieber ohne bleibende Schäden verläuft. Je nach Allergie hinterlassen die Bisse aber scheußlich juckende Riesen-Pusteln. Da ist es gut, wenn Fenistil im Hause ist. Das hilft wenigstens einigermaßen.

Richtig versauen können einem beide Spezies aber die lauen Nächte auf der Piazza oder auf der Terrasse. Das Kampfmittel Autan hat sich zwar geruchsmäßig und als Spray geschmeidig verbessert, es ist aber dennoch nicht jedermanns Sache, sich mit Chemikalien  einzunebeln..

Die systematisch vorgehende "zweitbeste Ehefrau von allen" (kurz: die Zweitbeste) probiert auf diesem Gebiet ja immer mal etwas neues aus. Nach Elektro-Spiralen, heiß verdampfenden Giftplättchen und Akustik-Fallen, die angeblich das Fluggeräusch paarungsbereiter Mücken simulieren, ist sie im vergangenen Jahr auf eine Blumentopf große Stinke-Kerze  gekommen. Sie verbreitet Rauchschwaden und den Geruch brennender Ölquellen, hilft aber hundertprozentig, wenn man sich in ihrem (hihi) Dunstkreis aufhält. Aber wer möchte unter unserem herrlichen Sternenhimmel nächtens schon an die Irak-Kriege erinnert werden?

Nach meinem Infarkt muss ich auf Anraten der Ärzte sowohl den Blutverdünner ASS100 als auch ein Macumar-Präparat schlucken. Das erinnert mich an einen Kollegen und Reisebegleiter, der trotz einiger Bypässe, Herzschrittmacher und Herzklappen vom Abenteuer nicht lassen konnte. Am Lagerfeuer in der Wildnis ließ er sich angeblich gerne mal beißen (nicht Stechen, denn Mücken benutzen ja zwei Kiefer-Säge-Raspeln im Rüssel um durch die Haut von Warmblütern zu kommen), damit er vorzuführen konnte, wie die durstigen Mücken durch die Blut-Verdünnung zerplatzten.

Ich halte das für ein Gerücht, bin aber zum Selbstversuch bereit. Wenn das tatsächlich stimmt, werde ich mit meinem Smartphone ein Video drehen, das ich unter dem Titel "Die Rache des Bluters" auf YouTube posten werde.

Für die jüngeren Leser, die nicht unter als Bluter bekannten Britischen Königen oder bei der Zaren-Familie Romanow aufgewachsen sind: Hämophilie ist eine degenerative Erbkrankheit, von der in erster Linie Männer befallen werden. Ein genetischer Defekt führt dabei zu einem zu niedrigen Gerinnungsfaktor und nur schwer oder überhaupt nicht heilenden Wunden oder früher mitunter tödlichen Einblutungen..

Montag, 2. Juni 2014

Nationale Feiertage

Wenn der Staat einen Tag zum Feiern frei gibt, also einen nationalen Feiertag ausruft, wird von den Bürgern selten der Grund für diesen Tag selbst gefeiert, sondern die freuen sich einfach darüber, in der Regel nicht arbeiten zu müssen...

In Italien wird heute eigentlich die Ausrufung der Republik und die Abschaffung der Monarchie per Dekret vom 2. Juni 1946 gefeiert, aber in Wirklichkeit herrscht schon seit Freitag ein Riesenrummel, denn der Feiertag verschafft ja auch ein langes Wochenende. 

Wer den Massenveranstaltungen in den Städten am Meer entgehen will, legt einen Wandertag ein. Die Bedingungen sind ideal, weil es ja für die Jahreszeit bei normalen hiesigen Wetterverhältnissen immer noch zu kühl ist. Seit den Morgenstunden hören wir Gruppen auf der Piazza, die sich an unserem Brunnen auf dem Weg zur großen Madonna auf dem Berg über uns einen kühlenden Trunk gönnen. Es ist schön, die Menschen in festlicher Stimmung zu sehen - egal aus welchem Grund. 

Bei den vielen Ausländern hier oben, denken ja manche gleich in einem Anfall von Geschichtsklitterung, es würde  - vom Datum her zwar unscharf  - heute auch die Befreiung von den deutschen Kriegstreibern gefeiert. Dabei wird gerne vergessen, dass Mussolinis Ideen ein wichtiger Leitfaden für Hitlers Irrsinn waren.

Als überzeugter Europäer habe ich aber heute auch einen Grund zu feiern, weil ich glaube, dass Italiens junger Hoffnungsträger Matteo Renzi für eine Korrektur bei der Betrachtung der deutschen Rolle in Europa gesorgt hat. Mit seinen 41 Prozent Zustimmung bei der Europawahl führt er das einzige Land, in dem Rechtspopulisten nicht mit ihren Ergebnissen für erschreckende Signale gesorgt haben. Selbst die Alten, die der verurteilte Belusconi zur Strafe (für wen?) betreut, haben in ihrem Heim mit großer Mehrheit gegen den Cavaliere gestimmt. Zwar muckt der Grusel-Grillo mit seinem 21 Prozent noch auf, doch traue ich mich, die Prognose zu wagen, dass er bald nur noch eine Fußnote am Ende der Finanzkrise sein wird. Es sei denn er macht es Mussolini nach und wechselt wie jener einst von ganz links nach ultra rechts und zieht dabei jene mit, die für ein geeintes Europa nicht die Ärmel hochkrempeln wollen. Faschistisch ist seine Sprache ja bisweilen jetzt schon.

Mit 41 Prozent Wahlergebnis  im Rücken wagt Renzi wohl auch, sein Titanen-Werk mit Statements auszurichten, die seinem Vorgänger und Parteifreund Letta noch das Amt gekostet haben: Er würdigte gestern die deutsche Bundeskanzlerin als Vorbild und ihre Politik im Sinne Europas als nachahmenswert. Ihren regiden Sparkurs kann er allerdings nicht einschlagen. Die öffentliche Hand muss in Italien möglichst bald als Großinvestor auftreten, um die Defizite in der sozialen Versorgung zu mindern. Das geht nur, indem er die quasi militanten Nicht-Steuerzahler durch klare Vorschriften zum Zahlen zwingt.

Eine deutsche Nachbarin erzählte mir neulich von mehreren Besuchen auf der Gemeinde. Sie hatte davon gelesen, dass die neu angepasste Gemeindesteuer in diesen Tagen fällig sei, und wollte sie nach deutschem Vorbild auch direkt begleichen. Nach einigem Hin und her stellte sich heraus, dass der Berechnungsschlüssel noch nicht eindeutig vorläge, es bliebe also bei der alten Summe.

Gut, dass wir einen hiesigen Steuerberater haben, dem wird hoffentlich schon  irgendwann  der Durchblick vermittelt...