Montag, 29. September 2014

Cherie

Als ich in den 1970ern noch dachte, ich könne mein Leben als Erzähler bestreiten, habe ich einmal eine Parabel getextet, die sich um den Unterschied zwischen einer Barfrau und einer Bardame drehte: Während Erstere sich mit falschen Verlockungen unter vollem Körper-Einsatz allein dem Umsatz und ihrer Provision widmet, lässt Zweitere persönliche Annäherung nur auf quasi therapeutischer Ebene zu. Was sie aber nichts desto trotz für ihr Klientel verheißungsvoll erscheinen lässt, weil es weiß, dass geheimste Wünsche, Vorstellungen aber auch Sorgen gehört, aber nicht weiter getratscht werden. Die meisten Bardamen haben keine Laufkundschaft - wie Barfrauen, sondern Stammkunden - oft bis über das Alter des Begehrens und der Begehrlichkeit hinaus.

So ganz sicher bin ich mir im Fortschreiten der Jahre nicht, ob meine Theorie von damals generalisiert werden kann. Aber ganz sicher bin ich mir, dass Signora Girasole sich spät berufen dem Stadium einer Solchen nähert. Seit die ehemalige Trägerin buntester Jogging-Anzüge, die ja einiges mit Männern durchgemacht hat,  den Job der Gemeinde-Bardame übernommen hat, wandelt sie sich. Die mehrfache Großmutter kleidet sich nun mit dezenten modischen Accessoires, hübscht sich aber nun so auf, dass sie von der in die Jahre gekommenen männlichen Dorf-Bevölkerung genauso frequentiert wird wie von der weiblichen. Wenn also die Gemeinde mal etwas richtig gemacht hat, dann ist das dieser "Social Club".

Natürlich darf man sich die Bar Girasole nicht als gemütliche Stammkneipe an der Ecke vorstellen. Sie strahlt eher den Charme eines Vereinsheimes aus. Aber die Signora hat es so wohnlich gemacht, wie es eben ging. Wer draußen sitzen will, tut das im Schatten zweier Bäumchen auf dem Parkplatz, aber mit prachtvollem Blick auf das Portal unserer frisch renovierten Kirche. Auch zur Burg hinauf öffnet sich der weite Blick mal aus ganz anderer Perspektive.

Als wir uns dieser Tage mit dem Impresario trafen, der in unserer Abwesenheit die Wetter-Fassaden unserer mittelalterlichen Bruchbude renovieren soll, hatten die "Zweitbeste" und ich mal eine gute Gelegenheit den Bar-Betrieb und die Souveränität der diesen am Laufen haltenden Nachbarin zu beobachten.

So ab vier trudeln die ersten Männer nach der Arbeit ein, während die Alten da schon ihre Stammplätze eingenommen hatten. Einer führt seine wohl bereits leicht demente Mutter an eines der Tischchen und setzt sie wie eine Divan-Puppe in Positur, damit sie zumindest gucken kann. Sie bekommt ein Gläschen Orangen-Saft hingestellt, das sie aber nicht anrührt. Sie und wir sind jedoch die einzigen, die ein Getränk haben. Statt etwas zu bestellen, wird zunächst erstmal ausführlich geratscht. Ein recht alter Mitbürger sitzt eher zusammen gesunken an der Treppe und reagiert gelegentlich mit einem Si oder Kopfschütteln. So ab fünf kommen die ersten Damen zum Kartenspielen. Unsere Nachbarn Ina und Vittorio bleiben zu unserer Überraschung aus, aber die natürlich bestens informierte Signora klärt uns auf. Die Ape von Vittorio ist beim Mechaniker, und Ina hat etwas in der Stadt zu tun. Stattdessen erscheint aber die wie fünfzig aussehende 82jährige Nachbarin von der Piazza Santa Anna mit Gefolge: Enkelin und Urenkelin. Irgendwie sind alle miteinander verwandt, aber so etwas interessiert ja vornehmlich die "Zweitbeste". Ich kann mir das ja in den mit mir verbundenen Familien schon kaum merken.

Deshalb bin ich dankbar, dass ich von den Männern immer tiefer in Diskussionen um Benzin-Preise, deutsche Maut-Vorhaben und anstehende Heizungskosten gezogen werde. Weil wir noch mit dem goldpreisigen Gas heizen, werden wir milde belächelt. Im übrigen weiß fast jeder der Anwesenden bereits bevor Marcellino auf seiner schweren Motoguzzi über den Hof reitet, über das bescheid, was wir so diskret wie möglich halten wollten: Dass er den Zuschlag für die Fassaden-Renovierung erhalten hat.

Einer, den ich noch nicht so oft gesehen habe, sagt dann: "Du bist doch der im Haus der "Francesa"?"
Da geht ein unmittelbarer Ruck durch den Alten an der Treppe. Er richtet sich gerade auf, die Nachmittagssonne erleuchtet sein Gesicht mit dem sehnsuchtsvollen Lächeln und er seufzt: "Ah Cherie!"

Und im Nullkommanix hallt der Parkplatz wider von den vielen Legenden, die über die längst verstorbene, "männermordende" Einheimische immer noch im Umlauf sind. Die Ur-Eigentümerin unseres Hauses, die nur deshalb "La Francesa" genannt wurde, weil sie als Köchin im benachbarten Ausland gearbeitet hatte.

Seit wir hier wohnen, haben wir soviel von ihr gehört, dass wir nachts ihren Geist im Negligee durch das Haus schleichen hören...

Naja - jetzt hat sie ihr Haus bald für ein halbes Jahr wieder für sich ganz allein und kann mit all ihren verstorbenen Liebhabern (hoffentlich lässt sie unsere Bauarbeiter in Ruhe) wieder Karten spielen, bis wir im Frühjahr auf die Burg zurück kommen.

Dieser ist der letzte Brief von der Burg für dieses Jahr. Ab 15. Oktober hagelt es wieder im Münchner Glashaus jede Menge Steine. Bleibt mir gewogen!

Donnerstag, 25. September 2014

Was soll ich denn noch schreiben?

Gestern waren wir bei unserem Teilzeit-Nachbarn Gerold in eines der schönsten Hauser des Borgos zum Abendessen geladen. Gerold handelt mehr als Hobby so nebenher mit ausgesuchten italienischen Weinen. Er ist quasi ein wandelndes Wein-Lexikon, aber  er lässt Vorträgen auch einzigartige Beispiele folgen. Er folgt dabei vorrangig seinem eigenen Geschmack und erreicht doch reich an Kenntnis, was gut ist, eine enorme Trefferquote bei seinen Gästen und Kunden. Nach fünf Weißweinen und drei Rotweinen habe ich dann gepasst. Nicht etwa, weil ich nach den eleganten Probier-Mengen einen im Tee gehabt hätte, sondern weil ich das Gefühl bekam, mit jeder weiteren Kostprobe den vorangegangenen Kreszenzen Unrecht anzutun: Es war ein önologisches Elysium.

Heute ist Blogger-Tag, und ich wünschte mir für mein Geschreibsel eine ähnliche Trefferquote im Geschmack, wie sie der Gerold bei der Darreichung seiner Weine hat. Auch ich lasse mich ja thematisch davon leiten, was ich gut finde, aber ich kann ja nicht ständig etwas schreiben, was allein der Gefälligkeit unterliegt. Da unterscheidet sich Weine zu verkosten extrem vom Bloggen.

Die "Zweitbeste", die Bücher wie "Unser Haus in Frankreich" oder "1000 Tage in der Toskana" kiloweise verschlingt, drängt mich - obwohl sie keinen meiner Posts je gelesen hat: "Sowas musst du schreiben! Das interessiert die Leute!"

Dann habe ich immer eine ganz extrem kurze Zeit Gewissensbisse, dass ich ihr nicht das Leben eines Bestseller-Autors bieten kann und besinne mich dann aber darauf, dass mir diese herrliche Jetztzeit im Internet die Möglichkeit bietet, zu veröffentlichen, was mir gerade in den Sinn kommt. - Ob das nun mehr oder weniger Leser überzeugt, interessiert mich sicher auch, aber das ist eben nicht an meine Existenzerhaltung geknüpft,  In sofern sind der Gerold mit seinem Weinen und ich mit meinen Texten  uns dann irgendwie ähnlich.

Und dann wäre ja da noch die Frage, wer  oder was den Leser-Geschmack beeinflusst: Bei einem Blog gibt es keinen Auflage-Zwang, keinen Verleger, der einen mahnt, wegen der Produktionskosten nicht mehr als 180 Manuskriptseiten abzugeben - und schon gar keine Agentin, die selber noch nie eine vernünftige Zeile zu Papier gebracht hat, aber verlangt, es müsse vor allem das Herz der Leserinnen angerührt werden.

Da sitze ich doch lieber bei frischen Schälnüssen von meiner "Marktschlampe", einem "Capra" vom Bergbauern,, einem Pecorinoe Sardo molto stagionato und einem nicht ganz so prominenten Barbera aus dem Piemont auf meiner Terrasse und beobachte, wie ein Falke über mir im tiefen Blau des Herbsthimmels seine eleganten Kreise fliegt. Ja, und dann kommt auch noch die "Zweitbeste", die gerade aus den Trauben von Falco, den Überreifen Tomaten von Signora Electra, Curry, Ingwer  und unseren selbst gezogenen Peperoncini einen grandios pikanten Sirup als aktuelle Begleitung zum Käse komponiert hat.
Aber so etwas würde ich natürlich nicht schreiben. Schon um meine Leser nicht neidisch zu machen.

Im übrigen danke ich denen für eine Woche mit neuem Zugriffsrekord, obwohl die Posts aus meiner Sicht nicht gerade prickelnd waren. Natürlich sind das keine Millionen, wie sie der Typ bei YouTube erreicht, der eine Nudel mit dem Mund schlunzt um sie gleich wieder aus der Nase zu ziehen...

Mich quält beim sich nähernden Ende der Burgbriefe-Saison nur noch eine letzte Frage:
Was soll ich denn noch schreiben?

Montag, 22. September 2014

Das Ende ist der Anfang

Auch ohne Kalender weiß hier oben jeder, dass Herbst-Anfang ist. Seit zwei Tagen wird nämlich - in den Valle dell'Olio die Waffenruhe gebrochen. Allerdings sind davon nur Singvögel, Hasen, Fasane und - im waidmännischen Glücksfall - ein paar Wildschweine betroffen, die sich nicht rechtzeitig in die Schutzzone zurück gezogen haben. Menschen - wie leider an vielen anderen Orten auf der Welt - sind davon nur dann betroffen, wenn sie sich ohne Leucht-Westen außerhalb ihrer Ortschaften in die Steineichen-Wälder begeben...

Nach einschlägigen Begegnungen der besonderen Art würde ich mich noch nicht einmal mit so einer Weste, wie sie unsere postina trägt, oberhalb des Borgos begeben. Selbst wenn auf ihr stünde : Non sparare! Io non sono un cinghiale! Nicht schießen! Ich bin kein Wildschwein!

Aber blöde Witze - wegen des "Überlesens" der zwei non - über die Jagdleidenschaft unserer Gastgeber sind ja schon genug gemacht worden. Jedenfalls hallt jetzt unser Trichter-Tal nicht nur im Morgengrauen vom Schall der Doppelschüsse wider. Ganz selten mal, dass einer der verborgenen Schützen nur mit einem Schuss auskommt - knallt halt so schön.

Friedlicher geht es bei der Weinlese zu, die gleichzeitig  begonnen hat. Falco und Giovanna haben unterstützt von ihren Kindern und Enkeln den ganzen Samstag von ihrer Ape transportierte Kisten mit Weintrauben zum Maischen ihres winterlichen Weinvorrates über die Piazza getragen. Natürlich sind wir auch wieder mit riesigen Trauben bedacht worden. Dabei ließ Giovanna nebenher anklingen, dass Falco im Weinberg zweimal umgefallen sei, weil er aus Eitelkeit seinen Stock abgelegt hatte.

Viele sind es hier oben nicht mehr, die ihren eigenen Wein keltern, und nicht jeder hat nach dem Rückgang der Geburtenrate genügend nepote als Erntehelfer. Denn auch die Netze unter den heuer schwer tragenden Olivenbäumen liegen schon zum Aufspannen  für das Runterklöppeln des einst grünen Goldes bereit.

Es war ein gutes Jahr für jegliche Ernte. So kraftvoll grün waren die Berge um diese Jahreszeit noch nie, seit wir hier leben. Der Regen-Sonnen-Mix war wohl ideal, aber der Credit Agricol gibt Bauern, die schon Rente beziehen, nicht gerne Geld für spezialisierte Ernte-Helfer, die die bereits durch die EU subventionierte Öl-Gewinnung  hier im weltweiten Extra-Vergine-Preiskrieg noch teurer macht...

Was wird werden aus einer der herrlichsten Kultur-Landschaften der Welt? Statt die Arbeitskraft der vielen Asylanten stur ungenutzt zu lassen, fällt der Politik vielleicht doch eines Tages noch ein, ihnen die Chance beim Einbringen überreichlicher Ernten und damit auch wieder Selbstwertgefühl zu vermitteln. Dann könnte das Ende eventuell zum Anfang werden...

Wenn da nicht welche wären, die mit den fascie etwas ganz anderes vorhaben. Von unserer Terrasse haben wir fast eine Vogelperspektive auf einen Ort am rechten Ufer des Impero. Als wir hier her zogen, konnte ich mich gar nicht genug satt fotografieren an seiner Struktur. Das war wie ein Landart-Arrangement aus einem Bildband: Um die schöne Kirche und die Wohnhäuser waren die Terrassen in einem zauberhaften  Patchwork-Muster arrangiert.

Nach und Nach aber  verschwanden auf den unteren Ebenen zunächst die Bäume, dann lagen  die Pflanzflächen brach, und jetzt frisst sich eine Riesen-Baustelle in dieses Bild, die zweifelsohne am Ende mehr einbringt als die mühevolle Handarbeit bei den Ernten.
Unten links frisst sich die Großbaustelle in die Terrassen-Struktur

Donnerstag, 18. September 2014

Was die Macht der Liebe mit uns macht

Gestern machte im Web die Geschichte einer Australierin die Runde, die ihrem Goldfisch in einer einzigartigen Operation einen riesigen Tumor entfernen ließ. Der veterinäre Eingriff kostete einen ziemlichen Batzen, aber das war der Liebe der Frau von Downunder zu ihrem Goldfisch eben geschuldet. Danach jedenfalls - so wurde berichtet - habe sich der Geliebte wieder wie ein Fisch im Wasser gefühlt und könne noch auf ein langes Leben hoffen.

Abgesehen davon, dass Liebe ja auch nicht gegen ihre Dauer aufgerechnet werden kann, war das Geld der Australierin gut angelegt. Denn Goldfische oder Koys gehören zusammen mit einigen Papageien-Vögeln als Haustiere zu den "Lifetime Compagnons"; die einen begleiten uns stumm ein Leben lang, die anderen schwätzen uns gar schier endlos die Hucke voll.

Dass aber auch Goldfische kommunizieren können, erlebte ich an meinem Garten-Teich. Eigentlich war der als Biotop derart ausgewogen ausgestattet, dass die bunten Gesellen nicht eigens gefüttert werden mussten. Aber wann immer sie meine Stimme hörten, die Vibration meiner Schritte spürten oder nur meinen Schatten sahen, versammelten sie sich aus allen Regionen des Teiches  zum Schwarm und folgten mir nicht nur, sondern warben mit Kreiseltänzen um meine Aufmerksamkeit. An der Flachwasser-Zone konnte ich mich auf den Bauch legen, dann kamen sie so weit heraus, dass ihre Rücken im Freien waren. Sie verschwanden erst dann wieder ins Tiefe, wenn sie aus meinen Fingern ein Leckerli gezupft hatten.

Als wir das Haus verkauften und der Käufer den Gartenteich wegen seiner Kleinkinder zuschütten wollte, war ich erleichtert, dass unser Umzugsunternehmer für seinen frisch angelegen Teich meine Freunde abfischte. Traurig war ich über die Trennung aber nicht, während ich mir noch heute Vorwürfe mache und mich auch schäme, dass ich das Ableben meines Hundes länger und nachhaltiger betrauerte als den Tod meiner Eltern.

Was mich zum eigentlichen Thema bringt:  Was nämlich die scheinbar nicht steuerbare Macht der Liebe aus uns macht. Wie vielschichtig und gegensätzlich unsere Gefühle sein können. In einer Zeit, in der die Menschheit hilflos zusieht wie zu religiösen Propagandazwecken  fast alltäglich Menschen enthauptet oder Kinder aus ihren Häusern gebombt werden, rührt die Berichterstattung ein vom Tumor befreiten Goldfisch mehr als die aktuellen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer.

Vom Nazi-Horrorschurken Heinrich Himmler, dem wohl eine Seele überhaupt schwerlich nachgesagt werden konnte, wurde eine tiefe gar lähmende Trauer über den Tod seines geliebten Schäferhundes kolportiert. - Was ihn aber nicht daran hinderte, am selbigen Tag Tausende von Juden in die Gaskammern zu schicken.

Solche Widersprüche könnten den Verdacht aufkommen lassen, die Liebe sei immer eine Art Ausnahmezustand und könnte daher auch zur Entschuldigung dienen. Aber dazu hat die Liebe einfach zu unterschiedliche Erscheinungsformen.

Manche verlieren ihren Verstand vor lauter Liebe, andere wiederum ordnen ihre Gefühle einem klaren Kalkül unter. Bei den einen ist die Liebe ein Strohfeuer, bei den anderen hält sie bis über den Tod hinaus.

"Und darum wird nach dem Happyend im Film jewöhnlich abjeblendt", dichtete schon Kurt Tucholsky. Wenn ich die weltweit hohen Scheidungsraten vergegenwärtige, kommen mir die Filmdramen, in denen sich Liebende füreinander aufopfern, oft zweifelhaft vor. Da riskieren sie möglicherweise Kopf und Kragen, nur um nach dem Überleben ein paar Jahre später diesen Partner für eine neue Liebe (?) zu verlassen.

Achtung thematischer Hopser!
Am Dienstag hatten wir das letzte Abendmahl, genauer gesagt das ultima cena in piazza, bevor wir bald wieder in der alten Heimat überwintern. Im Gegensatz zum ultima cena wie es unsere Seelensammlerin gerne sähe (die Jünger in der einen Liebe zu Jesus an der Tafel vereint) saßen mehr als ein Dutzend Vertreter der durchaus irdischen Liebe gut gelaunt bei Speis und Trank: uralte Ehen, junge Ehen, neue Ehen, wilde Ehen, aber leider auch "bessere Hälften", die der Schnitter zurück gelassen hat.

Zur Liebe fähig zu sein, ist essentiell, aber das bewahrt uns weder vor Abgründen, noch schützt das vor Torheit im Alter...

Sonntag, 14. September 2014

Vele d'Epoca

Alle zwei Jahre treffen sich in der ersten Hälfte des Septembers Eigner und Enthusiasten alter Segelschiffe in Porto Maurizio. Nicht nur um die Schönheiten her zu zeigen oder zu bestaunen, sondern auch, um in einer historischen Regatta zwischen Capo Berta und San Lorenzo ihre immer noch bravouröse Seetauglichkeit unter Beweis zu stellen.
Eigentlich wollte ich von der glamourösen Atmosphäre, dem Feuerwerk und den Show-Einlagen berichten. Aber nachdem bei einem "Piraten-Überfall" im Hafen einem Zuschauer durch einen fehl gefeuerten Feuerwerkskörper ein Auge ausgeschossen wurde, beschränke ich mich darauf, ein paar Bilder für sich sprechen zu lassen...





Donnerstag, 11. September 2014

Gäste - oder das Leben der Anderen

Keine Frage. Die " Zweitbeste" und ich freuen uns immer, wenn Gäste auf die Burg kommen. Ganz besonders, wenn die unsere Kinder sind und auch noch Freunde mitbringen, die wir von klein auf kennen und quasi auch "partymäßig" groß gezogen haben.

Aber dann auch wieder nicht so. Gäste bedeuten mehr für mich als für meine Frau, dass der Alltagstrott, den wir uns als Burggeister angewöhnt haben, einer spontanen Kreativität als Programm-Gestalter, Zeit-Jongleure und Entertainer unterworfen werden muss.

Die "Früchte unserer Lenden", wie wir sie gerne nennen, wenn sie uns  - wie vor ein paar Tagen - ein Begrüßungskonzert mit selbst geschriebenen und komponierten Songs auf der Piazza geben, unterliegen nämlich einem Mutationsprozess: 34- und 32jährig verwandeln sie sich in die Kids von einst zurück , sobald sie hier sind, und weil auch die Freunde "Müttis" Fürsorge von klein auf gewohnt sind, verfallen sie auch gleich altem Komfort-Denken. Wenn ich ihr dann vorwerfe, dass sie die Brut wohl wieder "pampert", als seien keine 20 Jahre vergangen, dann wirft sie mir Fürsorge-Neid oder gar Eifersucht vor.

Also verkrümele ich mich in den Weiten der mittelalterlichen Bruchbude und ertrage das Gewaber selbst gedrehter Zigaretten (sie sollten wirklich nicht wieder mit de Rauchen angefangen haben!!!), stolpere über mit zeremoniellem Aufwand gefüllte, halb ausgetrunkene, überall im Haus abgestellte Capuccino-Tassen - sage aber nichts, weil ich mich ja nicht als Spaßbremse isolieren möchte.

Dann offenbaren diese im Job so Toughen alsbald auch noch eine Antriebsschwäche, die zu endlosen Diskussionen führt, was man denn an diesen fünf vom Jahresurlaub abgezwickten Tagen machen könnte. Spüre ich da dann den heimlichen Zwang von einst?

"Papi? Was wollen wir denn heute machen?"

Von "wir" kann aber schon lange keine Rede menr sein. Das gilt auch für andere Gäste aus dern Verwandt- und Bekanntschaftskreis: Wer immer sich ankündigt, dem wird gesagt: "Ihr könnt gerne kommen, aber wir machen kein Programm für euch!"

Als mir neulich ein alter Weggefährte beim Abschied durch die Blume andeutete, was für absolute Langweiler die "Zweitbeste" und ich geworden seien, musste ich ihm leider mal kräftig etwas vor den Latz geben. Bin mir aber nicht klar, ob er das dann überrissen hat. Denn er war ja schließlich im Urlaub hier!!!

Ja Leute! Das ist der Unterschied. Wir leben hier. Wir lieben unser Haus und verkriechen uns gerne darin. Hat ja auch genug gekostet. Wir haben das Meer vor der Tür, deshalb frequentieren wir die Strände erst wieder, wenn sie uns annähernd alleine gehören und wir die Wegelagerer-Parkgebühren nicht mehr bezahlen müssen. Wir gehen zweimal die Woche, aber nicht täglich, in ein Restaurant unserer persönlichen Hitliste und brauchen daher nicht ständig ultimative Hinweise, wo wir unbedingt mal hingehen müssten. Aber wenn ihr zu den Nachbarschaftsgelagen mit den Burggeistern kommt, seid ihr herzlich willkommen, damit ihr daheim schwärmen könnt, wie ursprünglich das hier noch ist. Unser Leben ist langweilig: Kulturell und sozial verkommen wir total, aber wenn ihr wieder weg seid, atmen wir auf, weil das eben genau das ist, was wir wollen, ohne dass ihr uns ein Gefühl des Unausgefülltseins zurück lasst.

Dass wir todtraurig sind, dass unsere Kinder morgen wieder fort sind, verarbeiten wir dann einfach in einem Sad-Song.

Sad songs say so much!", singt Sir Paul Mccartney, mit dem wir aufgewachsen sind und der noch ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hat...

Montag, 8. September 2014

La Precedenza e La Priorita

Ja, wenn das mit dem Italienisch so einfach wäre! Viele Begriffe ergeben isoliert  betrachtet einfach einen Sinn. Aber nur für die, die einem Wörterbuch (und keinesfalls dem Google-Übersetzer) vertrauen...

Nähmen wir also die beiden Substantive aus der Überschrift so, wie sie dort stehen, dann sind das eben:
Vorfahrt und Vorrang.

Aber weil die italienischen Autofahrer, respektive die ligurischen, eben die Feinheit ihrer Sprache besser beherrschen als die Verkehrsregeln,  kommt der Deutsche Verkehrsteilnehmer immer wieder in Bredouille. Hier hat nämlich jeder Begriff noch eine verkehrstechnische Auslegung, die vom täglichen Umgang mit ihm  und von der Sprache des Herzens - oder präziser - dem Temperament geprägt wird.

Zunächst die Ungeduld der Herzen:
Motorrad-Fahrer, Motorini, Rollerfahrer - mögen sie PSmäßig noch so minderbemittelt sein - dulden durchgehende, sich langsamer bewegende Schlangen von Autos nicht. Selbst wenn sie sich nicht nur auf der eigenen, sondern gleichzeitig auch auf der Seite des Gegenverkehrs bilden. Da müssen sie einfach durch, und da lassen sie sich auch nicht von den die vielen blumengeschmückten Gedenktafeln und Kreuzen  am Straßenrand stören.

Säßen sie nicht auf dem Bock, sondern im Auto, fände leider kein Umdenken statt. In ihren Herzen ist die Vorfahrt nämlich vorrangig programmiert.

Das wird deutlich, wenn unsere Gastgeber sich eher ungewollt vom Autofahrer, Motorino-Matador, selbst von einem Ciclista in einen Pedone, einen Fußgänger, verwandeln. Sich selber kennend misstrauen sie dann automatisch  nicht nur den Schildern "precedenca ai pedoni", sondern auch Fußgänger-Ampeln und Zebrastreifen - striscie. Italien ist tatsächlich das einzige Land auf der Welt, in dem sich Fußgänger dafür bedanken, dass man als Autofahrer vor dem Zebrastreifen hält und nicht versucht, sie über den Haufen zu fahren.

Seit eineinhalb Jahrzehnten versuche ich nun heraus zu finden, ob die Gewichtung von Vorfahrt und Vorrang nicht am Ende von den Genen bestimmt wird, wie das Einhalten von Verkehrsregeln generell. Vielleicht haben wir ja die vielen Hinweise auf der Autobahn über die drohenden Verluste von Punkten (insgesamt gibt es zwölf, die sich nach und nach gen Null zum Führerschein-Entzug reduzieren) nur missverstanden, und es ist wie bei den zehn Geboten, die zwar einleuchten, aber in Ermangelung eines direkten Schmetter-Blitzes vom lieben Gott doch eher als Kann-Regeln missverstanden und daher so oft gebrochen werden...

Also hier ein Beispiel:
Im Tal-Ort gibt es wegen einer Verengung eine Ampel, die vermeidet, dass es Gegenverkehr gibt. Da freut man sich - zumal die Sekunden der Durchfahrt-Dauer digital angezeigt werden - wenn man Grün hat und beschleunigt. Kurz vor der Ampel gibt es jedoch eine Zufahrt, die natürlich keine "precedenza" hat -Wenn man nicht Einheimischer ist und nur die leere Lücke zwischen dem Halte-Strich und der Ampel sieht. Dann gibt man auf gut Glück auch Gas.

Also ich - reaktionsschnell in die Eisen und dem Giovane fast in die Seite. Doch anstatt sich zu freuen, dass er vor einem mächtigen Schaden und Punktverlusten wegen Missachtung der Vorfahrt bewahrt wurde, bremst der Kerl nach seinem Powerslide und brüllt durchs offen Fenster:"
Inserisci la patente da voi vecchio pazzo!!!"
Gib deinen Führerschein ab - du alter Trottel!

Samstag, 6. September 2014

Francobolli

Als sich Ende der 1960er abzeichnete, dass aus der Urlaubsbekanntschaft meiner kleineren Schwester ein Schwager werden würde, der für nachhaltige "italienische Momente" in unserer Familie sorgen sollte, beeilte ich mich zu den italienischen Gesten, die ich ihm bereits abgeguckt hatte, auch ein paar Brocken der Sprache zu lernen.

Damals hießen die dritten TV-Programme der ARD noch Studienkanäle. Neben "Cordialmente da Italia" gab es auch einen Sprachkurs mit einer hinreißenden donna matura, die den Sexappeal der unvergessenen Schauspielerin Anna Magnani ausstrahlte . Es ist anzunehmen, dass meine spätpubertären Sinne eher durch sie angeregt wurden, als durch die Sätze, die sie via Flimmerkiste beibrachte.

Einer ist dennoch wegen seiner Unsinnigkeit in meinem Gedächtnis geblieben:
"Il gatto di signor Borgo ha mangiato il francobollo della signora Bianca."
Was immer den Kater von Herrn Borgo dazu gebracht hatte, die Briefmarke von Frau Bianca zu fressen - keiner konnte damals ahnen, dass Briefmarken dereinst in ein vorfossiles Stadium übergehen würden.

In Zeiten von e-mails, SMS, Twitter und sonstigen Kommunikations-Methoden befinden sich Briefmarken eindeutig auf dem Rückzug; gerade im "telefoninosierten" Italien. Da Postämter immer rarer werden, gibt es nur wenige Verkaufsstellen und noch weniger Käufer...

Nur eine kleine deutsche Frau in einem abgelegenen Wehrdorf  besteht noch hartnäckig darauf, frankierte Postkarten und Briefe in alle Welt zu verschicken:

Der kluge Leser wird es erraten haben, es handelt sich dabei um die "Zweitbeste Ehefrau von allen", die immer fleißiger an ihrem Ruf als "ungekrönte Königin des Vergessens" arbeitet. Ich liebe zwar ihren Traditionalismus, aber manchmal geht sie mir damit ganz schön auf den Zeiger und strapaziert meine Langmut. Was ich einfach nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass diese Frau, die noch vor ein paar Jahren mit Computer-Programmen, die ich nie verstanden habe, Finanzbuchhaltung, Löhne, Gehälter und Abschlüsse unserer Firma bearbeiten konnte, zu einer derartigen Elektronik-Verweigerin werden konnte. Selbst ihr mit Strass geschmücktes Uralt-Handy wird bereits von einschlägigen Museen als begehrenswertes Sammlerstück beäugt.

Letzte Woche jedenfalls trieb sie das Thema Briefmarke auf die Spitze. Weil sie sich darüber aufgeregt hatte, dass die Damen hinter dem Schalter immer so langsam sind, ist sie dazu übergegangen Briefmarken auf Vorrat zu kaufen...

Und plötzlich war dieser verschwunden. Sie ließ mich hautnah an diesem Drama teilhaben. Anfangs machte ich mir sogar die Mühe, auch darüber nachzudenken, wo sie sie verwahrt haben könnte. Wir haben nicht weniger als zwei Dutzend Möglichkeiten in Erwägung gezogen, Schließlich riet ich ihr, ihre Tasche, die sich schon mehrfach als Bermuda-Dreieck für Unauffindbares erwiesen hatte, gänzlich umzustülpen. Was sie natürlich verweigerte, weil es Tage gedauert hätte, sie wieder einzuräumen...

Gestern bin ich dann - während sie im Postamt einen neuen Vorrat kaufte - auf die Idee gekommen, mit geschlossenen Augen ihr postalisches Verhalten des in Frage kommenden Zeitraums  zu rekapitulieren:
Einen wichtigen, frankierten Brief hatte ich im Tal  persönlich eingeworfen, dann erinnerte ich mich, dass sie mindestens dreimal mit einem Packen Briefe über die Piazza zu unserem Dorf-Briefkasten gegangen war. Auch hatte sie später noch zwei Postkarten mit Geburtstagsgrüßen eingeworfen.

Dann kam sie von der Post mit den Marken in der Hand zurück und verstaute sie mit mir als Zeugen - eigentlich wie immer - in ihrer Brieftasche.
Frage: Wie viele Briefmarken kaufst du eigentlich immer?
Antwort: Immer für einen 10-Euro-Schein.
Frage: Könnte es dann nicht sein, dass du den letzten Vorrat nicht verlegt, sondern verbraucht hast?

Ich zählte ihr noch einmal die Stationen auf, die ich aus dem Gedächtnis rekapituliert hatte, und freute mich über das Leuchten der Erkenntnis in ihren Augen. Dann sprang sie aus dem Auto und steuerte erneut auf das Postamt zu.

Frage: Was ist denn nun schon wieder?
Antwort: Ich muss noch mehr Marken kaufen. Ich weiß doch, dass du in deinem doofen Blog gleich wieder Gemeinheiten über meine Vergesslichkeit schreiben wirst. Da muss ich meinen Freundinnen doch schreiben, dass sie das bloß nicht glauben sollen....

Mittwoch, 3. September 2014

Avanti!!!

Zeit meines Lebens als Wärter meines  privaten Menschenzoos aber auch als Reporter des Unnützen passierte mir immer das selbe, wenn ich mit Menschen zusammen kam, die das Ideal übertrafen. Ich meine jetzt Menschen, die die ohnehin schon nicht glaubhaften Darstellungen in Romanen, Filmen oder im Fernsehen an Güte in der Realität noch übertreffen... Immer dann muss ich nämlich verstohlen mit Tränen kämpfen  Vermutlich aus zweierlei Gründen: Weil mir erstens klar wird, wie weit ich von meinen eigenen Ansprüchen an mich unüberbrückbar entfernt bin. Und zweitens, weil mir auch beim professionellen Nachhaken nicht klar wird, wie es diese mustergültigen Menschen schaffen, dauerhaft so zu sein, wie sie sind.

Unsere Dottoressa hier ist so ein Mensch. Nicht, dass wir permanent bei ihr im Wartezimmer säßen. Ich zum Beispiel war seit dem Infarkt der "Zweitbesten" nicht mehr in ihrer Praxis. Was mich aber zusammen mit anderen Berichten über sie dennoch befähigt, ein Urteil über ihr Gemüt abzugeben. Das unterliegt offenbar keinerlei Schwankungen , obwohl wir erfuhren, was sie zwischenzeitlich hat durchmachen müssen...

Das Kommando "avanti!", das je nach Betonung "vorwärts marsch!", "na los!", "mach schon!" oder wie in ihrem Falle "der Nächste bitte!" bedeuten kann, kommt bei ihr mit einem heiteren Gluckser aus der Kehle. Das zeigt zweierlei: Sie freut sich auf den Nächsten, selbst wenn er oder sie ihre Dienste unbekannter Weise zum erst Mal in Anspruch nähme.  Zweitens - egal wie voll ihr Wartezimmer ist, lässt sie sich nicht stressen. Sogar wenn ihr Schwager, der als Sprechstundenhilfe wirkt, mal wieder mit dem Computer-Programm durcheinander gekommen ist. Sie ist kaum jünger als wir, müsste eigentlich schon deshalb unter Dauerstress leiden, aber schafft es dennoch mit ihrer Empathie alles in allgemeine Sympathie zu verwandeln.

Sie nimmt sich nicht nur Zeit, sondern geht auf den Menschen im Patienten ein, was wir in Deutschland ja eigentlich gar nicht mehr kennen. Gerade haben die niedergelassenen deutschen Ärzte ja ein Milliarden-Paket beansprucht - für ihr "der Nächste bitte!". Da treibt es uns die Schamröte ins Gesicht, wenn wir wissen, was La Dottoressa einmalig  im Jahr dafür bekommt, dass wir in ihrem Patienten-Stamm sind - egal, wie oft wir sie aufsuchen.

Diesen Patienten-Stamm hat sie  bei 1.300 Personen gedeckelt,  aber zum Urlaub kommt sie im Juli-August-September. dennoch nie.
"Da kommen ja meine ganzen deutschen Patienten. Die brauchen mich doch!" Aber nicht nur die. Sie macht natürlich auch Vertretung für ihre italienischen Kollegen, die wie selbstverständlich ihre Praxen Ferragosto dicht machen.

Dann passiert es schon ein, zwei mal, während man bei ihr sitzt, dass sie sich noch am Telefon geduldig Patienten anhört, deren betreuende Ärzte bereits aus dem Urlaub zurück sind. Sie ist in ihrer Ruhe einfach nicht zu erschüttern, obwohl sie sich zwischenzeitlich von lieblich rundlichen 90 Kilo auf 65 reduziert hat.  Ich wäre da nur noch ein Nervenbündel. Sie ist heiter, charmant und mit der kessen Berliner Schnauze auch einmalig witzig. Übrigens hat sie zum Abnehmen einfach nur die Stress-Schokolade nach der Pflege ihres tödlich erkrankten italienischen Ehemanns weg gelassen.

Hätte ich nicht die "Zweitbeste" - ich würde ihr einen Antrag machen. Aber sie würde mich ja ohnehin nicht wollen. Ich bin ja viel zu wenig stressig!