Dienstag, 29. August 2017

Das Gewicht der Seele

Die Seele des Menschen - wenn es sie überhaupt gibt, was wiegt sie?

Selbst ernst zu nehmende Wissenschaftler haben sich intesiv mit physikalischen Methoden dieser Frage angenommen. Die riesen Unterschiede, die sich dabei ergaben, lassen den Verdacht aufkommen, dass um die Seele nur noch mehr Mythos aufgebaut werden soll: Die Seelen-Gewichte schwanken laut diversen Quellen also zwischen 18 und 350 Gramm. Manche Forscher gehen von einem Einheitsgewicht aus - egal ob es sich um ein Baby oder einen Zweizentner-Mann handelt. Gemessen wird im Moment des Todes. Aber wann ist der genau?

Die bange Frage beschäftigt mich Ungläubigen, weil die von mir so genannte "Seelensammlerin" gestern in ihrem Haus gegenüber der Gasse schwer gestürzt ist und wir sie fast nicht heraus bekommen haben. Ich schreibe wir, weil als die Postina laut um Hilfe schrie, sofort alle Nachbarn herbei eilten, aber nichts tun konnten, weil so gut wie alle Burghäuser mit ihren massiven Türen und doppelten Verriegelungen quasi uneinnehmbar sind.

Die Gestürzte war ansprechbar, aber ihre Stimme war schmerzverzerrt und brüchig, so dass ich die Telefonnummer vom Neffen einfach nicht verstehen konnte. Ludo, der jüngste unter den Nachbarn rief sofort Ambulanz und Feuerwehr an. Letztere weil man davon ausgehen musste, dass die Tür nur mit Gewalt zu öffnen sei.

Aber Ambulanz und der Neffe mit den Schlüsseln trafen fast gleichzeitig ein. Der Rest war dann Bergdorf-Rettungsroutine.

Heute wissen wir, dass sich die "Seelensammlerin" ausgerechnet den Arm mit der Prothese gebrochen und ansonsten "nur"  Hämatome davon getragen hat. Das ganze Dorf ist besorgt um die heuer 80jährige: Wird sie wie bisher mehrmals in der Woche die steile Treppe zur Kirche hinunter gehen können? Wird sie sich wie immer energisch für Il Signore einsetzen und all ihre Herzensgüte aufwenden, um verlorene Schäfchen in seine Obhut zurück zu treiben?

Wie sich herausstellt, wird sie irgendwie von allen herzlich geliebt. Auch von mir, der ich ihr Tun oft ein wenig schmunzelnd begleite. Angesicht der Überlegungen am Anfang dieses Posts wünsche ich ihr bei allen Seelen, die sie sammelt, dass diese tatsächlich nur 18 Gramm wiegen mögen.

Werde schnell wieder ganz gesund du himmlisch guter Burggeist!
San Giovanni ist der Lieblingsheilige der "Seelensammlerin". Wenn - wie hier bei der alljährlichen großen Prozession in Imperia - bei uns im Borgo die kleinere Ausgabe um die Häuser muss, scheut sie auch nicht, den Dorf-Agnostiker zum Tragen einzuspannen. .

Samstag, 26. August 2017

L'Ombra - Schatten

Wenn über Mittag die Piazza voll im Schatten liegt, ist das bei den immer noch vorherrschenden Temperaturen zwar äußerst angenehm. Aber der Stand der Sonne zeigt uns auch an, dass der Sommer nun bald vorüber ist. Wir haben gerade noch vier Wochen auf der Burg, dann geht es zurück ins Glashaus. In den langsam aufkommenden Trennungs-Schmerz mischt sich erleichternd die Vorfreude auf das Wiedersehen mit unserem Enkel.

So wie dieses Jahr trotz der vier lähmenden Hitzemonate vorüber gerast ist, so hat seine Entwicklung in jener Zeit an Fahrt aufgenommen. Zumindest das haben wir mit den Filmchen via telegram mitbekommen. In dieser Beziehung hat die moderne Kommunikation eben auch Sonnenseiten. Was mich zurück zum eigentlichen Thema bringt...

Wo Licht ist,  gibt es auch Schatten. Dies dürfte von Anbeginn die physikalische Ur-Erkenntnis aller Lebewesen auf Erden gewesen sein.

In der letzten Woche spielten drei Geschwister aus England auf der Piazza. Das Mädchen so alt wie unser Enkel, aber sprachlich wegen der ein paar Jahre älteren Buben, schon weiter, kicherte haltlos, weil ihre Brüder immer wieder über ihren Schatten sprangen; ihr das aber nicht gelang, weil die Jungs sich immer dann drehten, wenn sie drüber tapsen wollte.

Bei mir löste das eine Kettenraktion über Redewendungen zum Thema Schatten aus:
Selbst im übetragenen Sinne gelingt es den wenigsten über den eigenen Schatten zu springen, aber wir sind zumindest nahe dran, wenn wir aus dem Schatten eines anderen heraus treten, der uns durch seine Länge und Breite (Kohl/Merkel) fast eingeschüchtert hätte.

Wenn man eines anderen Schattenmann war und dabei von Dunkelmännern beschattet wurde, hätte das leicht im Schattenreich enden können...

Ich hingegen bin einigermaßen froh, dass mir "restare al'ombra" keinen allzu großen Schatten verpasst hat.

Selbst die Sonnenuhr gegenüber
meiner Schreibstube hat
einen Schatten, der sie bald
nötigt, die Winterzeit
unten anzuzeigen 

Donnerstag, 24. August 2017

Indirizzo spagliato

So sehr wir uns über die Komplimente der Passanten für unser Haus oder die Piazza freuen. Die zentrale Lage im Borgo hat auch ihre unbequemen Aspekte. Wenn zum Beispiel unsere rotschöpfige Postina, mit der jeder hier im Dorf per Du ist, frei hat, macht sich ihr Ersatz selten die Mühe, nach den Teilzeit-Adressen zu suchen. Dann werden die ausländischen Namen erst unverständlich ausgesprochen, dann wird einem die Postsendung zum Lesen in die Hand gedrückt. Schwerer Fehler!

In dem Moment, da wir versuchen, den Weg zum Empfänger zu beschreiben, werden wir auch schon höflich gebeten, so freundlich zu sein, dem Ersatzmann diesen abzunehmen. Con piacere und gentilmente ist bei der Hitze nicht so toll, vor allem bei über 30 Grad hinauf zum oberen Dorfrand...

Beim frechen und tatsächlich faulen Personal der diversen internationalen Paket-Dienste, die einen am Parkplatz abfangen wollen, gehen wir schon lange nicht mehr in die Falle. Da geben wir vor, nur hospite zu sein oder stammeln indirizzo spaglato - falsche Adresse...

Aber aus eigener Erinnerung früherer, angemieteter Ferienhäuser wissen wir um die Gemütslage, nach ermüdender Anreise, das Gebuchte nicht oder verschlossen vorzufinden. Da sind wir gerne Auskunftei. Vor allen Dingen, wenn es darum geht, den meist mit uns befreundeten, professionellen Vermietern eines auszuwischen.

Wenn nun, da sich die vorausbuchenden Stammkunden verabschiedet haben, das mühsame Tagesgeschäft beginnt, glänzen Joaquino und Daniello gerne durch Abwesenheit bei deren Ankunft und gehen auch nicht an die in den Unterlagen angegebenen Handy-Nummern. Die Alleingelassenen stranden dann meist vor unserer Haustür, und wir helfen dann aufopferungsvoll - in dem ich die wirklich geheimen Privatnummern der beiden weitergebe...

Oft versucht dann einer, mich noch einzuspannen, um seinen Strand-Nachmittag zu retten. Aber da ist er dann wirklich an der falschen Adresse.

Idirizzo spagliato!
Steil und mühevoll sind die
Wege für alle, die
etwas zu liefern haben

Dienstag, 22. August 2017

Ginger ist zurück

Wir hatten mal eine Nacht, da schlief sie sanft in meinen Armen. Aber seit ihr Frauchen die Sonnenblumen-Bar im Capo luogo führt, sah ich sie nur noch selten. Alte Liebe rostet schon, wenn die Beziehung Hunde-Mensch mit Katze auch noch von einem zotteligen existenzialiatisch veranlagten Kater tangiert wird...
Ich stelle mir vor, dass Ginger unsere "Männergespräche" gelegentlich belauscht hat und sich dachte: Was soll ich bei den Vollpfosten?

Ich glaube, was Katzenfreunde so in diese Tiere hinein interpretieren, unterscheidet sie von Hundehaltern. Der Hund ist direkter, treuer und - wenn er gut erzogen ist - ein gehorsamer Begleiter. Wer sich auf Katzen einläßt, stellt sich deren Rätselhaftigkeit, fördert ihr schwer zu manipulierendes Wesen und ist auf immer dankbar für jedes Schnurren und Schmusen als Zeichen wahrer Liebe. Dabei geht es doch Hund und Katze nur um Versorgungsansprüche. Jeder, der in unserem Haus wohnt, würde das also gleichermaßen erleben, weil diese Tür an der Piazza ja meist offen steht.

Die schüchterne Spaniel-Dame Sahra von der Witwe des Bürgermeisters , die einst so scheu war, dass sie nur ihr Frauchen berühren durfte, rast ohne Leine sofort um die Ecke in unsere Küche, staubt bei meiner Frau eine Scheibe Schinken ab und holt sich bei mir eine ausgiebige Öhrchenknuddelei. Selbst die nur ein paar Wochen im Borgo herum jagende Griotte (Sauerkirsche) unserer französischen Nachbarin rast erstmal die Treppen zur Piazza hoch, um uns schwanzwedelnd zu begrüßen. Einmal als ich oben am offenen Fenster meiner Schreibstube stand, wäre ich vor Schreck bald rausgefallen. In rasendem Tempo aber lautlos war Griotte die Steile Treppe hinauf gestürmt und leckte von hinten meine Waden...

Die Katzen dürfen wegen der Allergie meiner Frau nicht ins Haus. Dennoch haben das Ginger und Lazaro seit kleinauf versucht. Ginger, die Schleichkatze, musste regelrecht hinaus getrieben werden, während Lazaro die Eingangsstufe als Grenze anerkannte. Er sitzt jetzt meist in der Tür wie ein englisches Dekorationsstück. Er frisst meiner Frau aus der Hand, springt aber jedesmal davon, wenn ich durch will.

Nur wenn sein Herrchen Vittorio bei uns sitzt, umstreicht er schnurrend meine Beine und kuschelt seinen schönen Kopf in meine Streichelhand.

Ginger lässt von all dem, was wir früher an Zärtlichkeiten ausgetauscht haben, gar nichts mehr zu. Im Sicherheitsabstand setzt sie sich wie eine Diva in statuarischer Schönheit unnahbar in Positur, will aber eindeutig beachtet werden.

In der Mittagshitze vertraut sie mitten auf dem Platz liegend jedoch wie früher einmal, dass ich über ihren Schlaf wache.

Verstehe einer die Katzen...

Samstag, 19. August 2017

Potrebbe essere

"Nix G'wiß woas ma net", sagt der Bayer, wenn er einem fragwürdige Geschichten auftischt. Der italienische Privat-Gelehrte bemüht da den sehr viel eleganter klingenden Konjunktiv wie auf dem braunen Schild am Dorf-Eingang. Es verfehlt seine gewollte Wirkung nicht, wenn Touristen wissen wollen, ob es tatsächlich stimmt, dass der Entdecker hier geboren wurde.

Si, si certo! Werden die dann unter Hinweis auf die Via Colombo und die Casa Colmbo bestärkt. Habe ich auch schon ein paarmal gemacht und dabei auch die Legende von dem heimischen Geschichtsforscher wiederholt:

Demnach wurde Kolumbus um die Ecke von unserem Haus als Kind von Cousin und Cousine geboren, was im hiesigen Kirchen-Register einiger Bereinigung bedurfte. Das Dorf gehörte damals tatsächlich zum Herrschaftsbereich Genuas, was den weltweiten Streitigkeiten um die Herkunft von Kolumbus noch eins drauf setzt.

Aber was steht eigentlich wirklich auf dem Schild?
Frei übersetzt: "Dies ist der Ort, wo die Familie von Christoforo Colombo herstammen könnte"...
Potrebbe essere - könnte sein. Mehr braucht es nicht für ein braunes Schild, das Sehenswürdigkeiten ankündigt.
Aber die wenigsten Besucher wären enttäuscht, weil unser Borgo allein schon durch seine Schönheit besticht.

Dienstag, 15. August 2017

Himmelfahrts-Kommando

Heute ist Mariä Himmelfahrt. In Deutschland nur im katholischen Süden, ist der vom päpstlichen Rom vor langer Zeit verordnete Feiertag einer der wichtigsten in Italien - nicht nur weil er in der Ferienzeit liegt: Ferragosto..

In der heutigen Arbeitswelt geht er meist mit sogenannten Brückentagen einher, was jegliches unterwegs Sein mit dem Auto in Richtung Meer oder in die kühleren Berge zu einer Art Himmelfahrts-Kommando macht....

Wie haben uns wie immer mit Vorräten eingedeckt und werden die Burg erst nächsten Samstag wieder verlassen, um die Stille hier zu genießen.

Ruhe und Stille? Auch in unserer allerkatholischsten Borgata ist es längst nicht mehr so wie in meiner Kindheit. Da waren die Städte leer und die Strände knüppelvoll, was meinen kulturbeflissenen Vater dazu brachte, uns  im Umkehrschluss alle Bauwerke in genußvoller Ruhe darzubieten. All die Kirchen gingen ja noch. Die waren ja schön kühl. Aber die meisten interessanten Bauwerke waren eben: chiuso per ferie.

Und das galt auch für die meisten Bars und Restaurants, so dass ich mich bis heute an quälenden Hunger und Durst erinnere.

Ja und jetzt? Durch das Dorf hallen Hammerschläge, jaulen Kreissägen und fliegende Wortfetzen der sich streitenden Experten. Kaum ein Handwerker läßt sich das kleine Extra-Geschäft an den Brückentagen hier oben entgehen. Dazu kam in der Nacht auch noch die Sagra im Nachbardorf, die bis zwei Uhr ihre Beats herüber schallen ließ.

Jetzt sitze ich als Agnostiker, der gelegentlich zu dem Gott betet, an den er eigentlich nicht glaubt, und beschäftigt sich mit Marias Sohn.

Vor ein  paar Tagen hätte ich nämlich den INRI  mit einer für einen Slapstick-Film geeigneten Handlung fast von seinem Platz beim Eingang herunter geholt: langer Gegenstand vorne umsichtig bugsiert, aber seine Ausmaße hinten unterschätzt...

Als ich den Haussegen wieder gerade gerückt hatte, dachte ich darüber  nach, ob die Fuß-Stellung am Kreuz Aufschluss darüber geben könnte, ob der Heiland Rechtsfüßler oder Linksfüßler war. Wenn ich auf dem Rücken liege, legt sich meine rechte Wade automatisch über das linke Schienbein... Aber ob die Schergen darauf überhaupt geachtet hätten?

Die Erforschung der wichtigsten Darstellungen von Christus am Kreuz im WWW ergab nichts Schlüssiges. Bei gut einem Drittel geht der Nagel zunächst durch den linken Spann. Gut zehn Prozent der Künstler gehen davon aus, dass die Füße parallel festgenagelt wurden. Aber nichts Genaues scheint da überliefert.

Bleibt da noch die zurück gedrängte Frage, wieso sich die Christenheit ausgerechnet eines der brutalsten und quälendsten Hinrichtungs-Instrumente der Strafgeschichte als dauerhaftes Leit-Symbol auserkoren hat? 71 vor Christi Geburt hatte der Tribun Crassus 6000 der Gefangenen aus dem Spartacus-Aufstand entlang der Via Appia kreuzigen lassen. Unterstützt wurde er dabei von Gaius Julius Cäsar,  mit dem ich im Geschichts- und Latein-Unterricht wegen seiner Ermordung immer Mitleid hatte...
Unser INRI

Freitag, 11. August 2017

Tempesta, Temporale oder beides zusammen?

Endlich ist es soweit. Mit schöner Gleichmäßigkeit höre ich die Tropfen an meine Fenster klopfen. Auszeit für die angefeindeten Dauergießerinnen der Piazza. Diesmal war il temporale nicht so mit Hagel niederschmetternd wie vor vierzehn Tagen.

Auch la tempesta war zwar zunächst heftig, brachte aber dann diesen kühlenden Landregen, der hoffentlich auch den Faschen gut tut.

Wieso schreibe ich über tempesta und temporale in einer Zeit, da die Heimsuchung durch die Naturgewalten in Deutschland gerade besonders hartnäckig ist?

In des Schattens Kühle während la grande calda habe ich neben dem Computer und allen mir zur Verfügung stehenden Wörterbüchern (deren Erscheinungsdaten zum Teil weit ins 20. Jahrhundert zurück reichen)  auch die Alten hier im Dorf befragt.

Denn zu den vielen ungereihmten Analyseversuchen, Spekulationen und Interpretationen, kommt ja bei Giorgiones Meisterwerk La Tempesta die Frage auf, wieso die Deutschen das Bild "Das Gewitter" nennen, wenn es doch eigentlich "Der Sturm" heißen müsste?

Am nächsten bin ich dieser Frage noch im großen Langenscheidt aus  den 1980ern gekommen. Dort wird la tempesta auch als Donnerwetter - wenn auch im allegorischen Sinne der Übersetzung erwähnt; nämlich als Donnerwetter, das es setzt, wenn der Vater seinen Wochenlohn versoffen hat...

Grazie alla Accademia di Venezia
Ich will mich hier auf keinen Fall aufspielen, wo die Interpretation Tausende wissenschaftlicher Seiten gefüllt hat, und sogar Anregung für Krimis war.

Ich habe fünf Jahrzehnte fotografiert, bin allerdings als Maler dilettantisch gescheitert. Dennoch seien mir ein paar Fragen erlaubt, zu denen ich aus meiner hoch gebildeten Leserschaft eventuell ein paar Antworten bekomme:

Fotografen erzielen die plastischsten Landschaftsaufnahmen, wenn die Sonne auf eine Wolkenwand hinter dem Motiv scheint. Aber warum wirken Licht und Schatten auf diesem Giorgione, als gäbe es diverse "Einleuchtungen"?

Mutter und Kind wirken auf dem Bild derart emtspannt, dass man die bei Frauen immer vorhandene Angst vor Sturm und Gewitter sowie die vor Spannern nicht erahnen kann. Und das bei dem Meister-Poträtisten Giorgione! Wie also ist das Verhältnis der drei Personen  im Vordergrund zueinander, und was veranlasste die Kunsthisroriker, den Mann auf der anderen Seite des Flusses gleich wieder einmal als Zigeuner einzustufen?

In L'Accademia zu Venedig kommt der Betrachter ja nicht nahe genug an das Gemälde heran, weil immer Scharen von Besuchern auf Abstand gehalten werden. Aber die moderne Reprofotografie offenbart ja, dass es sich nicht nur um Übermalungen handelt. Bin ich der einzige, der bei dem hellen Punkt in den Wolken einen Chorknaben erkennt oder in den Wolken davor Schattenrisse von Beobachtern?

Giorgione galt ja nicht nur als Revoluzzer gegen die strengen Regeln seiner Zeit, sondern auch als gelegentlicher, in die Zukunft schauender Scherzkeks.

Was, wenn das seine Version von "Baywatch" war? Er in den damals schon modernen Bade-Shorts. Sie mit Knaben in der FKK-Zone des Flussbades entsprechende Privacy erwartend?
Oder ganz anders. Auf  einem Untergrund in Form eines Progetto einfach mal Motive auspobiert und dann festgestellt: Das sieht ja ganz gut aus.

Giorgione konnte ja nicht ahnen, dass das Gemälde einen solche  Sturm entfachen würde. Oder doch?



Donnerstag, 10. August 2017

Dummer August

Auf dem Weg zum Strand
Foto Cathy M.
Seit der Klimawandel wohl auch hier seine Spuren hinterlässt, denken wir oft darüber nach, ob wir uns künftig Juli und August hier ersparen wollen. Aber dann erinnern wir uns einerseit an die zurückliegenden "Wonnemonate" Mai und Juni mit erheblichen Heizkosten und lesen andereseits von den irrwitzigen Temperatur-Schwankungen in München.
Da bleiben wir dann doch lieber hier. Mit Ausnahme des einzigen Hagelsturms und ein paar kurzer Tröpfeleien haben wir jetzt sechs Wochen mit Tag-Nacht-Temperaturen (!) von im Schnitt 25 Grad hinter uns. Wir gewöhnen uns an die Verlangsamung des Seins und wenn wir ganz ehrlich sind, genießen wir das Abhängen im gelegentlich von Brisen durchwehten Haus. Vereint mit kühlen Sommer-Drinks birgt dieses Dasein einen gewissen Suchtfaktor. Der wird radikal auf "Cold Turkey" umgestellt, wenn Verwandtschaft ins Haus "schneit", die bespaßt und chauffiert werden möchte.
Da trifft es natürlich die Fürsorglichste von allen, die es trotz aller vorherigen Schwüre nicht lassen kann, entsprechend ihrer Fürsorglichkeit in Aktion zu treten. Ich habe ja den unendlichen Vorteil,  dass meine Medikamente - wie ich frech lüge -außerhalb  und innerhalb des Körpers die 30Grad-Marke nur kurz überschreiten dürfen. Um das zu unterstreichen, bleibe ich wie ein Maikäfer mit ausgebreiteten Flügeln erschöpft von der Nacht - bis das Haus leer ist - dramatisch hinfällig auf dem Bett liegen.

Während meine Frau sogar erschöpfende Strandgänge absolviert, genieße ich das eiskalte Bier der Einsamkeit.
Jedem, wie er es verdient.
Und! Die liebe Verwandtscbaft kann dann auch keine komischen Bilder von mir ins Netz stellen...

Montag, 7. August 2017

Usato mano

Eine der herausragenden Fähigkeiten des Menschen ist das Verdrängen seiner Sterblichkeit im hektischen Tagesgeschäft. Würden Erdogan, Trump und Konsorten all den Schaden anrichten, wären sie nicht im Moment des Handelns von ihrer unfehlbaren Unsterblichkeit überzeugt?

Wir Normalos sind in der Detailbetrachtung ja auch nicht viel besser - wenn auch nicht allgemein schädlich. Was häufen wir nicht alles an Dingen an, die sich im Laufe des Lebens als gar nicht mehr so wichtig erweisen.

Wer ein Haus für das "zweite Leben" im Süden erwirbt, tut das ja auch in Erfüllung eines lang gehegten Traumes.  Zuerst im Stadium des Ferienhauses nimmt jeder - vor allem hier im autofreien Borgo wegen des komplizierten Transportes  - gerne Restbestände des Vorbesitzers in Gebrauch, aber dann willst du ja dem Traum irgendwie ein eigenes Gesicht geben. Nach und nach möchtest du dann die Teile loswerden, nur um sie durch Neues zu ersetzen. Was aber dann wiederum dem Nachfolger nicht gefällt, weil ja eben nichts für die Ewigkeit danach passt.

Drunten im Tal wächst daher Jahr für Jahr ein Laden, der sich auf "Usato Mano", Dinge aus zweiter Hand, spezialisiert hat. Da gibt es Gläser, Stühle und Tische sowie viel antik Anmutendes. So kann sich die Phantasie leicht ausmalen, wie oft Gegenstände als scheinbares Schnäppchen den Weg zwischen Burg und Tal angetreten haben. Eine Win-Win-Situation, solange das Attraktive auch von anderen Geschmäckern der Nachfolger erkannt wird.

Es ist keinesfalls so, dass wir dieser "Todes-Spirale" in bald 20 Jahren entgangen wären. Weil wir aus Nachbarschafts-Harmonie oft nicht Nein sagen konnten, wenn uns etwas als Hinterlassenschaft angeboten wurde, wirkt unsere geräumige Cantina mitterweile wie eine Dependance des "Usato Mano". Vielleicht die heimliche Botschaft, selbst so einen Laden aufzumachen?

Dessen ungeachtet bleibt ja die persönliche Sammel-Leidenschaft, die nicht selten vom Zeitgeschmack inspiriert wurde. Die Fürsorglichste sammelt trotz zum Bersten gefüllter Vitrinen fleißig weiter seltene, oft überteuerte Gläser als Einzelstücke, und ich habe hier wie im Glashaus meine ungebremste Leidenschaft für Enten aller Arten vor Augen. Weil Journalisten ja immer vor "Enten" auf der Hut sein müssen. Hahahahaaa!

Nicht alles, was mir zugeflogen ist, gehört im engsten Sinne der Gattung
Ente an, aber Lockvögel gehörten ja auch zum Handwerk


Samstag, 5. August 2017

Wumbaba

Weil der Mond gleich wieder rund und schön wird, muss ich geschwind etwas loswerden:

Mit Blick auf meine Guache über Ölkreide, gab ich aus Spaß das Suchwort "Wumbaba" ein. Ich wurde schier erschlagen von Einträgen zu Axel Hacke.Ich bin ein augemachter Fan von Deutschlands bestem Kolumnisten. - Auch weil er in punkto Selbstvermarktung gut der Deutsche Art Buchwald genannt werden könnte.

Die Schüler-Verballhornung als Buch-Titel zu wählen, ist schlichtweg genial. Im Internet kommt das allerdings so rüber, als hätte er so eine Art Titelschutz darauf.

Ich habe eine schmerzhafte Erinnerung an die Frevelei, da wird der gute Axel gerade mal seine ersten Schritte gemacht haben. Wir waren zur Chorprobe für die Jahres-Abschlussfeier im Schullandheim, und ich durfte immer schon wegen  meiner Länge ganz hinten stehen. An einem Abend, der exakt das Szenario des Gedichtes von Matthias Claudius wiedergab, machten wir eine Wanderung. Nur der weiße Nebel wunderbar stieg nicht aus den Wiesen vor dem schweigenden Wald. Dafür schwirrten tausende Glühwürmchen herum.

Ergriffen stimmte unser Musik-Lehrer das wunderschöne Lied an, und wir Drei von der letzten Reihe hatten nichts besseres zu tun, als den weßen Neger Wumbaba zu aktivieren. Zack hatte ich die verdiente Watsche auf der noch zum Grinsen verzogenen Wange. Natürlich durfte ich bei der Feier nixht mitsingen. Wie sehr die Strafe verdient war, begriff ich aber erst richtig, als ich selbst begann vom Geschriebenen zu leben, und dabei meine Erkenntnis wuchs, dass ich wohl nie derartige Zeilen für die Ewigkeit verfassen würde...

Das Bild unten war auch als Abbitte gedacbt, und entstand weit vor Hackes Buchveröffentlichung.
         Und aus den Wiesen steiget der weiße Neger Wumbaba: Guache von Ölkreide

Mittwoch, 2. August 2017

Schnatter-Stunde

Wie viele Männer halte ich mich trotz aller geschlechtlichen Unwägbarkeiten für einen Frauen-Versteher. Doch je älter ich werde, desto häufiger bin ich im Zweifel, ob die Erkenntnisse all der Jahre überhaupt für ein derartig komplexes Thema ausreichen.

In der näheren Bekanntschaft - auch hier auf der Burg - gibt es kein Paar, das nicht von der weiblichen Hälfte dominiert wird. Die Fürsorgllchste und ich sind da keine Ausnahme. Wir Männer scheinen im letzten Lebensdrittel neben anderen Kompetenzen auch die sozialen aufzugeben. Das stärkt die Frauen-Liga, die hartnäckig hier ihre Stärke ausspielt.

Meine Frau und ihre zwei Schwestern haben die Fähigkeit  sich stundenlang gleichzeitig zu unterhalten, was einen gewaltigen "Output" erzeugt. Dinge, die beim direkten Simultan-Gespräch überhört oder nicht richtig vrstanden wurden, werden kaum eine Stunde später in telefonischen Einzelgesprächen fortgesetzt. Flatrate sei Dank!

Meine Tochter hat dies wohl auch genetisch mitbekommen. Jedenfalls gelingt es ihr auch immer spielend, wildfremde Menschen in stundenlange Gespräche zu verwickeln, beziehungsweise sie zusammen zu bringen.

Sie war noch nicht sehr oft auf der Burg, dennoch ist sie bis hinunter nach Villa bekannt, obwohl sie kein Italienisch spricht. Meine Frau spricht nach annähernd zwei Jahrzehnten hier oben  auch nicht viel mehr. Dennoch hat sie es geschafft, dass von Jahr zu Jahr mehr Burggeister zum nachbarschaftlichen Abendessen auf die Piazza kommen.

Frauen haben diese spezielle Fähigkeit, die ich früher mal als "Dorfbrunnen-Syndrom" verspottet habe, obwohl ich da schon oft davon profitiert hatte. Nur, dass der Dorfbrunnen in der Büro-Gemeinschaft der Copier-Computer mit Printer war.

Hier haben wir nun tatsächlich einen Dorfbrunnen, und obwohl nur wenige Damen ihn nutzen, bleibt er zentraler Nachrichten-`Faktor.

Passiert denn in einem Dorf wie diesem tatsächlich soviel, dass man sich ständig austauschen muss? Kommt wohl darauf an, was man für wichtig hält.

Wenn Nachbarin Paula jedenfalls auf der Burg ist, hat sich zwischen ihr und meiner Frau ein fixes Treffen um 19 Uhr ergeben, bei dem nicht nur Tagesaktualitäten, sondern Grundsätzliches aus der Gemeinde erörtert werden. Das dauert eine großzügig bemessene halbe Stunde bei ein oder zwei  Gläschen, die wechselseitig ausgeschenkt werden.

Manchmal setze ich mich dazu, merke aber schnell, dass ich störe. Durchs offene Fenster meines Büros dem ungebremsten Schnattern zu zu hören, macht viel mehr Spaß. Weil beide Parteien so tun, als hörten sie nicht zu, werde ich dann auch gerne verbal in die Mangel genommen...